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# taz.de -- Krise in Zypern: Ein zahlender Kunde pro Woche
> Seit fast zwei Wochen sind die Banken jetzt geschlossen. Noch wirkt das
> Leben alltäglich. Doch der Schein trügt, denn die Wirtschaft erlahmt.
Bild: Geschichtsunterricht in Nikosia: Schülerdemo am Dienstag.
NIKOSIA taz | Am Busbahnhof steht der Verkehr. Ein paar hundert Jugendliche
marschieren aus der Altstadt hinaus. Sie rufen „Troika raus!“. Die kleine
Gruppe, bekleidet in blauen Schuluniformen und fürsorglich begleitet von
der Polizei, bewegt sich in Richtung Parlament. Die Schüler protestieren
gegen das, was die Europäische Union die Rettung Zyperns nennt. Sie fühlen
sich nicht gerettet, sondern verraten und verkauft.
Um sie herum nimmt der Alltag seinen Lauf, als sei es irgendein ganz
gewöhnlicher Dienstag nach einem langen Wochenende in Nikosia. Doch das ist
eine optische Täuschung. Seit zehn Tagen haben sämtliche Banken
geschlossen. Aus den Geldautomaten der beiden größten Kreditinstitute, der
Laiki-Bank und der Bank of Cyprus, lassen sich noch maximal 120 Euro
abheben – wenn überhaupt. Am Eleftheria-Platz entstehen aus einem einfachen
Grund keine Warteschlangen. „Dieser Automat funktioniert derzeit nicht“,
heißt es auf dem Display des Automaten der Bank of Cyprus.
Die Krise in Nikosia mag nur wenig sichtbar sein auf den Straßen. Doch sie
schleicht sich überall ein, in jedes Geschäft und in jedes Unternehmen, in
jede Familie. Und sie kommt mit Wucht.
Zum Beispiel zu Katharina Parpa. Die 31-Jährige betreibt im angesagtesten
Teil der Altstadt einen kleinen Laden für Designermode. Schicke Röcke aus
Griechenland, feine Accessoires, handgemacht aus Zypern und nicht billig
liegen im Schaufenster von „Carpe Diem“. Seit einer Woche hat Parpa genau
einen zahlenden Kunden erleben dürfen. Und selbst wenn es mehr wären, hätte
sie davon nichts: „Das Geld, das die Kunden mit ihrer Kreditkarte bezahlen,
landet nicht mehr auf meinem Konto“, sagt sie. „Aber die meisten Menschen
haben sowieso kein Geld mehr.“
Derweil laufen ihre Ausgaben weiter, die Steuern, der Strom, die Miete.
Ende März sind 350 Euro Jahressteuern fällig. Katharina Parpa, lange
schwarze Haare und mit einem knappen Rock bekleidet, sagt: „Ich habe noch
200 Euro Bargeld in der Tasche. Ich fühle mich wie ein Patient, dem es
langsam besser ging und der jetzt neue Schläge bekommt.“
Parpa hat Modedesign in Los Angeles und Mailand studiert. Ihr Laden ist
alles, was die Geschäftsfrau besitzt. „Es ist unfair, was sie mit uns
machen. Es wird nicht besser, sondern schlimmer. Europa zerstört unsere
Wirtschaft“, sagt sie. Wenn sie den Laden dichtmachen muss, wird sich
Katharina Parpa arbeitslos melden müssen.
## Lange geht es nicht mehr gut
Nicht viel anders geht es Eleni Michaelides mit ihrem Stoffgeschäft in der
Onasagourou-Straße, nur ein paar Ecken von Parpas Laden entfernt. Große
Tuchballen in leuchtenden Farben liegen in den Regalen, die sämtliche Wände
des Raumes einnehmen. Elenis Vater Andreas, der neben ihr auf einem Stuhl
Platz genommen hat, gründete das Geschäft vor nunmehr 53 Jahren. Hier
kaufen normalerweise Hochzeitspaare den Stoff für ihre Brautkleider ein. In
den vergangenen zehn Tagen jedoch bleibt die Kundschaft aus. „Ich will
nicht pessimistisch sein“, sagt Eleni Michaelides, „aber lange können wir
das nicht durchhalten.“
Sie fürchtet, dass bald importierte Lebensmittel und Medikamente auf Zypern
knapp werden könnten und berichtet von Freunden, die alle ihre Angestellten
in den Zwangsurlaub schicken mussten. „Wir haben zum Glück keine
Angestellten“, sagt sie.
Wieder ein paar Ecken weiter in der Ledra, der Hauptgeschäftsstraße: An den
Schaufenstern eines Schuhgeschäfts steht groß und in roter Farbe auf
Plakaten „Ausverkauf“. Der ältere Besitzer wischt den Fußboden seines
Ladens. Mit dem Besucher aus Deutschland mag er nicht sprechen: „Sie kommen
aus dem Land von Frau Merkel. Verlassen Sie mein Geschäft!“, ruft er.
Die Verbitterung über Europa im Allgemeinen und die Deutschen im
Besonderen, die die Zyprer für den Ausverkauf ihrer Wirtschaft
verantwortlich machen, ist groß.
Und doch ist der Schuhverkäufer die große Ausnahme. In der Regel werden die
Katastrophenmeldungen freundlich und zuvorkommend dem deutschen Gast bei
einer dargereichten Tasse Kaffee mitgeteilt.
## Keine Überweisung funktioniert
Die geschlossenen Banken und leeren Geldautomaten mögen die Lage derzeit
besonders dramatisch erscheinen lassen. Kein Scheck kann mehr eingelöst
werden, keine Überweisung funktioniert. Niemand weiß zu sagen, wie viel
Bargeld die Kunden demnächst wieder von ihren Konten abheben dürfen.
