# taz.de -- NSU-Verbindungen nach Schwaben: Die „Spätzles“ der Terrortruppe | |
> Der NSU mordete in Heilbronn, plante Anschläge in Stuttgart und hatte | |
> Freunde in Ludwigsburg. Erste Politiker fordern einen eigenen | |
> Untersuchungsausschuss. | |
Bild: Ein Beamter der Spurensicherung am Tatort der 2007 vom NSU erschossenen P… | |
BERLIN taz | Die Männer schrieben sich als Max B. und Ralph B. ein. Drei | |
Tage zelteten sie auf dem Campingplatz hinter dem Cannstatter Wasen in | |
Stuttgart, vom 24. bis zum 26. Juni 2003. | |
Gut neun Jahre später haben sich die Handschriftanalytiker des | |
Bundeskriminalamts über den Meldezettel der Camper gebeugt, auf der Suche | |
nach Spuren der Terrorzelle NSU im Schwabenland – und wurden fündig: „Max�… | |
war mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ der Neonazi-Mörder Uwe Mundlos, „Ralp… | |
vermutlich Uwe Böhnhardt. | |
Was die beiden in Stuttgart zu suchen hatten? Das BKA geht fest davon aus, | |
dass sie in der Nähe des Nordbahnhofs einen Anschlag ins Auge fassten: auf | |
die Eigentümer eines türkischen Lebensmittelladens und eines türkischen | |
Bistros. | |
Im Brandschutt der letzten NSU-Wohnung in Zwickau fanden die Ermittler eine | |
CD mit der Aufschrift „Stuttgart“, darauf sieben Fotos vom 25. Juni 2003. | |
Auf manchen ist Böhnhardt mit Mütze und Mountainbike vor den Geschäften zu | |
sehen, andere zeigen Details vom Eingang des Ladens und des Bistros, um die | |
es den Terroristen gegangen sein soll. | |
## BKA: "Ziele ausbaldowert" | |
Das BKA hat „keine begründbaren Zweifel“, dass in Stuttgart „zwei mögli… | |
spätere Anschlagsziele ausbaldowert worden sind und dies durch die | |
Anfertigung von Lichtbildaufnahmen dokumentiert wurde“. So steht es in | |
Ermittlungsakten. | |
Der NSU hat in acht deutschen Städten gemordet und gebombt – und zahlreiche | |
weitere mögliche Ziele ausgespäht. Das belegen Karten, Stadtpläne, Notizen | |
und Namenslisten, die im Unterschlupf des Trios gefunden wurden. Aber nur | |
in Stuttgart wurden die möglichen Anschlagsziele per Foto dokumentiert. | |
Das ist aber nur eine der zahlreichen Spuren, die nach Baden-Württemberg | |
führen. Ermittlungen von BKA und Bundesanwaltschaft ergeben, dass der | |
spätere NSU schon seit Anfang der 90er-Jahre enge Kontakte nach Ludwigsburg | |
hatte. | |
Bei Szene-Events in Sachsen hatten die drei eine Gruppe von schwäbischen | |
Neonazis um den Skinhead-Musiker Michael E. kennen gelernt – und diese | |
später mehrere Male in der 85.000-Einwohner-Stadt zwischen Stuttgart und | |
Heilbronn besucht. Fotos zeigen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im | |
Partykeller des Naziskins; auf dem Tisch: jede Menge Dosenbier Marke | |
Dinkelacker. Mindestens einer der Abgebildeten war mit dem militanten | |
„Blood & Honour“-Netzwerk verbunden. | |
## Mundlos schwärmte von den "Spätzles" | |
Einer, der damals dabei war, berichtete den Ermittlern von einer | |
bemerkenswerten Szene im Kaufland in Ludwigsburg. Dort habe Mundlos einen | |
Schwarzen gesehen und gerufen: „Schaut mal, da kommt ein Nigger.“ Dann ging | |
er auf die Knie, machte ein Kreuzzeichen wie im Vampirfilm und schrie den | |
Schwarzen an: „Weiche von mir!“ | |
Auch sichergestellte Mundlos-Briefe dokumentieren die Besuche im | |
Schwabenland. Im Frühjahr 1996 schwärmte er einem inhaftierten | |
Gesinnungsgenossen vom Osterbesuch bei den „Spätzles“ vor: „Wir waren vor | |
allem über die Waffen, die sie alle haben, erstaunt – schon fast ein | |
kleiner Waffenladen.“ Ein Satz, der die Ermittler heute elektrisiert. | |
Zumal auch auf einer Adressliste von Uwe Mundlos, die nach Untertauchen des | |
