# taz.de -- Geschäft mit Knackis: In der Telefon-Zelle | |
> Wenn Erol Yilmaz in der Türkei anruft, muss er auf Telio zurückgreifen. | |
> Wie die Firma mit ihren Telefonanlagen im Gefängnis Profit macht. | |
Bild: Der Kontakt nach außen ist für den Häftling lebensnotwendig - und meis… | |
BERLIN taz | Erol Yilmaz müsste seinen Telefonanbieter dringend wechseln. | |
„Die Preise sind unglaublich“, sagt der Mann, dessen richtiger Name der taz | |
bekannt ist. Für jede Minute, die er mit seiner Familie telefoniert, bucht | |
das Unternehmen Telio neun Cent von seinem Benutzerkonto ab. Ortstarif. | |
Ferngespräche kosten 20 Cent, Anrufe auf das Handy 60 Cent. Wenn Yilmaz am | |
Ende des Ramadans in der Türkei anruft, um seinem Onkel ein frohes Fest zu | |
wünschen, zahlt er 80 Cent pro Minute. Ein gängiger Tarif für reguläre | |
Festnetzanschlüsse beträgt 4,9 Cent pro Minute in die Türkei. | |
Erol Yilmaz’ Problem besteht darin, dass er keine Wahl hat. Denn sein | |
Telefon hängt in der JVA Berlin-Tegel. Zwar kann er dank Telio jeden Abend | |
mit seiner Frau und den beiden Kindern sprechen; sonst bleiben ihm dafür | |
nur Briefe und Besuche: Viermal im Monat, je dreißig Minuten. Aber die | |
Preise machen ihn fertig. | |
Immerhin gehört Yilmaz in Tegel zu den Besserverdienern. Er arbeitet in der | |
Redaktion der Gefangenenzeitung Lichtblick, befindet sich in der höchsten | |
Lohngruppe und verdient 14 Euro pro Tag. Wer keinen Job in der Redaktion, | |
der Küche oder der Wäscherei findet, erhält nur Taschengeld – rund 30 Euro | |
im Monat. Davon bezahlen die Gefangenen Sonderwünsche wie Kaffee und | |
Zigaretten. Viele müssen zusätzlich Prozesskosten abstottern. | |
## Telio beherrscht den Markt | |
Wer aus Serbien, Marokko oder Russland stammt, hat es noch schwerer als | |
Yilmaz. Anrufe dorthin kosten noch mehr: bis zu 1,40 Euro pro Minute. Die | |
Preisgestaltung ist klug gewählt, denn etwa jeder dritte Inhaftierte in | |
Deutschland stammt aus dem Ausland. | |
Nicht nur in der JVA Tegel: Deutschlandweit verdient Telio in über 90 | |
Gefängnissen bei allen Anrufen der Häftlinge mit. Das Unternehmen ist | |
Marktführer und längst auch im Ausland aktiv: In einigen Ländern Europas | |
und sogar in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat Telio Telefonanlagen | |
in Gefängnissen installiert. Im Jahr 2011 lag der Umsatz nach eigenen | |
Angaben bei insgesamt 15 Millionen Euro, in Deutschland bei vier Millionen. | |
## Reicher Eigentümer | |
Das Unternehmen gehört über eine Reihe von Beteiligungsgesellschaften der | |
Hamburger Unternehmerfamilie Möhrle. Deren Holding residiert an der | |
Hamburger Binnenalster. Das Manager Magazin schätzt das Vermögen der | |
Möhrles auf 850 Millionen Euro. Familienoberhaupt Peter Möhrle, inzwischen | |
80 Jahre alt, hat einst die Baumarktkette Max Bahr aufgebaut und vor | |
einigen Jahren verkauft. Über eine Stiftung unterstützt die Familie die | |
Pflege von Denkmälern in Hamburg und Umgebung. Sie stiftete den | |
Peter-Möhrle-Preis, mit dem die HafenCity Universität kreative | |
Bachelorarbeiten auszeichnet. | |
An die CDU spendet Peter Möhrle jährlich bis zu 25.000 Euro. Vor allem | |
investiert die Familie aber in Immobilien und in Unternehmen mit | |
langfristigen Profitaussichten – Unternehmen wie Telio. | |
Im Jahr 1998 gegründet, schlüpfte das Start-up in eine Marktnische. | |
Telefonieren konnten Häftlinge in einigen Gefängnissen schon vorher, | |
meistens über Münztelefone der Telekom und ebenfalls zu hohen Tarifen. Oft | |
mussten sich Hunderte Häftlinge ein Telefon teilen. | |
„Die Gefängnisdirektoren wollten nicht, dass in ihren Anstalten Bargeld | |
