# taz.de -- Privater Maßregelvollzug: Intransparente Justiz-Geschäfte | |
> In Thüringen sind die Kosten für psychisch kranke Straftäter nach der | |
> Privatisierung explodiert. Das Land ächzt unter der Bürde nicht | |
> einsehbarer Verträge. | |
Bild: Privater Maßregelvollzug in Stadtrhoda. | |
DRESDEN taz | Die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben macht auch vor dem | |
Justizvollzug nicht Halt: 6 von 16 Bundesländern privatisierten im | |
vergangenen Jahrzehnt ihren Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter | |
auch funktionell, weitere drei änderten die Rechtsform ihrer Anstalten. | |
Thüringen gibt ein besonders krasses Beispiel, wie diese Privatisierung | |
nach hinten losgeht. Die Linksfraktion des Landtages prangerte jetzt die | |
drastisch gestiegenen Kosten an. | |
Thüringen hatte noch in der Regierungszeit von Ministerpräsident Bernhard | |
Vogel (CDU) 2002 als erstes Bundesland seine drei | |
Maßregelvollzugseinrichtungen vollständig privatisiert. | |
Die Einrichtungen in Mühlhausen, Stadtroda und Hildburghausen waren | |
sanierungsbedürftig, das Land scheute die Kosten. Doch die bis heute nicht | |
öffentlich einsehbaren Verträge bürdeten dem Land nicht nur die laufenden | |
Ausgaben auf, die wegen der erforderlichen Therapie beim Maßregelvollzug | |
bis zum Dreifachen des gewöhnlichen Strafvollzugs betragen. Das Land | |
verpflichtete sich auch zur Begleichung der Investitionskosten. | |
Beliefen sich die Gesamtkosten vor der Privatisierung noch auf maximal 12 | |
Millionen Euro jährlich, stiegen sie seither stetig an und liegen im | |
laufenden Jahr bei 35 Millionen Euro für rund 300 Insassen. | |
Verantwortlich dafür sind nicht nur gestiegene Fallzahlen, die bundesweit | |
inzwischen bei etwa 10.000 Gefangenen im Maßregelvollzug liegen. Auch die | |
Verweildauer hat sich erhöht. | |
## Lange Verweildauer | |
Ein Gutachten der Fernuniversität Hagen von 2010 äußerte den Verdacht, die | |
privaten Betreiber könnten ein Interesse an längeren Verweilzeiten | |
entwickeln, weil sie ihre Tagessatz-Rechnungen nur nach tatsächlich | |
belegten Plätzen stellen. | |
Höherer Personalbedarf ist nach Angaben der Betreiber auch durch die | |
erweiterten Unterbringungsbauten bedingt. Die Linke in Thüringen sieht vor | |
allem Intransparenz bei den Abrechnungen als eine der Ursachen für die | |
Kostenexplosion an. | |
Das Sozialministerium verfügt bei den auf 20 Jahre geltenden Verträgen, die | |
fünf Jahre vor Ablauf gekündigt werden müssten, kaum über Einfluss. | |
Alternative staatliche Einrichtungen gibt es nicht mehr. | |
## Es gibt keine Alternative | |
„Das Land ist quasi machtlos gegenüber den Trägern“, sagt der | |
Landtagsabgeordnete Matthias Bärwolff. Auch der Landesrechnungshof hatte | |
2010 die mangelhafte betriebswirtschaftliche Grundlage der | |
Kostenabrechnungen kritisiert. | |
Nicht allein bei der Linken bestehen außerdem nach dem | |
Verfassungsgerichtsurteil zum privatisierten Maßregelvollzug in Hessen | |
verfassungsrechtliche Bedenken. Eingriffe in Grundrechte etwa durch | |
Fixierung oder Zwangsmedikation sind nur Staatsbeamten erlaubt. | |
Darauf hatte das Bundesverfassungsgericht 2012 hingewiesen, das hessische | |
Modell einer Aufgabenübertragung an den Landeswohlfahrtsverband mit seinen | |
öffentlich-rechtlichen Bediensteten aber für zulässig erklärt. | |
## In der Grauzone | |
Für die Vollprivatisierung in Thüringen sei dieses „Beleihungsmodell“ | |
problematisch, meint der Linke Bärwolff. | |
Nach einem Auftragsgutachten durch den Verfassungsrechtler Thomas | |
Würtenberger hatte sich Thüringens Sozialministerin Heike Taubert (SPD) im | |
Januar zu möglichen gesetzlichen oder vertraglichen Änderungen nur sehr | |
vage geäußert. | |
Chefärzte könnten zu Quasi-Beamten avancieren oder ein | |
„Interventionsbeauftragter“ des Freistaates eingesetzt werden, um | |
Hoheitsrechte zu sichern. | |
Eine Kündigung der Verträge erwägt sie nicht. Für die Thüringer Linke | |
bleibt die Rückkehr zum staatlichen Maßregelvollzug die einzige | |
Alternative. | |
26 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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