NSU-Trios 1998 in einer Garage in Jena gefunden wurde, gleich vier | |
Telefonnummern der Freunde aus der Ludwigsburger Neonaziszene standen. | |
Jahrelang wurde diese Liste ignoriert – erst nach Auffliegen des NSU im | |
November 2011 interessierten sich die Ermittler für sie: waren doch gleich | |
mehrere der engsten Helfer der Terroristen auf ihr vermerkt. | |
Alle aus der Ludwigsburger „Bande“, wie Mundlos seine „Spätzles“ auch | |
nannte, können die Beamten von BKA und Bundesanwaltschaft heute allerdings | |
nicht mehr befragen: Michael E., der Hauptkontakt des Nazi-Terrortrios in | |
Ludwigsburg, soff laut Zeugenaussagen exzessiv und starb 2003 im Alter von | |
28 Jahren. | |
## Kontakte bis Anfang 2001 | |
Dafür hat eine Frau aus der damaligen Gruppe (Spitzname „Uschi“) gegenüber | |
den Ermittlern zugegeben, über Jahre engen Kontakt zu Beate Zschäpe und Uwe | |
Mundlos gehabt zu haben. Zwischenzeitlich hätten sie sich sogar monatlich | |
getroffen. Das letzte Mal habe sie die beiden im Dezember 2000 oder im | |
Frühjahr 2001 gesehen – bei einem Besuch beim Naziskinhead-Musiker Michael | |
E. in Ludwigsburg . Dass sie da schon knapp drei Jahre in der Illegalität | |
lebten, will die Frau allerdings nicht gewusst haben – ganz zu schweigen | |
davon, dass der NSU wenige Wochen vorher seine Mordserie begonnen hatte. | |
Brisant sind die Spuren nach Stuttgart und Ludwigsburg auch, weil der | |
letzte NSU-Tatort im nahe gelegenen Heilbronn liegt. Dort wurde am 25. | |
April 2007 bei strahlendem Sonnenschein die Polizistin Michèle Kiesewetter | |
erschossen, die auf einer Festwiese in der Nähe des Hauptbahnhofs | |
Mittagspause machte. Die Täter schlichen sich von hinten an, dann feuerte | |
vermutlich Mundlos den tödlichen Schuss auf Kiesewetters Kopf ab. | |
Warum musste ausgerechnet diese junge Polizistin sterben? Das ist bis heute | |
nicht geklärt. In der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft heißt es, die | |
22-Jährige und ihr schwer verletzter Kollege seien „Zufallsopfer“ gewesen, | |
die als Stellvertreter des „gehassten Staates“ ermordet werden sollten. | |
Doch warum sollten die NSU-Terroristen in Chemnitz ein Wohnmobil anmieten, | |
400 Kilometer nach Heilbronn fahren, um dort auf zwei Polizisten zu | |
schießen? | |
## Weit daneben | |
„Das Motiv des Mordes bleibt unklar“, findet auch der FDP-Obmann im | |
NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Hartfrid Wolff, der seinen | |
Wahlkreis in der Nähe von Stuttgart hat. Wolff prophezeit: „Wir werden uns | |
noch intensiv mit Baden-Württemberg beschäftigen müssen.“ | |
Die Linkspartei-Obfrau Petra Pau geht noch einen Schritt weiter und | |
fordert, dass das Bundesland wie Bayern, Thüringen und Sachsen einen | |
eigenen Untersuchungsausschuss einrichtet, um die Fehler und Versäumnisse | |
der Landesbehörden im Detail zu beleuchten. | |
In Baden-Württemberg selbst dagegen scheinen bei weitem nicht alle scharf | |
zu sein auf schonungslose Aufklärung. Anfang des Jahres sagte der | |
CDU-Obmann im NSU-Ausschuss des Bundestags, der aus dem Schwarzwald | |
stammende Ex-Polizeikommissar Clemens Binninger, die | |
baden-württtembergischen Sicherheitsbehörden müssten sich noch einige | |
kritische Fragen in Sachen NSU anhören – und bekam ausgerechnet von einem | |
Parteifreund aus dem Ländle Contra. | |
Man brauche keine Ratschläge aus der Ferne, wetterte der Innenexperte der | |
Landtags-CDU in Stuttgart, Thomas Blenke, gen Berlin. Er befand: In Sachen | |
NSU weise „nicht übermäßig viel nach Baden-Württemberg“. | |
Noch weiter danebenliegen könnte er nicht. | |
27 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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