# taz.de -- Debatte Fachkräftemangel: Teilzeitfallen und Warteschleifen | |
> Die Politik macht auf großes Drama: Deutschland gingen die Arbeitnehmer | |
> aus – und zwar schon bald. Warum handelt sie dann nicht? | |
Bild: Wer will, dass der Turm stehen bleibt, darf nicht jammern, sondern muss w… | |
Der Fachkräftemangel ist eine angesagte Sau, die regelmäßig durchs Dorf | |
getrieben wird. So beschwört die deutsche Wirtschaft, dass schon heute ein | |
solches Defizit existiere, obwohl die dafür sichersten Anzeichen – | |
Lohnsteigerungen – nicht nachzuweisen sind. | |
Allenfalls haben wir es derzeit in einigen wenigen Branchen und Regionen | |
mit Fachkräfteengpässen zu tun, darunter in der Pflege, in Erziehungs- oder | |
in einigen Fertigungsberufen sowie in der Gastronomie, die Arbeitskräfte | |
mit ihren niedrigen Löhnen abschreckt. | |
Noch dramatischer fallen die Warnungen aus, wenn es um die Zukunft geht. | |
Über 6 Millionen Erwerbstätige sollen 2025 aufgrund des Geburtenrückgangs | |
fehlen. Das klingt nach Wohlstandsverlust und leergefegten Regionen. | |
Kein Wunder, dass sich mehrere Bundesministerien dem Thema widmen, allen | |
voran das für Arbeit (BMAS). Es koordiniert das 2011 von der Regierung | |
aufgelegte Fachkräftekonzept, das unter anderem darauf setzt, mehr Frauen, | |
Jugendliche ohne Berufsabschluss, darunter solche mit | |
Migrationshintergrund, und Ältere in den Arbeitsmarkt zu bekommen. | |
## „Die größte Erolgsgeschichte“ | |
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lobte sich Ende Januar | |
anlässlich der Präsentation des ersten Zwischenberichts geflissentlich | |
selbst. Es gebe auf wesentlichen Feldern der Fachkräftesicherung bereits | |
deutliche Fortschritte. Für die Ministerin ist vor allem die wachsende | |
Erwerbsbeteiligung der Älteren „die größte Erfolgsgeschichte“. | |
Doch hat diese Entwicklung, wie die steigende Zahl der Erwerbstätigen | |
insgesamt, nichts mit einer Fachkräftestrategie, wohl aber mit | |
längerfristigen Trends zu tun. Auch bei Prognosen über die Anzahl der | |
künftig fehlenden Arbeitskräfte liefert das Ministerium keine belastbare | |
Zahlen. | |
## Zuwanderung ausgeklammert | |
So spricht es davon, dass 2025 bis zu 6,3 Millionen Arbeitskräfte fehlen | |
könnten. Und zieht als Beleg ausgerechnet die unrealistischste der | |
Projektionen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heran. | |
Nämlich diejenige, die Zuwanderung ausklammert. Geht man hingegen von einem | |
jährlichen Zuwanderungsplus von 100.000 Personen aus, sinkt die Zahl der | |
Erwerbsfähigen bis 2025 nur um etwa 3,5 Millionen Personen. | |
Die aktuellen Entwicklungen zeigen, wie schnell die Realität die Theorie | |
überholen kann. Seit zwei Jahren wächst die Bevölkerung in Deutschland. | |
Immer mehr Osteuropäer kommen, seit die letzte Hürde für die | |
Arbeitnehmerfreizügigkeit gefallen ist. Auch aus den südeuropäischen | |
Krisenstaaten treibt es die Menschen notgedrungen hierher. So wird das | |
Zuwanderungsplus 2012 wohl mindestens 340.000 Personen betragen, schätzt | |
das Statistische Bundesamt. | |
Wenn aber die Politik schon eine Dramatisierung des Fachkräftemangels | |
bemüht, wäre zu erwarten, dass sie sinnvolle Weichenstellungen vornimmt. | |
Weit gefehlt. | |
## Wo sollen Ältere denn arbeiten? | |
Beispiel ältere Beschäftigte. Ihre Zahl steigt. Aber nicht unbedingt, weil | |
