# taz.de -- Die Wahrheit: Der kranke Onkel | |
> Andere Leute mögen andere Sorgen haben. Aber die haben auch nicht meine | |
> Heizung – oder besser: den kranken Onkel im Keller, wie sie bei uns | |
> heißt. | |
Mein Leben scheint mir derzeit ganz in Ordnung zu gehen. Wie es der Lord in | |
meiner aktuellen Lieblingsserie ausdrückt: „Ich habe nicht das Recht, | |
unglücklich zu sein.“ Da ist was Wahres dran, wenn man das | |
Gesamtweltgeschehen und die internationale Klimapolitik mal ausblendet. | |
Oder, um den Freund eines Freundes zu zitieren: „Keine Panik, es läuft, es | |
läuft.“ | |
Aber immer, wenn ich mich mal so richtig selbstgerecht und zufrieden | |
zurücklehnen möchte, klemmt es an irgendeiner Ecke. Das Auto geht kaputt, | |
das Internet bricht zusammen, die feuchte Stelle an der Kaminwand wird | |
größer und die Heizung … die Heizung, oh je. | |
Ich weiß, dass andere Leute ganz andere Sorgen haben. Das sage ich mir | |
auch. Es ist ein Fehler in meiner Persönlichkeitsstruktur, wegen eines | |
uneinsichtigen Telekom-Mitarbeiters in Tränen auszubrechen und mit einem | |
Hammer auf den defekten Router einzuschlagen. Mit dem Alter wird die | |
Gelassenheit kommen, denke ich. Vielleicht werde ich ja irgendwann neunzig | |
und kann dann keinen Hammer mehr heben. | |
Aber es nützt nichts, mir Vorwürfe zu machen, denn diese Pseudosorgen | |
brüllen mich trotzdem an. Kümmere dich um mich! Warum sitzt du am Sonntag | |
mit einem dicken Buch auf dem Sofa, anstatt endlich dein Leben in Ordnung | |
zu bringen? Wäre es dafür nicht ein guter Anfang, die Spinnweben hinter den | |
Lampen zu entfernen? Solltest du den Maurer oder den Dachdecker zuerst | |
verständigen? Wieso schläfst du nachts überhaupt noch? Und hättest du nicht | |
letzten Monat schon zum Zahnarzt gehen sollen? | |
Ich lebe mit einem Mann zusammen, der handwerklich geschickt ist und | |
darüber hinaus einen Dachdecker von einem Maurer unterscheiden kann. Sein | |
wohltuender Einfluss führt dazu, dass ich zumindest die halbe Nacht ruhig | |
schlafen kann, während ich in der anderen Hälfte Arno Schmidts Frühwerk auf | |
dem Tenorsaxophon vortragen muss und deshalb schweißgebadet aufwache. Aber | |
leider hat auch der Liebste Respekt vor dem kranken Onkel im Keller, der | |
bei anderen Leuten Heizung heißt. | |
Unser kranker, uralter Onkel hat ein eigenes Zimmer mit Stahltür. Wir tun | |
immer, als sei er gar nicht da. Das erleichtert uns das Leben über weite | |
Strecken, führt aber irgendwann zum Totalzusammenbruch des Onkels. Wasser | |
ergießt sich in den Keller, die Temperatur sinkt, es ist Wochenende, der | |
Klempner weint, wenn wir ihn anrufen, und Arno Schmidts Frühwerk friert | |
ein. | |
Jetzt sei nichts mehr zu retten, sagt der Klempner, der Kessel Schrott, die | |
Steuerung im Eimer. Er legt sein „Tut mir leid, aber das wird | |
teuer“-Lächeln auf, ich antworte mit meinem „War ja klar“-Gesicht. Wenn … | |
schon mal eine Heizung habe, geht sie natürlich nach 35 Jahren kaputt, was | |
sonst. | |
Der Klempner schafft es, die neue Heizung noch vor unserem Urlaub zu | |
installieren. Leider funktioniert sie nicht. Als wir zurückkommen, ist | |
wieder Wochenende, und im Tenorsaxophon sind die tiefen Töne festgefroren. | |
Katastrophen haben ja manchmal auch etwas Positives. | |
12 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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