# taz.de -- Internet für Häftlinge: Leben hinter Gittern – und ohne Netz | |
> Im Knast ohne Facebook, Wikipedia und Google: Die meisten der 70.000 | |
> Häftlinge in Deutschland haben keinen Zugang zum Internet. Wie lange | |
> noch? | |
Bild: Kein Netz in Sicht. | |
BERLIN taz | Robert Klingers (Name geändert) Facebook-Freunde sollen nicht | |
wissen, dass er im Gefängnis sitzt. Vor seiner Inhaftierung arbeitete er in | |
der Tourismusbranche, reiste durch ganz Europa und sammelte überall | |
Bekanntschaften. Über Facebook hielt er seine Kontakte auf dem neuesten | |
Stand: „War in Prag.“ „Bin aus dem Urlaub zurück.“ | |
Seit zwei Jahren loggt sich Klingers Lebensgefährtin mit seinen Daten ein. | |
Ab und zu sendet sie unter seinem Namen ein Lebenszeichen. Zum Beispiel | |
nach seinem Geburtstag, wenn ihm alle gratuliert haben und sich nicht | |
wundern sollen, warum er nicht antwortet. Er selbst sitzt in der JVA | |
Berlin-Tegel, und von dort kann er weder Facebook aufrufen noch Wikipedia, | |
Nachrichtenseiten oder irgendwelche andere Homepages. | |
Das Internet mag fast allgegenwärtig sein, deutsche Gefängnismauern | |
durchdringt es bisher jedoch selten. Viele Anstalten haben zwar | |
Computerräume eingerichtet und vermitteln Inhaftierten rudimentäre | |
PC-Kenntnisse; um Langzeitgefangenen das Netz näherzubringen, laden manche | |
EDV-Abteilungen auch Internetseiten runter. In acht Gefängnissen dürfen | |
studierende Häftlinge die Server der Fernuni Hagen ansteuern. | |
## Eine unerwünschte Aufweichung | |
Aber für den Großteil der fast 70.000 Inhaftierten ist keinerlei | |
Internetzugang vorgesehen. „Wir schreiben das Jahr 2013, und viele | |
Strafvollzugsgesetze äußern sich nicht einmal zur Zulässigkeit des | |
Internets im Strafvollzug. Das finde ich fragwürdig“, sagt Florian Knauer, | |
Jurist und Mitglied des Berliner Vollzugsbeirats. | |
Befürworter einer harten Linie im Strafvollzug sehen im Internetzugang eine | |
unerwünschte Aufweichung: „Begrenzten Internetzugang zu Ausbildungs- und | |
Qualifizierungszwecken befürworte ich, aber eine Haftanstalt darf nicht zum | |
Luxushotel werden“, sagt beispielsweise Danny Eichelbaum, Rechtsexperte der | |
CDU-Fraktion in Brandenburg. | |
Andere befürworten einen Zugang zum Internet, um die Resozialisierung zu | |
erleichtern: „IT-Nutzung, Internet und E-Mails sind Kulturtechniken unserer | |
Zeit. Ein Gefangener, der das nicht beherrscht, ist in Freiheit | |
benachteiligt und wird sich bei der Wiedereingliederung schwerer tun“, sagt | |
der Kriminologe Walter Hammerschick. | |
Das heißt auch: Wer während der Haftzeit soziale Netzwerke nutzt, steht | |
hinterher nicht ohne Freunde da. Wer vor der Entlassung eine Wohnung sucht, | |
sollte die entsprechenden Internetbörsen kennen. Und wer später als | |
Lagerist arbeitet, muss die Lagersoftware bedienen können. | |
Dieter Wurm, der vor zehn Jahren ins Gefängnis kam, hätte damit seine | |
Probleme. „Meine damalige Freundin hatte Internet, da habe ich manchmal ein | |
bisschen reingeschaut“, sagt der 56-Jährige. Im Zeitalter der globalen | |
Vernetzung sind zehn Jahre eine Ewigkeit: 2003 lebte die Hälfte der | |
Deutschen noch offline, die Telefonsoftware Skype war ganz neu und Facebook | |
folgte erst ein Jahr später. | |
Seit 2009 hat Wurm zumindest einen beruflichen E-Mail-Account. Mit drei | |
weiteren Häftlingen arbeitet er für den Lichtblick, die Gefangenenzeitung | |
der JVA Tegel. Die vier mussten sich verpflichten, den Mail-Zugang auf | |
keinen Fall privat zu nutzen. Mit Zustimmung des Senats kann die Anstalt | |
austesten, wie die Gefangenen mit dem Internet umgehen. Die Beamten können | |
den Mailverkehr jederzeit überprüfen. | |
„Die Redakteure achten auch untereinander darauf, dass kein Missbrauch | |
betrieben wird“, sagt JVA-Sprecher Lars Hoffmann. Neben den | |
Lichtblick-Mitarbeitern haben noch vier weitere Häftlinge in Tegel | |
begrenzten Zugang zum Internet, sie studieren an der Fernuniversität Hagen. | |
## Die Lücke | |
Von Regelverstößen wissen die Verantwortlichen der Fernuni nichts, der | |
Tegeler Gefängnis-Sprecher Hoffmann dagegen berichtet von einem | |
Fernstudenten, der die Sicherheitsvorkehrungen umging: „Wir haben | |
festgestellt, dass er Dateien von draußen empfangen hat. Wir wissen auch, | |
wie er das gemacht hat, aber nicht, welchen konkreten Text die Dateien | |
enthalten haben“, sagt Hoffmann. Die Lücke wurde geschlossen, der Häftling | |
musste sein Studium abbrechen. | |
Auch in der JVA Geldern am Niederrhein durften einige Gefangene ins Netz. | |
Hier waren die Sicherheitsvorkehrungen lascher. „Leider wurde der | |
