# taz.de -- Bremer Tatort „Puppenspieler“: Aber doch nicht in Deutschland | |
> Nach der NSU-Affäre ist ein korrupter Staat plötzlich denkbar. Im Bremer | |
> Tatort arbeiten die Kommissare Lürsen und Stedefreund die Geschehnisse | |
> auf. | |
Bild: Kommissar Stedefreund kümmert sich um die verletzte Freundin des Opfers. | |
Mord in Leipzig, Mord in Berlin, Mord in Hamburg. Es wird getötet ohne | |
Mitleid, als wollten Regisseur Florian Baxmeyer und Drehbuchautor Christian | |
Jeltsch mit dem „Tatort“ „Puppenspieler“ einen neuen Rekord für eiskal… | |
Tötungen am Sonntagabend aufstellen. Dann beginnt der Film erst richtig. | |
Fünf Richter vom Bundesverwaltungsgericht sollen in Bremen die | |
Weservertiefung beurteilen. Einer davon: Konrad Bauser (Christoph M. Ohrt). | |
Bauser ist in der Weserfrage der einzige Unentschiedene – und er wird | |
erpresst. 50.000 Euro soll er für ein Video zahlen, das ihn beim Sex mit | |
einer angeblich minderjährigen Prostituierten zeigt. | |
Ein Team von Auftragskillern wird auf den jungen Erpresser angesetzt. Mord | |
in Bremen. In der beschaulichen Hansestadt destilliert ein Gebräu, das | |
Mörder, Politiker und Richter angesetzt haben. | |
Eine Blutspur, die sich durch Deutschland zieht. Oberste Organe der BRD, | |
die die Wahrheit zu vertuschen suchen. Insgesamt neun Fälle, alle | |
unaufgeklärt, immer dieselbe Waffe. Der ganz große Komplott. „Mit der | |
Geschichte wären wir früher nicht durchgekommen“, sagt Regisseur Baxmeyer. | |
Zu unrealistisch, zu sehr CIA, Mossad und Co. So was passiert doch nicht in | |
Deutschland. Doch nicht beim BKA, nicht beim Verfassungsschutz. | |
## Ein großes Missverständnis | |
Doch die Gezeiten sind andere geworden: Seit im November 2011 der | |
Nationalsozialistische Untergrund (NSU) an die Oberfläche gespült wurde, | |
traut die Öffentlichkeit den vermeintlichen Verfassungsbewahrern vieles, | |
wenn nicht gar alles zu. | |
Angefangen, an dem „Puppenspieler“-Stoff zu arbeiten, hatten Baxmeyer und | |
Jeltsch, noch bevor in Eisenach im November 2011 ein Wohnwagen ausbrannte, | |
zwei junge Männer sich das Leben nahmen, in Zwickau eine Wohnung | |
explodierte und sich in Jena eine Frau der Polizei stellte. Ein | |
Wattestäbchen war der Grund, warum die beiden Filmemacher begonnen hatten, | |
das Thema zu bearbeiten. Das Wattestäbchen war bei der Spurensicherung nach | |
dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn zum | |
Einsatz gekommen, es wurden DNA-Spuren daran sichergestellt, „und dann gab | |
es Karten, wo diese DNA schon überall gefunden wurde“, erzählt Baxmeyer: | |
„bei einem Schrebergarten-Einbruch zum Beispiel“. | |
Diverse Sonderkommissionen in Europa fahndeten nach dem Phantom. Irgendwann | |
wurde verkündet, dass alles nur ein großes Missverständnis gewesen sei: Die | |
Wattestäbchen seien bei der Produktion mit der DNA einer Mitarbeitern | |
verunreinigt worden. Akte geschlossen. | |
Die Geschichte fanden die beiden Filmemacher seltsam. In Bayern, in | |
Österreich, in Frankreich – überall sollen die Ermittler die Stäbchen aus | |
der gleichen verunreinigten Charge benutzt haben? „Die Öffentlichkeit ist | |
ja häufig zufrieden mit den offiziellen Begründungen. Denn so behält alles | |
seine Ordnung“, sagt Jeltsch, „doch wenn ich für einen Krimi recherchiere, | |
erfahre ich oft viel über das, was darunter liegt: Welche Interessen | |
schwingen mit, die hinter der offiziellen Version verborgen bleiben? Das | |
haben wir versucht zu erzählen.“ | |
## Nichts mit Politik | |
Und im Bremer „Tatort“ um die Kommissare Lürsen (Sabine Postel) und | |
Stedefreund (Oliver Mommsen) soll möglichst viel verborgen bleiben. | |
Spätestens als das Bundeskriminalamt den Fall an sich reißt, ist klar, dass | |
