# taz.de -- ARD-Doku übers Dealen: Aus Koks wird Kohle | |
> „Der Schneekönig“ Ronald Miehling war einst Hamburgs größter | |
> Kokaindealer, heute sitzt er im offenen Vollzug – und bereut nichts. | |
Bild: Ronald Miehling: „Das, was ich gemacht hab, dazu steh ich.“ | |
Johnny Depp in „Blow“: Ein amerikanischer Kleinbürgerjunge sucht das | |
Abenteuer, steigt ins Kokaingeschäft mit dem Medellín-Kartell ein, verdient | |
100 Millionen Dollar und verliert sie wieder: Knast, Rückfall, wieder | |
Knast. Ein Spielfilm, dem aber eine reale Geschichte zugrunde liegt. | |
Auch Deutschland hatte seinen „Schneekönig“. Unter diesem Titel hat er | |
schon vor zehn Jahren seine Autobiografie veröffentlicht. Für ein paar | |
Jahre, nicht annähernd so viele, wie er im Knast saß, war Ronald Miehling | |
in den frühen 1990er Jahren Hamburgs größter Kokainhändler. Vielleicht hat | |
Miehling sich ein bisschen zu sehr am Lebensstil des Medellín-Bosses Pablo | |
Escobar orientiert. In Deutschland aber fällt man auf, wenn man beim | |
Mercedes-Händler reinspaziert und die Aldi-Tüte mit 300.000 DM Bargeld auf | |
den Tisch legt: „Zähl mal ab, was du bekommst, ne!“ Er selbst soll damals | |
sein Geld nicht mehr gezählt, sondern gewogen haben. | |
Ein Jugendfreund erinnert sich, wie Miehling eine Folge der Sendung | |
„Aktenzeichen XY ungelöst“ aufgezeichnet und die Videokassette sorgsam | |
archiviert hat. Die Sendung handelte von einer Mordtat, in die Miehling | |
verstrickt gewesen sein soll. Viel Ego macht unvorsichtig. | |
Für Johannes Edelhoff und Timo Großpietsch ist das gut. Sie haben einen | |
sehr sehenswerten Dokumentarfilm über und mit Miehling gedreht. Der ist ein | |
sich gefallender und gefallen wollender, kein vorsichtiger Erzähler: „Das, | |
was ich gemacht hab, dazu steh ich. Und ich muss das ja nicht bereuen, | |
weil, dann hätt ich’s gar nicht machen brauchen. Und wenn das Vorteile | |
bringen sollte bei der Justiz, würde ich auch sagen: ’Ich bereue das.‘ Aber | |
das ist nicht wahr.“ Die Knastjahre waren der einzulösende Einsatz in einem | |
großen Spiel. | |
Der Film kommt ohne Off-Kommentar aus. Er wartet dafür mit einigen | |
Dialogsequenzen auf, die so komisch wie aufschlussreich sind. Bei einem | |
seiner Freigänge aus dem offenen Vollzug trifft Miehling den früheren | |
Drogendealer-Kollegen „Schwabbel“, sie werden grundsätzlich über den | |
Drogenhandel: | |
Schwabbel: „Und soll man das nun verteufeln, was meinst du?“ | |
Miehling: „Nö.“ | |
Schwabbel: „Nö, ne. Nicht unbedingt.“ | |
Miehling: „Aber wieso, jeder macht, was er denkt, ne. Sind alle erwachsen.“ | |
Schwabbel: „Sind alle erwachsene Leute. Das finde ich auch. Deswegen hatte | |
ich auch kein schlechtes Gewissen.“ | |
Ein bisschen später: | |
Miehling: „Hab da so'n Verein gegründet: Antidrogenverein.“ | |
Schwabbel: „Antidrogen. Das ist gut.“ | |
Die alten Kumpels „Schwabbel“, „Heinzel“ und „Milliarden-Mike“. | |
Erinnerungen an die große Sause (warum auch immer bebildert durch | |
80er-Jahre-Diskoszenen), der Antidrogenverein in der hessischen Provinz, | |
ein Besuch bei der Bundesagentur für Arbeit. Ein Mann, der von sich sagt: | |
„Ich bin kriminell geworden, weil ich das so wollte.“ Viele Widersprüche | |
versammelt der Film. So wie die Drogenfahnder die Puzzleteile | |
zusammengesetzt haben, um Miehlings Drogenverein dingfest zu machen, so | |
sitzt der Zuschauer nun auch vor seinem Puzzle – und erstellt das | |
Psychogramm eines Berufsverbrechers, dessen Vater Polizist war. | |
Di., 22.45 Uhr, ARD, „Der Schneekönig“ | |
11 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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