Internetzugang an allen Computern ausgenutzt. Die Inhaftierten haben | |
illegal Musik heruntergeladen und in einem Fall fanden wir verbotene | |
pornografische Inhalte“, sagt Peter Marchlewski, Sprecher des | |
Justizministeriums Nordrhein-Westfalen. Das Ministerium kappte daraufhin | |
den Zugang in allen Gefängnissen des Landes. Seit Kurzem dürften zwei | |
Häftlinge online studieren – unter ständiger Aufsicht eines Mitarbeiters. | |
Allerdings: Nicht alles, was im Gefängnis verboten ist, bleibt wirklich | |
draußen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass einige Häftlinge Handys und | |
Smartphones in ihren Zellen verstecken. Wer damit online ist, entgeht | |
jeglicher Kontrolle. | |
Zudem bleibt selbst in bewachten Computerräumen ein Restrisiko. Es lässt | |
die verantwortlichen Politiker zögern, die Vorschriften zu lockern. Nicht | |
nur in Deutschland, sondern auch europaweit lassen nur wenige Staaten ihre | |
Häftlinge ins Netz: „Das Internet birgt schier unendliche Möglichkeiten des | |
Missbrauchs“, sagt die Sprecherin des Berliner Justizsenators. „Es ist | |
unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Strafvollzug keine Straftaten | |
begangen werden, und schon gar nicht mit unserer Hilfe.“ Sollten etwa | |
Kinderpornos über die Leitung eines Gefängnisses geladen oder versandt | |
werden, dürfte der Volkszorn hochkochen. | |
## Modell Norwegen: Zugang überall – aber gefiltert | |
Weniger restriktiv ist die Politik in Norwegen: Dort sind seit 2010 alle | |
Gefängnisse eingeschränkt mit dem Internet verbunden. Tippt ein Gefangener | |
eine Adresse ein, durchläuft sie einen Filter, der zwischen verschiedenen | |
Kategorien unterscheidet. Die Häftlinge können Webseiten aus den Kategorien | |
Bildung oder Nachrichten aufrufen. Gewalt- oder Pornografie-Seiten hingegen | |
sind gesperrt. Das alles ist sehr aufwendig, die Kontrollen werden ständig | |
aktualisiert. | |
Trotzdem könnte das Modell zum Vorbild für Deutschland werden. | |
Rechtswissenschaftler Florian Knauer: „Die Frage ist nicht, ob das Internet | |
in die Gefängnisse kommt, sondern wann und wie. Das sagen sogar Leute aus | |
den Justizverwaltungen.“ | |
Dass der Strafvollzug der technischen Entwicklung hinterherhinkt, ist dabei | |
nichts Neues: Auch Radio- und Fernsehgeräte landeten erst in den 80er | |
Jahren in den Zellen – nachdem sie in den Wohnzimmern schon lange ihren | |
Platz gefunden hatten. | |
18 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
A. Frommeyer | |
T. Schulze | |
## TAGS | |
Knast | |
Internet | |
Gefängnis | |
Schwerpunkt Thüringen | |
Gefängnis | |
Gefängnis | |
Internet | |
Internet | |
HipHop | |
JVA | |
Gefängnis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Pilotprojekt zu Kindern inhaftierter Eltern: 878 Tage ohne Papa | |
Hannas Vater sitzt im Gefängnis. Psychologen sagen, dass seine Haft auch | |
Hanna bestraft. Zum Glück gibt es die Treffen am Montag. | |
Privater Maßregelvollzug: Intransparente Justiz-Geschäfte | |
In Thüringen sind die Kosten für psychisch kranke Straftäter nach der | |
Privatisierung explodiert. Das Land ächzt unter der Bürde nicht einsehbarer | |
Verträge. | |
Polizeihund wittert im Knast: Dresdens neuer Handyschnüffler | |
Egal, wie klein ein Handy ist, ob ein- oder abgeschaltet – Polizeihund | |
Artus findet es. Er ist Deutschlands erster Handyspürhund. | |
Geschäft mit Knackis: In der Telefon-Zelle | |
Wenn Erol Yilmaz in der Türkei anruft, muss er auf Telio zurückgreifen. Wie | |
die Firma mit ihren Telefonanlagen im Gefängnis Profit macht. | |
Uni-Mitarbeiterin über Internet im Knast: „Die Leitungen sind getunnelt“ | |
Kirsten Pinkvoss, an der Fernuniversität Hagen zuständig für studierende | |
Häftlinge, sieht keine Gefahr des Netzmissbrauchs. Geprüft wird auch in | |
Videokonferenzen. | |
Kommentar Internet und Knast: Smartphones für alle Inhaftierten! | |
Wer die Risiken des Internets durchdekliniert, entzaubert die tatsächliche | |
Brisanz. Alle Inhaftierten sollten freien Zugang zum Internet bekommen. | |
Knast-HipHop: „Schön, wenn's draußen regnet“ | |
Die Rapper von GittaSpitta haben ein Album über ihre Erfahrungen im | |
Gefängnis aufgenommen. „9 qm“ ist ein Mix aus Musik und Hörspiel. | |
Haftalltag in Deutschland: Acht Quadratmeter Wochenende | |
In der JVA Lübeck arbeiten zu wenige Beamte. Kommt es dann zu Engpässen, | |
bleiben die Türen zu den Zellen geschlossen. 23 Stunden am Tag. | |
Altwerden im Gefängnis: Kein Geld für Knastrentner | |
Die Zahl alter Menschen hinter Gittern steigt, doch Gefängnisse sind nicht | |
für ihre Bedürfnisse ausgelegt. Selbst einem Pilotprojekt fehlt Geld für | |
Altenpfleger. |