es attraktiver geworden ist, länger zu arbeiten, sondern weil die 2007 | |
beschlossene Rente mit 67 die Menschen dazu zwingt. Gleichzeitig bieten nur | |
19 Prozent aller Betriebe überhaupt spezielle Maßnahmen für Ältere an. | |
Während Beschäftigte also länger arbeiten müssen, um nicht mit Abschlägen | |
in Rente zu gehen, bleibt es bei Appellen an die Unternehmen, das Potenzial | |
älterer Beschäftigter nicht zu vernachlässigen. Den Betrieben bloß nicht zu | |
nahe treten, lautet das Motto der Bundesarbeitsministerin. Das sieht man | |
jüngst auch an ihrer Weigerung, nachdrücklich für eine Verordnung gegen | |
psychische Belastungen am Arbeitsplatz einzutreten. Sie wäre zwar kein | |
Allheilmittel, aber ein kleiner Schritt, verbindlich dagegen vorzugehen. | |
Beispiel erwerbstätige Frauen. Ihre Zahl ist zwischen 2006 und 2011 von 65 | |
auf 71,1 Prozent gestiegen. Allerdings arbeitet jede zweite Frau nur | |
Teilzeit. Und die durchschnittliche Wochenarbeitszeit dieser | |
Teilzeitarbeiterinnen zählt mit 18,6 Stunden zu den niedrigsten Europas. | |
Die Übergänge in Vollzeit müssten „geschmeidiger“ gestaltet werden, | |
schlussfolgert von der Leyen. Und was tut sie? Sie zementiert mit ihrer | |
Ausweitung der Minijob-Verdienstgrenze von 400 auf 450 Euro | |
Arbeitsverhältnisse, die als Teilzeitfalle mit geringsten Stundenzahlen und | |
ohne Chance auf Qualifizierung funktionieren. Für mittlerweile rund 3,16 | |
Millionen Frauen ist so ein Minijob die einzige Form des Broterwerbs, | |
obwohl sich viele Frauen wünschen, mehr und besser bezahlt zu arbeiten | |
(natürlich wünschen sich viele auch bessere Kinderbetreuungsangebote). | |
## Die Erfolge der anderen | |
Beispiel Jugendliche: Fachkräftesicherung fängt bei guter Ausbildung an. | |
Doch immer noch sortiert man Kinder früh auf Gewinner- und | |
Verliererschultypen. Später folgt die Quittung. So landet jedes Jahr fast | |
jeder Dritte Jugendliche, darunter vor allem Kinder mit einem | |
Hauptschulabschluss und mit Migrationshintergrund, im sogenannten | |
Übergangssystem statt auf einem regulären Ausbildungsplatz. Mit Praktika | |
oder Einstiegsqualifizierungen beginnen jahrelange Warteschleifenkarrieren, | |
die die offizielle Statistik nicht widerspiegelt. 2,2 Millionen der 20- bis | |
34-Jährigen haben keinen Berufsabschluss. | |
Doch statt das Übergangssystem, wie es Experten seit Jahren fordern, | |
grundlegend zu reformieren und die Betriebe stärker für die Ausbildung in | |
die Pflicht zu nehmen, bleibt die Politik passiv. Jetzt sollen sich | |
zumindest die Arbeitsagenturen verstärkt der Nachqualifizierung der | |
Jugendlichen widmen. Mehr Geld gibt es dafür aber nicht. Das Budget für | |
Arbeitsmarktpolitik wurde 2011 vielmehr deutlich gekürzt. Dabei wäre es | |
sinnvoll, mehr in die Nachqualifizierung Jüngerer, aber auch in die | |
langfristig angelegte Umschulungen Älterer zu investieren. | |
Der auf Hochglanzpapier gedruckte Fortschrittsbericht hat mit der Realität | |
wenig zu tun – und das wird so bleiben. Die Eurokrise wird noch mehr und | |
gut qualifizierte MigrantInnen zu uns bringen. Das senkt die Anreize, an | |
entscheidenden Punkten umzusteuern. Man kann ja alles so schön billig | |
haben. Und sich in Erfolgen sonnen. Auch wenn es nicht die eigenen sind. | |
25 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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