| # taz.de -- Bremer „Tatort“-Kommissar Stedefreund: „Ich bin gerne Fachidi… | |
| > Oliver Mommsen über zwölf Jahre als „Tatort“-Kommissar-Darsteller, den | |
| > Wandel des „Tatorts“ vom Krimi zum Experimentierfeld und seinen | |
| > Wunschtod. | |
| Bild: „Er wird töten“ – so heißt der aktuelle Bremer „Tatort“ mit O… | |
| sonntaz: Herr Mommsen, muss man im deutschen Fernsehen mit einem Trauma aus | |
| Afghanistan zurückkommen? | |
| Oliver Mommsen: Das Thema liegt halt auf der Hand. Dann häuft es sich im | |
| Fernsehen. Und plötzlich hat man das Gefühl, dass jede zweite Hauptfigur | |
| traumatisiert aus Afghanistan zurückkommt. Aber in dem aktuellen „Tatort“ | |
| geht es sowieso mit allen Figuren so dermaßen den Bach runter, da fällt | |
| Stedefreund mit seinem Trauma eigentlich gar nicht auf. | |
| Sind denn solche Ausbrüche wie der von Stedefreund nach Afghanistan | |
| wichtig, um die Figur weiterzuentwickeln? | |
| Sein Abgang barg neuen Konfliktstoff. Es liegt der Redaktion immer sehr | |
| viel daran, dass Sabine (Postel; spielt Hauptkommissarin Inga Lürsen; d. | |
| Red.) und ich uns im Film nicht so gut verstehen wie privat. Da denken die | |
| sich immer neue Knüppel aus, die sie uns zwischen die Beine werfen: Ich hab | |
| sie verdächtigt, bei der Stasi gewesen zu sein. Sie hat mich verdächtigt, | |
| Informationen zu unterschlagen. Ich bin mit ihrer Tochter ins Bett | |
| gestiegen. Sie hatte ihre politische Vergangenheit, die sie vor mir geheim | |
| gehalten hat. In der Redaktion herrscht große Angst vor Harmonie zwischen | |
| uns. | |
| Sie spielen seit zwölf Jahren den Stedefreund. | |
| Ja, plötzlich, irgendwie und heimlich sind es zwölf Jahre geworden … | |
| Sind Sie nach so langer Zeit um jede Weiterentwicklung froh? | |
| Total. Bei Stedefreund weißt du immer noch nicht so richtig, ob der auf | |
| Männlein oder Weiblein steht und was der Typ überhaupt jenseits des | |
| Ermittelns macht. Mit dem Kerl noch Türen aufstoßen zu können, den mal in | |
| Extremsituationen zu schicken, Brüche zu erleben ist für mich als | |
| Schauspieler dankbar. Sonst haben beim „Tatort“ immer die Bösen die | |
| besseren Rollen. | |
| Wissen Sie denn schon, ob Stedefreund auf Männlein oder Weiblein steht? | |
| Wissen Sie mehr über die Figur als der Zuschauer? | |
| Nein, wie Stedefreund ist, wie er handelt, das ist immer eine instinktive | |
| Entscheidung. So was überlege ich mir, während ich mit dem nächsten | |
| Drehbuch schwanger gehe. Irgendwann geht dann eine Tür auf – und durch die | |
| geh ich dann hindurch. Es sei denn, der Regisseur ist dagegen. Aber dann | |
| wird es auch spannend. | |
| Beim „Tatort“ wechseln die Autoren und Regisseure. Wie verteidigen Sie da | |
| Ihre Figur? | |
| Das muss ich nicht. Das ist wie beim 15. Geburtstag eines Kindes, das noch | |
| nie ein Wort gesagt hat. Die Familie sitzt trotzdem in ihrer Agonie | |
| beisammen und feiert zum 15. Mal dieses Trauerspiel – und plötzlich sagt | |
| das Kind: „Entschuldigung, kann ich bitte mal das Salz haben?“ Alle fallen | |
| vollkommen aus den Wolken: „Du sprichst ja!“– „Natürlich sprech ich“… | |
| das Kind, „aber bisher hat es halt nie an etwas gefehlt.“ So geht es mir | |
| auch. Ich muss mich nicht melden. Die Bücher sind gut. Es gibt andere | |
| Leute, die dafür sorgen, dass es spannend bleibt. Ich bin gerne Fachidiot. | |
| Meine Fantasie entwickelt sich in dem Augenblick, in dem ich ein Buch vor | |
| mir habe. | |
| Aber lesen Sie nie ein Drehbuch und denken sich, nein, das könnt ihr mit | |
| meiner Figur nicht machen? | |
| Nein. Es gibt nichts Schlimmeres, als zu sagen: „Das würde meine Figur | |
| niemals tun.“ Warum soll man sich beschneiden? Jede Figur macht erst mal | |
| alles. Es geht nur darum, wie die Figur es macht. Ich bringe niemanden | |
| davon ab, die Figur in unbekannte oder unbequeme Situationen zu schicken. | |
| Wenn jemand an Sets oder auf Bühnen sagt „Das würde meine Figur nie machen�… | |
| muss ich lachen. Wie vermessen! Probier es doch erst mal aus. | |
| Ich versuche eine Naivität zu behalten. Es wäre ja furchtbar, jedem neuen | |
| Autoren sofort zu sagen: „Nein, das würde Stedefreund niemals machen.“ So | |
| verhindere ich doch all die schönen neuen Ideen. Obwohl ich mich vor kurzem | |
