| # taz.de -- Prozess gegen „News of the World“: Warten auf den großen Knall | |
| > Die „News of the World“ hat unter anderem Prominente ausspioniert. Nun | |
| > läuft ein Prozess, der die Pressefreiheit in Großbritannien verändern | |
| > könnte. | |
| Bild: Schicke Tassen ohne Zeitung. | |
| LONDON taz | „Bloody freezing“, murmelt Rob vor sich hin. Der | |
| Novemberniesel zieht in die Knochen. Den Parka hat er hochgezogen, die | |
| Mütze ragt ihm über die Augen und sein Schal fängt die Hälfte der Worte | |
| auf. Seit morgens um acht wartet der Kameramann von Channel 4 vor dem Old | |
| Bailey Courthouse, dem Gerichtsgebäude für die Strafprozesse. | |
| „Das ist doch alles riesengroßer Bullshit“, schimpft Rob. Und man hat das | |
| Gefühl, dass er damit nicht nur die Kälte meint. Am Freitag ist der neunte | |
| Tag seit dem Prozessauftakt um den Abhörskandal des Boulevard-Blattes News | |
| of the World. Vor zwei Jahren wurden die Chefredakteure verhaftet, ein | |
| Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, ein 2.000-Seiten starkes | |
| Ermittlungsdossier erstellt – sogar die Zeitung wurde nach 168 Jahren | |
| eingestampft. | |
| Doch obwohl viel auf dem Spiel steht, fangen Journalisten und Publikum an | |
| sich zu langweilen. Die ersten Fernsehsender berichten schon nicht mehr | |
| täglich von hier. Und doch stehen wieder ein Dutzend Kamerateams und | |
| Fotografen vor dem Haus. | |
| Sie warten auf das eine Motiv des Tages: Rebekah Brooks, die | |
| Murdoch-Vertraute und ehemalige Verlagschefin oder Andy Coulson, der | |
| Ex-Chefredakteur der News of the World, müssen irgendwie aus dem | |
| Gerichtsgebäude wieder raus, in das sie am Morgen gelangt sind. Doch die | |
| Verteidigung der beiden Hauptangeklagten hat – nach dem Blitzlichtgewitter | |
| der ersten beiden Prozesstage – offenbar andere Wege gefunden. | |
| Einige Beobachter rechneten mit dem Prozess des Jahrhunderts. Zu groß war | |
| der Aufschlag, den die Journalisten des Skandalblatts News of the World | |
| verursacht hatten. Seit vergangener Woche wird nun auch noch darüber | |
| spekuliert, ob die ehemalige News of the World-Chefredakteurin Brooks und | |
| ihr Vorgänger Andy Coulson, der gegenwärtig noch als Pressechef von Premier | |
| David Cameron agiert, ein Liebespaar gewesen sind. | |
| ## Coulsons Meineid | |
| 2009 sagte Coulson vor einem Ausschuss des Unterhauses aus, dass es weder | |
| Anweisungen zur Bespitzelung noch ein Anzapfen von Telefonleitungen gegeben | |
| habe. Das wird ihm nun zum Verhängnis: Er muss sich wegen Meineides | |
| verantworten. Jahrelang sollen Promis, Abgeordnete, die Royal Family, deren | |
| Bedienstete und Angehörige von Opfern des Londoner Bombenanschlages von den | |
| Redaktionen des Murdoch-Imperiums NewsCorp abgehört worden sein. Brooks | |
| Anklage lautet „Verschwörung, um auf illegalem Wege Kommunikation | |
| abgefangen zu haben“. | |
| Auch Paul Davies steht vor dem Old Bailey; seit dem Auftakt jeden Tag. In | |
| 30 Jahren als Journalist hat er von Kriegen, Skandalen und weltpolitischen | |
| Ereignissen berichtet. Auch durch die 2.000 Seiten Ermittlungsakten der | |
| „Leveson Inquiry“, ein aktuelles Dossier zur britischen Medienethik, hat er | |