die Strippenzieher der vielen Morde nicht in Bremen, sondern in Berlin | |
sitzen – und das die alles versuchen werden, um die Zusammenhänge nicht | |
sichtbar werden zu lassen. | |
Doch für derlei Stoffe braucht es Mut, auf Seiten der Redaktionen in den | |
Sendern und auf Seiten der Drehbuchschreiber und Regisseure. Vor Jahren war | |
Jeltsch mal für einen „Tatort“ einer anderen Rundfunkanstalt angefragt | |
worden. Einzige Voraussetzung: nichts mit Politik. Das ist in Bremen, der | |
kleinen Hansestadt mit ihrer kleinen Rundfunkanstalt, anders. | |
Erst vor Kurzem verknoteten sich in einem Bremer „Tatort“ alte | |
Stasi-Seilschaften und große bundesdeutsche Politik im kleinsten | |
Bundesland. „Bremen bietet das Forum, solche Dinge erzählen zu können. Und | |
dadurch wird es für Autoren und Regisseure interessant, die Geschichten | |
dorthin zu verlegen. Für jeden Macher, der ein Faible für solche | |
Geschichten hat, ist Bremen die Anlaufstation“, sagt Jeltsch. | |
Der Grimme-, Deutsche- und Bayerische-Fernsehpreisträger weiß, wovon er | |
spricht. 2011 sollte der von ihm geschriebene „Polizeiruf 110“ – „Denn … | |
wissen nicht, was sie tun“ mit Matthias Brandt in der Hauptrolle – am | |
Sonntagabend laufen. Doch dann wurde der Film über einen terroristischen | |
Anschlag im Stadiontunnel und gegeneinander arbeitende Ermittler von BKA, | |
LKA und Verfassungsschutz vom prominenten Sendeplatz gekickt. | |
„Zunächst hieß es, dass man den Film nicht um 20.15 Uhr senden könne, weil | |
der Staat als zu schwach dargestellt würde“, erklärt Jeltsch. „Dann wurde | |
erst nachgelegt, dass er durchweg zu spannend sei und dass das nicht zu | |
ertragen sei bei einem Krimi.“ Er lächelt süffisant: „Aber die schönste | |
Begründung war, dass es keine Lachinseln gebe.“ Er lässt das Wort noch mal | |
über die Lippen perlen: „Lachinseln.“ | |
## Gesunde Sicht auf die Quote | |
Doch das alles war noch vor der Aufdeckung des NSU, bevor der | |
Öffentlichkeit vor Augen geführt wurde, wie schwach Geheimdienste sein | |
können. | |
Am vergangenen Sonntag hat auch der Wiener „Tatort“ um Moritz Eisner | |
(Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) gezeigt, wie von | |
ganz oben in die Polizeiarbeit eingegriffen wird. Wie am Ende die wahren | |
Täter entkommen. „So ist das System“, kommentiert die frustrierte | |
Kommissarin. | |
„Mit brisanten Geschichten bei einem Sender Gehör zu finden, ist für mich | |
sicherlich einfacher geworden“, sagt Jeltsch. „Ob der Zuschauer das | |
annehmen wird, weiß ich nicht. Schließlich wird er gefordert. Aber das ist | |
ja auch die Aufgabe eines guten Films.“ | |
Denn der Zuschauer will anscheinend am Sonntagabend eher unterhalten denn | |
gefordert werden. Anders ist nicht zu erklären, warum die Münsteraner | |
„Tatort“-Folgen mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers in den vergangenen | |
Jahren die mit Abstand meistgesehenen waren: Fast 11,4 Millionen Zuschauer | |
im Schnitt. Seicht siegt. | |
„Unsere Branche feiert, wenn fünf oder sechs Millionen einen Fernsehfilm | |
eingeschaltet hatten. Aber es gibt dann immerhin 75 Millionen in | |
Deutschland, die den Film nicht gesehen haben“, sagt Jeltsch. | |
So eine Sicht auf die Quote sei gesünder. „Außerdem bieten wir doch auch | |
auf der Unterhaltungsebene eine Menge“, sagt Oscar-Gewinner Florian | |
Baxmeyer: „Unter anderem kaltblütige Morde.“ Und „vielleicht hat sich ja | |
seit Zeiten von NSU doch etwas geändert“, wie es Hauptkommissarin Inga | |
Lürsen sagt. | |
Tatort „Puppenspieler“, Sonntag, 20.15, ARD. | |
24 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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