| wegen der neuen Drehbücher tatsächlich mal von selbst bei der Redaktion | |
| gemeldet habe: Ich sollte darin die ganze Zeit mit ’nem Notizzettel | |
| rumstehen, während Inga Lürsen mir sagt, was ich aufschreiben soll. Da hab | |
| ich gesagt: „Kinder, kommt, nach zwölf Jahren, können wir das bitte sein | |
| lassen?“ | |
| Zurück in die Lehrlingsrolle wollen Sie mit dem Stedefreund also auch | |
| nicht. | |
| Wenn man mich zwingt, müsste ich mich auch damit auseinandersetzen. Seitdem | |
| Bobby Ewing trotz seines Serientodes plötzlich aus der Dusche gestiegen ist | |
| und anderthalb Jahre „Dallas“ ad absurdum geführt hat, ist im Fernsehen | |
| alles möglich. | |
| Der aktuelle Fall ist im besten Sinne des Wortes ein normaler Krimi. Setzen | |
| sich die Bremer „Tatorte“ schon allein dadurch von den anderen | |
| „Tatort“-Reihen ab, die immer häufiger Sozialdramen, Komödien oder | |
| Heimatfilme sind? | |
| Ja, aber ich finde dieses Bunte und Abwechslungsreiche großartig. Welch | |
| schräge Vögel da plötzlich im „Tatort“ ermitteln: der eine kommt in | |
| Gummistiefeln auf dem Mofa daher, der andere spricht mit seinem Tumor. Was | |
| Besseres konnte gar nicht passieren. Wir erreichen damit so viele junge | |
| Leute. Mich sprechen plötzlich Teenies an! Früher hatte immer die Mutter | |
| die Tochter angestupst und gesagt: „Guck mal, das ist der Stedefreund.“ Und | |
| die Kleine hat geantwortet: „Was? Wer? Ach so, der da, den kenn ich aus der | |
| Schöfferhofer-Werbung.“ | |
| Und diese Abkehr von den Whodunit-, von diesen Wer-war’s?-Krimis nervt Sie | |
| nie? | |
| Ganz im Gegenteil. Ich finde, es ist gerade ordentlich Schwung in der Bude. | |
| Klar, da geht auch mal was daneben und dann schreit jemand mich, den | |
| „Tatort“-Kommissar, am Montag an: „Was ist denn da schon wieder passiert? | |
| Das ist nicht mehr mein ’Tatort‘!“ Und ich muss zurückbrüllen: „Erste… | |
| kommen wir nur zweimal im Jahr, zweitens bin ich freiberuflicher | |
| Schauspieler, und drittens hören Sie auf, auf mich einzutreten.“ Die | |
| Zuschauer nehmen den „Tatort“ halt sehr ernst. Und die Kritiker auch. | |
| Aber sind Sie denn froh, dass Sie in Bremen ermitteln, das in letzter Zeit | |
| eher zu einer klassischen Krimi- beziehungsweise Thriller-Stadt geworden | |
| ist? | |
| Ja. Denn wenn die Drehbücher aus Bremen kommen, ist es einfach schön, weil | |
| ich nie weiß, was da drinsteckt. Hier kümmern wir uns mal um die große | |
| Weltverschwörung, und mal ist es – so wie in dieser Woche – ein klassischer | |
| Whodunit-Krimi, der in einer Nacht spielt, an einem Ort und in der jede | |
| Figur, die auftaucht, erst mal schwerstens verdächtig ist. Diese Vielfalt | |
| ist klasse. Dafür gibt es tolle Autoren und Regisseure und eine Redaktion, | |
| die den Bremer „Tatort“ verteidigt. Denn es drückt ja von allen Seiten: | |
| Hamburg, Hannover, Kiel, überall finden große Sachen statt, und Radio | |
| Bremen ist ja nun mal nicht der größte und reichste Sender. | |
| Deswegen durfte diesmal aus Spargründen nur im Präsidium gedreht werden. | |
| Tja, wir haben halt letztens ordentlich auf die Kacke gehauen. | |
| Mischkalkulation nennt man das. Außerdem ist Begrenzung für die Kunst immer | |
| eine ganz tolle Reibefläche. Wenn du vorher festlegst, dass das alles nur | |
| an einem Ort spielen soll, verzweifelst du womöglich als Drehbuchschreiber, | |
| Dramaturg und Kameramann. Aber da kommst du auf neue Ideen, da entsteht | |
| durch die Enge eine Energie. | |
| Stedefreund wirkt allerdings eher so, als wolle er dieser Enge entfliehen, | |
| als sei er ständig auf dem Sprung. | |
| Der ist nicht auf dem Sprung. Der kommt nicht an. Aber Stedefreund weiß, wo | |
| er hingehört. | |
| Sie machen also noch ein bisschen weiter „Tatort“? | |
| Ja, bis die mich rausschmeißen. | |
| Was wäre denn der passende Abgang für Stedefreund? | |
| Es gibt nichts Schöneres, als so wie Tim Roth in Quentin Tarantinos | |
| „Reservoir Dogs“ vom Anfang bis zum Ende durchzubluten – und dann will ich | |
| in den Armen einer schönen Frau sterben. | |
| Bremen-„Tatort“: „Er wird töten“; So., 20.15 Uhr, ARD | |
| 8 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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