| sich gekämpft. Nun kämpft er mit seiner Frisur und dem Wind, der ständig | |
| durch die Häuserzeilen pfeift. Für die Abendnachrichten bei ITV muss er | |
| noch schnell einen Aufsager einsprechen. So will es die angelsächsische | |
| Dramaturgie des Fernsehberichts. Doch harte News kann er seinen Zuschauern | |
| nicht berichten. | |
| „Es wird vor allem eine Frage des Durchhaltens werden“, sagt Davies. Sechs | |
| Monate liegen noch vor ihm. So lange soll der Prozess dauern. „Jeden Tag | |
| gibt es neue Anweisungen des Gerichts, was wir berichten dürfen und was | |
| nicht. Das macht die Arbeit nicht leichter.“ Das hat etwas mit den | |
| britischen Gesetzen zu tun: Wer in seiner Berichterstattung ein laufendes | |
| Verfahren kommentiert, macht sich strafbar. Die Jury, darf unter keinen | |
| Umständen beeinflusst werden. | |
| Auch darüber hinaus habe sich der Arbeitsalltag für Journalisten seit dem | |
| Abhörskandal geändert, sagt Barry Fitzpatrick von der | |
| Journalistengewerkschaft NJU, die mit 30.000 Mitgliedern zu den größten auf | |
| der Welt gehört: Journalisten seien sich nicht mehr sicher, was sie | |
| berichten dürfen. „Demokratie braucht unabhängigen Journalismus“, | |
| kritisiert er. | |
| ## Bedeutung überbewertet | |
| Lis Howell lehrt Fernsehjournalismus an der City University London. 1977 | |
| trat sie ihren ersten Job als Fernsehreporterin an, als eine der ersten im | |
| Vereinigten Königreich. Sie kennt das Nachrichtengeschäft und den Kampf um | |
| den Scoop gut. „Das Gerede vom Fall des Jahrhunderts ist maßlos | |
| übertrieben. Wir haben deutlich wichtigere Fälle vor Gericht als diesen.“ | |
| Die Briten interessieren sich für das Waschen schmutziger Wäsche, | |
| Belanglosigkeiten und Frivolitäten. „Ich rechne nicht damit, dass der | |
| Prozess das ändert“, meint die Uni-Dozentin. Auch dass nur die Sun und die | |
| News of the World Telefone abgehört haben, um an Informationen zu gelangen, | |
| hält Howell für unwahrscheinlich. „Ich bin mir fast sicher, dass es mehr | |
| Redaktionen gibt, die derlei illegale Praktiken angewendet haben“, fügt die | |
| ehemalige Fernsehjournalistin ernüchtert an. Doch was folgt aus dieser | |
| Erkenntnis? | |
| „Die ersten Tage waren wir noch Feuer und Flamme – und auch die Leser und | |
| Zuschauer standen unter Strom“, berichtet Fernsehreporter Paul Davies vor | |
| dem Gerichtsgebäude. „Ich weiß noch gut, wie uns leitende Redakteure | |
| häufiger vorgeworfen haben ,Warum habt ihr diese oder jene Story nicht?‘ | |
| Mittlerweile wissen wir, warum das so war.“ Dass diese Spannung bis Ostern | |
| anhalten wird, bezweifelt er aber. Trotzdem fasziniere der Fall die | |
| Branche. „Das Urteil könnte sich darauf auswirken, wie wir Journalisten | |
| künftig arbeiten können, welche neuen Regeln eingeführt werden. Und | |
| natürlich auch, wie wir als Journalisten öffentlich wahrgenommen werden.“ | |
| Schon 2011 setze Premier Cameron mit seinen konservativen Tories ein neues | |
| Antikorruptionsgesetz durch. Nicht mehr nur die Einzelperson kann nun | |
| juristisch belangt werden, sondern auch das Unternehmen – in Deutschland | |
| ist das längst Praxis. Es fällt schwer, keinen direkten Zusammenhang | |
