# taz.de -- Gesetzesentwurf zur Presseaufsicht: Nagel in den Sarg | |
> Neue Presseaufsicht in Großbritannien: Nicht alle sind begeistert. Die | |
> großen Zeitungsverlage wollen boykottieren – und auch Blogger sind | |
> unzufrieden. | |
Bild: Rupert Murdoch hat gut lachen: Er will einfach den Gesetzesentwurf boykot… | |
LONDON taz | Der neuen Presseaufsicht in Großbritannien droht ein | |
schlechter Start. Kaum hat sich die Politik auf einen Deal geeinigt, wollen | |
die Zeitungen schon abspringen und die Blogger fürchten Strafen. Sie haben | |
über die Lords im Oberhaus noch in letzter Minute Änderungen eingebracht. | |
In wesentlichen Punkten folgt die Regierung den Vorschlägen der Leveson | |
Untersuchung zum Phone Hacking Skandal. Die neue Aufsicht soll ein | |
bissigeres und rechtlich gestütztes Geschöpf sein statt einem freiwilligen | |
Vermittler, wie es die [1][//www.taz.de/!106513/:Press Complaints | |
Commission] (PCC) in den vergangenen 20 Jahren war. | |
So etwas habe es seit der Abschaffung der Presse-Lizenzen im 17. | |
Jahrhundert nicht mehr gegeben, empörte sich prompt der Telegraph. Die Sun | |
verkündete titelseitig „[2][D-Day]“, Invasion und letztes Gefecht um die | |
Pressefreiheit. Die Daily Mail lamentierte, das schlüge einen Nagel in den | |
Sarg des vom Internet so bedrohten Zeitungsgeschäfts. | |
## Unzufriedene Blogger | |
Die größten Zeitungsverlage, Murdochs News International, der Verlag des | |
Telegraph, und der Inhaber der Daily Mail, haben angekündigt, die neue | |
Aufsicht gemeinsam boykottieren zu wollen. | |
Blogger sind mit dem Gesetzesentwurf ebenfalls unzufrieden. Es sei unklar, | |
welche Kosten auf Blogger zukämen, sagt Sunny Hundal von | |
[3][Liberalconspiracy.org]. Falls Blogs der Presseaufsicht unterstünden, | |
müssten sie sich vielleicht an deren Finanzierung beteiligen. Aber in | |
welcher Höhe? Die Blogger haben sich mit Politikern getroffen, um von der | |
Aufsicht besser ganz ausgenommen zu werden. | |
Lord McNally, Vorsitzender der freien Demokraten im Oberhaus und | |
Justiz-Sekretär, hat darauf hin am Dienstag angekündigt, am Gesetz | |
nachbessern zu wollen. Drei zentrale Punkte der Reform stehen aber bereits | |
fest. Erstens, wird die neue Aufsicht quasi-gesetzlich untermauert, mittels | |
einer königlichen Urkunde. | |
Dank einer geschickten juristischen Konstruktion können alle Parteien | |
behaupten, in dieser umkämpften Sache ihre Forderungen durchgedrückt haben. | |
Bis auf die Verlage. Gegen diesen Punkt hatten sie den meisten Widerstand | |
geleistet. Zweitens, reguliert der Staat nicht selbst, er reguliert aber | |
die Regulierer. Die Presse soll eine Aufsicht entwerfen, die dann staatlich | |
anerkannt wird. | |
Drittens ist Beaufsichtigung weder verpflichtend noch freiwillig. Der Staat | |
setzt Anreize, sich der Aufsicht zu unterwerfen. Wer sich nicht beteiligt, | |
dem drohen weitaus höhere, „exemplarische“ Strafen wenn eine Sache vors | |
Gericht geht. | |
## Hybridwesen | |
Das neue britische System ist damit ein Hybrid zwischen freiwilliger | |
Selbstkontrolle, sogenannter Peer-Regulierung, und Ko-Regulierung. In | |
Deutschland und Finnland regelt sich die Presse freiwillig selbst. Eine | |
Ko-Regulierung der Presse findet sich etwa in Dänemark. Auf ähnliche Art | |
regeln sich in Deutschland Film und Fernsehen. | |
Eine Aufsicht der Presse gibt es nicht überall. In Frankreich oder den USA | |
gibt es nicht einmal eine gemeinschaftliche freiwillige Selbstkontrolle der | |
Medien. Dort haben die Zeitungen ihre Ombudsmänner, für den Rest sind die | |
Gerichte zuständig. | |
In Dänemark, hingegen, wo jede Zeitung zwangsweise der gesetzlich | |
geregelten Aufsicht untersteht, wurde dieses System 1991 gerade mit der | |
Absicht geschaffen, diese Fälle aus den Gerichten heraus zu halten. | |
So verschiedenen die Aufsichten sein mögen, sie sind alle auf ähnliche Art | |
entstanden. Von 1916 in Schweden, über Deutschland 1956, bis hin zu Irland | |
im Jahr 2007 und Australien, wo gerade einen Reform stattfindet, sei es | |
immer wieder die Drohung der Politik gewesen, auch härtere Mittel im | |
Angebot zu haben, die eine Reform in Gang brachte, sagt Lara Fielden vom | |
[4][Reuters Institute an der Universität Oxford]. | |
Die PCC, die seit 1991 in Großbritannien in freiwilligem Rahmen die Presse | |
beaufsichtigt, sei in ihrer täglichen Arbeit durchaus erfolgreich gewesen, | |
sagt Fielden. Bei rund 7.000 Beschwerden pro Jahr vermittelte sie zwischen | |
Lesern und Medien und beriet Betroffene. Aber im Phone-Hacking Skandal | |
versagte die PCC. Seitdem ist sie nur noch eine Zwischenlösung. | |
## Australien als Beispiel | |
Alle Reformen stehen vor der Herausforderung, die Aufsicht über | |
verschiedene Medien zu vereinen. Schließlich soll der Inhalt und nicht | |
dessen Verbreitung beaufsichtigt werden. Den interessantesten Entwurf gebe | |
es momentan in Australien, sagt Fielden. | |
Dort ist die Labour Minderheitsregierung unter Julia Gillard den | |
Vorschlägen der Finkelstein Untersuchung gefolgt und hat ein umfassendes | |
Paket vorgelegt. Ähnlich wie in Großbritannien reguliert der Staat hier die | |
Aufsicht und nicht die Medien selbst. Darüber hinaus sind auch | |
wettbewerbsrechtliche Änderungen in dem Paket. | |
Der Reformversuch der Australier droht zu scheitern. Nach starkem Gegenwind | |
aus den Medien findet der Plan der Regierung bisher keine Mehrheit im | |
Parlament. Murdoch feierte diesen Erfolg bereits auf [5][Twitter]. In | |
Großbritannien haben seine Zeitungen aber schon zu viel Porzellan | |
zerschlagen, um so selbstbewusst auftreten zu können wie in seinem | |
Heimatland. | |
29 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://https | |
[2] http://www.thesun.co.uk/sol/homepage/news/politics/4846904/D-Day-for-press-… | |
[3] http://liberalconspiracy.org/ | |
[4] http://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/fileadmin/documents/Publications/… | |
[5] http://twitter.com/rupertmurdoch/status/314568399739056128 | |
## AUTOREN | |
Johannes Himmelreich | |
## TAGS | |
Rupert Murdoch | |
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Streik | |
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