Der Chef der zyprischen Zentralbank, Demetriades, hat sich mit Präsident
Anastasiades über die Frage der Wiedereröffnung der Banken zerstritten. Der
eine, noch von der vorherigen Regierung eingesetzt, verkündete, dass die
Geldhäuser am Dienstag zum Teil wieder öffnen würden. Der andere kassierte
in letzter Minute diese Entscheidung. Mehrere hundert Millionen Euro sollen
von der Europäischen Zentralbank auf dem Weg nach Zypern sein. Polizei und
Sicherheitsdienste planen einen verschärften Wachschutz.
Doch selbst wenn die Geldinstitute an diesem Donnerstag wieder öffnen
sollten, am Desaster auf Zypern dürfte das nicht viel ändern. Europa hat
dafür gesorgt, dass die zweitgrößte Bank schließen wird und dass die
größte, auch schwer angeschlagene deren Reste übernehmen muss. Alle Gelder
über 100.000 Euro sind blockiert, ein großer Teil davon wird sich in Luft
auflösen. Wer mag in so einer Situation noch investieren? Wer bei diesen
unsicheren Zeiten Geld ausgeben?
Mit die ersten, die es treffen wird, werden die Bankangestellten sein.
Stelios Stylianou, ein angegrauter Mitfünfziger mit akkurat gestutztem
Vollbart, sitzt im Vorstand der Bankergewerkschaft ETYK und bemüht sich
darum, Hoffnung zu verbreiten. „Wir werden versuchen, nicht das Problem,
sondern Teil der Lösung zu sein“, verspricht er. Alleine bei der
Laiki-Bank, die nun verschwinden soll, arbeiten 2.300 Menschen. Was soll
nun aus ihnen werden?
Stylianou arbeitet selbst bei der Laiki. „Wir hoffen, dass viele
Angestellte in eine frühere Pension kommen werden“, erklärt er
optimistisch. Doch er weiß noch nicht einmal, ob der Pensionsfonds der
Angestellten überleben wird. Das Geld lagert, wo sonst, bei der Laiki-Bank.
## Die Kasse ist leer
Sie haben demonstriert. Am letzten Samstag gingen rund 3.000
Bankangestellte auf die Straße, in der Hoffnung, dass das Finanzzentrum
Zypern und damit ihre Arbeitsplätze doch nicht verschwinden. Doch jetzt,
das weiß Stylianou, haben sie verloren. „Für mich wird es sehr schwierig.
Meine Frau arbeitet nicht. Sie und die Kinder haben Angst. Meine Frau
weint. Ich versuche, weiter positiv zu denken.“
Stelios Stylianou hat lange in der Gesundheitsabteilung seiner Gewerkschaft
gearbeitet. Er hat Fälle erlebt, in denen Menschen im besten Alter
plötzlich an Krebs erkrankt und gestorben sind. Er bleibt dabei: „Es gibt
Schlimmeres.“
Doch es klingt nicht überzeugend.
In der Republik Zypern leben etwa 850.000 Menschen. Es gibt rund 10.000
Angestellte bei den Banken. Tausende weitere, Rechtsanwälte,
Beratungsfirmen, Steuerkanzleien, arbeiten den Banken zu. Wieder
Zehntausende verdienen an Banker und Anwälten: vermieten ihnen Büros,
verkaufen ihnen Häuser und Wohnungen, bereiten in den Restaurants ihre
Speisen zu und betreuen ihre Kinder. Jeder kann sich selbst ausrechnen, was
es für die Wirtschaft eines Landes bedeutet, wenn der Bankensektor in einem
Land zerschlagen wird, in dem schon jetzt 15 Prozent aller Menschen und 30
Prozent aller jungen Leute ohne Arbeit sind.
Die wenigen hundert Schüler marschieren weiter durch Nikosia, rufen nach
Gerechtigkeit und blockieren dabei kurz einige Straßenkreuzungen.
## „Ich war immer ein Optimist – jetzt nicht mehr“
Nicht weit entfernt betreiben Savvas und seiner Frau Christina ein kleines
Architektenbüro in einer der verwinkelten Straßen in der Altstadt. In der
Nähe befindet sich eine leerstehende Moschee, in der vor langer Zeit einmal
türkische Zyprioten gebetet haben, bevor sie für immer weggezogen sind.
Jetzt sitzen beide am Küchentisch, rauchen und wissen nicht mehr weiter.
Nicht nur, dass keine Schecks mehr eingelöst werden können. Es kommen auch
keinerlei neue Aufträge mehr herein. Die Kunden der abgeschlossenen
Projekte zahlen ihre Schulden nicht, sagt der 56-jährige Savvas. Der
Architekt mit dem spärlichen Haupthaar hat sich auf die Renovierung
historisch wertvoller Häuser spezialisiert. Jetzt mag niemand mehr etwas
renovieren oder gar ein Gebäude kaufen. Die Kasse ist leer, die Schulden
häufen sich. „Ich war immer eine Optimistin“, sagt Christina. „Jetzt nic…
mehr.“
Es geht nichts mehr. „Heute Morgen habe ich allen unseren Angestellten
mitteilen müssen, dass ich sie nicht mehr bezahlen kann“, sagt der
Architekt und zündet sich die nächste Zigarette an.
Seine Mitarbeiter werden arbeitslos. Wenige von Tausenden, die folgen
werden. Arbeitslosengeld wird auf Zypern genau sechs Monate lang bezahlt.
Dann kommt die Sozialhilfe.
26 Mar 2013
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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