kursiert“, sagt der Kriminologe und Strafvollzugsexperte Johannes Feest. Zu | |
groß war die Sorge davor, dass Häftlinge untereinander auf dem Schwarzmarkt | |
handeln. Auch Kartentelefone lösten das Problem nicht: Angeblich | |
missbrauchten Gefangene die Karten als Ersatzwährung. „Die Anstalten | |
wollten den Ärger loswerden, damit schlug die große Stunde von Telio“, sagt | |
Feest. | |
## Installtion und Wartung gratis | |
Die Telio-Apparate brauchen weder Münzen noch Telefonkarten. Auf 20 | |
Gefangene kommt ein Telefon, jeder Nutzer bekommt eine Benutzer- und eine | |
PIN-Nummer. Meldet er sich damit an, erkennt das Telefon, wie hoch sein | |
Guthaben ist und welche Nummern er anrufen darf. Die Häftlinge sollen | |
ehemalige Opfer oder Komplizen nach Möglichkeit nicht erreichen. Wo es | |
Gesetze und Richter erlauben, können Vollzugsbeamte Telefonate mithören und | |
aufzeichnen. | |
„Telio-Anlagen ermöglichen maximale Kontrolle bei minimalem Aufwand“, | |
schreibt das Unternehmen in seiner Werbebroschüre. | |
Telio installiert und wartet die Telefonanlagen, verwaltet die | |
Gesprächsguthaben und unterhält für seine Kunden eine Beschwerde-Hotline. | |
Die Justizvollzugsanstalten müssen sich um kaum etwas selbst kümmern. Vor | |
allem: Sie müssen nichts bezahlen. Telio finanziert sich ausschließlich | |
über die Gesprächskosten der Häftlinge. | |
„Unser Geschäftsmodell ist mit dem normaler Telefonanbieter nicht | |
vergleichbar“, sagt Telios Geschäftsführer Oliver Drews. „Wir bedienen | |
keinen Massenmarkt mit Millionen Kunden.“ 23.000 Häftlinge telefonieren in | |
Deutschland über das Unternehmen, viele laut Drews nur ein paar Minuten pro | |
Monat. Von den Einnahmen muss Telio die Sicherheitsvorkehrungen | |
finanzieren, die sich die Anstalten für ihre Telefonanlagen wünschen. | |
Zumindest liegen die Tarife unter denen, die die Telekom an öffentlichen | |
Telefonzellen verlangt. | |
## Kontakt nach außen ist wichtig | |
Im Jahr 2012 konnten Inhaftierte ihre Telefonkosten zumindest kurzzeitig | |
senken. Der Berliner Anbieter Rufpin wollte an den Anrufen der Häftlinge | |
mitverdienen. Er bewarb eine Call-by-Call-Nummer speziell für Häftlinge, | |
über die diese für insgesamt 39 Cent ins Ausland telefonieren konnten. Der | |
Großteil davon ging an Rufpin, Telio blieb nur der Ortstarif. | |
Das ließ sich der Marktführer nicht lange bieten. Er erwirkte beim | |
Landgericht Hamburg, dass Rufpin sein Angebot einstellt. Die Gefangenen | |
telefonieren wieder zu höheren Tarifen. | |
„Die hohen Kosten sind natürlich ein Problem“, sagt Kriminologe Feest. | |
„Telefonate sind wichtig, um Kontakte nach draußen zu erhalten und damit | |
auch für eine erfolgreiche Resozialisierung.“ Dafür also, dass der | |
Gefangene nach seiner Entlassung in Freiheit zurechtkommt. Auch der | |
Saarbrücker Strafverteidiger Christoph Clanget kritisiert die hohen Tarife. | |
Er richtet seinen Vorwurf aber nicht an Telio, sondern an die | |
Justizministerien. „Überall bemüht sich die Verwaltung, Kosten niedrig zu | |
halten. Aber wenn irgendwelche Gefangenen zahlen, ist der Preis egal.“ | |
## Neue Konkurrenz | |
Die Ministerien behaupten dagegen, dass an Telio kein Weg vorbeiführe. Die | |
Installation und den Betrieb der Telefonanlagen in den Gefängnissen | |
schreiben sie öffentlich aus. Die Tarife sind eines der Auswahlkriterien. | |
Oft gebe aber nur ein Anbieter ein Angebot ab – und zwar Telio. | |
Anders lief es bei der JVA Berlin-Heidering, die demnächst ihren Betrieb | |
aufnimmt. Hier bewarben sich drei Telefonanbieter. Die Telekom gab das | |
teuerste Angebot ab und schied aus. Telio landete auf Platz zwei. „Unser | |