| zwischen dem Aufschrei um die Informationsbeschaffung der Boulevard-Medien | |
| und den neu erlassenen Gesetzen zu sehen. Offen aussprechen will das die | |
| Regierung aber bislang nicht. | |
| ## Auswirkungen auf die Pressefreiheit | |
| Auch der aktuelle Spähskandal um den US-Geheimdienst NSA und den britischen | |
| Gegenspieler GCHQ zeigt erste Auswirkungen auf die Pressefreiheit: Vor dem | |
| House of Commons warnte Premier Cameron unverhohlen: „Wir haben eine freie | |
| Presse. Aber ich möchte nicht genötigt werden, irgendwelche Vorschriften | |
| oder Unterlassungen an Verleger ausgeben zu müssen, wenn die nationale | |
| Sicherheit gefährdet ist.“ | |
| Er verlasse sich vielmehr darauf, dass den Blättern der Sinn für | |
| Verantwortung noch nicht abhanden gekommen sei. Das zeigt Wirkung: Selbst | |
| ein Revolverblatt wie die Sun gab jüngst bekannt, dass ihre Reporter nun | |
| für Informationen wieder lieber direkt an Haustüren klopfen. Fraglich, ob | |
| das dem ramponierten Ruf noch helfen kann. | |
| Das Ansehen der britischen Medien ist laut einer aktuellen Umfrage auf ein | |
| 30-Jahres-Tief gefallen. Nur 27 Prozent der Menschen im Land vertrauen den | |
| Journalisten noch. Das ist auch ein Problem für die Statik einer | |
| Demokratie, findet Gewerkschaftssekretär Fitzpatrick: „Der Journalismus | |
| insgesamt steht nun unter Beobachtung. | |
| Doch jede freie Gesellschaft braucht unbequemen Journalismus. Wenn der nun | |
| erodiert und ein Gros der Öffentlichkeit nicht mehr dahinter steht, ist das | |
| eine Tragödie“, meint Fitzpatrick. Aber: „Es gibt keinen Grund die Gesetze | |
| zu verschärfen – Computerhacken und Leitungen anzapfen war immer illegal.“ | |
| Dass die Regierung den Skandal nun instrumentalisiert, um die kritische | |
| Berichterstattung in der NSA-Affäre zu beschneiden, kann nicht die Lösung | |
| sein. | |
| ## Was ist ethisch vertretbar? | |
| Dennoch, der Prozess wirft viele Fragen auf: Nach der Rolle des | |
| Journalismus, nach Maß und Mitte. Nach Haltung und Demut. Und danach, was | |
| für einen Reporter nicht nur rechtens, sondern auch ethisch vertretbar ist. | |
| Womöglich hat das Ganze ja auch etwas Gutes, murmelt Fitzpatrick. | |
| Vielleicht sorgt der große Knall für etwas Reinigendes, etwas Heilsames. | |
| Vielleicht. Der britische Journalismus könnte so etwas gerade gut | |
| gebrauchen. | |
| Bis Ostern wird es dauern, ehe das Urteil fällt. Schon bald wartet niemand | |
| mehr auf große Namen, vor dem Old Bailey. Wenn Brooks und Coulson nicht | |
| mehr einbestellt werden, kommen die Zeugen, die schon die meisten | |
| Prozessbeobachter nicht mehr mit Namen kennen. Wie soll es da erst dem | |
| Publikum gehen? | |
| Die Glocken läuten. Die Abendandacht in St. Paul’s Cathedral, die nur | |
| wenige Gehminuten entfernt ist, beginnt. Ein Zeichen für die wartenden | |
| Journalisten und Fernsehteams das Feld zu räumen. „That was bloody | |
| pointless“, ärgert sich Rob, während der Kameramann von Channel 4 sein | |
| Stativ zusammenklappt. Viele Beobachter hoffen, dass dies nicht auch am Tag | |
| der Urteilsverkündung gilt. | |
| 14 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jon Mendrala | |
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