Angebot sah vor, dass sich der Staat an den Kosten beteiligt“, sagt | |
Geschäftsführer Drews. So habe man die Gefangenen entlasten wollen. Das | |
Land Berlin wollte aber kein Geld ausgeben. Die Senatsverwaltung sagt: „Der | |
Zuschuss hätte aus dem laufenden Haushalt gar nicht erbracht werden | |
können.“ | |
Den Zuschlag erhielt schließlich die LIM GmbH, ein Unternehmen aus Cottbus, | |
das sich auf dem Markt etablieren will. Auch ohne staatlichen Zuschuss bot | |
das Unternehmen billigere Tarife als Telio. 10 Cent für Gespräche ins | |
deutsche Festnetz, 30 Cent auf Handys, 15 bis höchstens 80 Cent ins | |
Ausland. Achim Dosdall, LIM-Geschäftsführer, sagt: „Wenn ich erfolgreich | |
sein will, brauche ich die Akzeptanz der Gefangenen. Die erreiche ich nicht | |
durch Mondpreise.“ | |
Um ihren Häftlingen noch billigere Tarife zu verschaffen, bliebe den | |
Ministerien und Anstalten nur eine Möglichkeit: Sich selbst um die | |
Telefonanlagen zu kümmern. | |
## Free-TV für 12,95 Euro | |
So wie die JVA Celle. Dort zahlen die Gefangenen für alle Anrufe sechs Cent | |
pro Minute. Egal, ob ins Festnetz, auf Handys oder ins Ausland. Die | |
Telefonanlage wurde aus Landesmitteln bezahlt. Vor jedem Telefonat muss ein | |
Vollzugsbeamter die Nummer erst überprüfen, dann wählen und das Gespräch | |
schließlich auf die abgeschirmte Telefonzelle der Gefangenen umstellen. | |
Die JVA Celle ist ein Hochsicherheitsgefängnis. Dort arbeiten mehr Beamte | |
als in normalen Anstalten, Telefongespräche müssen sie ausnahmslos | |
mithören. Ob das Personal die Verbindung vorher selbst herstellt oder | |
nicht, spielt da keine große Rolle. | |
Andere Anstalten werden sich die JVA Celle also kaum zum Vorbild nehmen; | |
und Telio steht schon mit einem neuen Produkt in den Startlöchern. Es heißt | |
Multio und besteht aus Bildschirm, Tastatur und Telefonhörer. In sieben | |
Gefängnissen ist Multio bereits im Einsatz. Über die Geräte können | |
Häftlinge telefonieren, DVDs oder Fernsehen schauen und theoretisch sogar | |
im Internet surfen – zumindest streng kontrolliert auf ausgewählten Seiten. | |
Wer alle Free-TV-Sender will, zahlt monatlich 12,95 Euro Gerätemiete. Als | |
die JVA Tonna (Thüringen) das System im vergangen Jahr einführte, | |
protestierten 14 Gefangene. Erfolglos, aber drastisch: Sie traten in den | |
Hungerstreik. | |
17 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
## TAGS | |
Gefängnis | |
Knast | |
Telekommunikation | |
Telekom | |
telefonieren | |
JVA | |
Gefängnis | |
Internet | |
Knast | |
JVA | |
Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Polizeihund wittert im Knast: Dresdens neuer Handyschnüffler | |
Egal, wie klein ein Handy ist, ob ein- oder abgeschaltet – Polizeihund | |
Artus findet es. Er ist Deutschlands erster Handyspürhund. | |
Kommentar Internet und Knast: Smartphones für alle Inhaftierten! | |
Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche | |
Brisanz. Alle Inhaftierten sollten freien Zugang zum Internet bekommen. | |
Internet für Häftlinge: Leben hinter Gittern – und ohne Netz | |
Im Knast ohne Facebook, Wikipedia und Google: Die meisten der 70.000 | |
Häftlinge in Deutschland haben keinen Zugang zum Internet. Wie lange noch? | |
Haftalltag in Deutschland: Acht Quadratmeter Wochenende | |
In der JVA Lübeck arbeiten zu wenige Beamte. Kommt es dann zu Engpässen, | |
bleiben die Türen zu den Zellen geschlossen. 23 Stunden am Tag. | |
Gefängnisse in Berlin: Im Knast sind doch noch Zimmer frei | |
Insassen der JVA Tegel fürchten eine Revolte wegen schlechter | |
Haftbedingungen. Die Justizverwaltung reagiert umgehend – mit Einzelzellen. |