# taz.de -- Chinesische Schikanen: Sippenhaft für Bürgerrechtler | |
> Chinesische Behörden gehen gegen Familienanghörigen des inhaftierten | |
> Bürgerrechtlers Liu Xiaobo vor. Jetzt soll der Schwager des | |
> Friedensnobelpreisträgers büßen. | |
Bild: Winter 2010: Menschenrechtler protestieren für die Freilassung des Fried… | |
PEKING/BERLIN taz | Liu Xiaobo ist als Intellektueller ein Mann des Wortes. | |
Doch seit vier Jahren ist keiner seiner Gedanken mehr an die chinesische | |
Öffentlichkeit gedrungen. Der 57-jährige Friedensnobelpreisträger von 2010 | |
und Mitverfasser der „Charta 08“ für Demokratie und Menschenrechte wurde | |
2009 wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu elf Jahren Haft verurteilt. | |
Schon seit Dezember 2008 sitzt er im Gefängnis. Doch das genügt Chinas | |
Behörden nicht. Nun zielen sie auch auf seinen Schwager. | |
Am Dienstag begann in Peking der Prozess gegen Liu Hui, Bruder von Liu | |
Xiaobos Gattin Liu Xia. Polizisten hatten Liu Hui schon zu Jahresbeginn | |
festgenommen. Ihm wird Betrug vorgeworfen. Laut seinem Anwalt drohen bis zu | |
zehn Jahre Haft. Freunde sehen darin eine weitere Vergeltungsaktion gegen | |
die Familie. Denn Liu Xia darf ihre Wohnung schon seit der Vergabe des | |
Nobelpreises 2010 an ihren Mann nicht mehr verlassen – obwohl sie sich | |
keines Vergehens schuldig gemacht hat. | |
Dem Schwager werfen die Behörden vor, mit einem Kollegen umgerechnet | |
370.000 Euro unterschlagen zu haben. Liu Hui arbeitete bei einer | |
Immobilienfirma im südchinesischen Shenzhen. 2012 wurde er schon einmal | |
festgenommen, doch kam er aus „Mangel an Beweisen“ wieder frei. Zu einem | |
Zusammenhang zwischen seiner erneuten Festnahme und dem | |
Friedensnobelpreisträger wollte sich Liu Hus Anwalt nicht äußern. | |
Bekannt ist, dass die Behörden in den vergangenen Wochen immer wieder | |
verärgert über Liu Xiabos Frau waren, weil sie Journalisten empfing. „Jetzt | |
haben wir schon deinen Bruder freigelassen – und du wagst es immer noch, | |
Leute zu empfangen?“, sei ihr gesagt worden. Der Druck auf die Familie des | |
inhaftierten Friedensnobelpreisträgers ist nur ein Beispiel dafür, dass es | |
in China trotz der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen der | |
vergangenen Jahre in den Menschenrechtsfragen keine Fortschritte gibt. | |
Sippenhaft gehört weiterhin zum Alltag. | |
## Flucht vor einem Jahr | |
Diese Erfahrung machten auch Angehörige des blinden Bürgerrechtlers Chen | |
Guangcheng, der inzwischen im US-Exil lebt und gerade auf Einladung des | |
deutschen Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning Deutschland besucht. | |
Chen wurde vor einem Jahr international bekannt, als er seinen Wachen | |
entkam, die ihn illegal im Haus eingesperrt und immer wieder misshandelt | |
hatten. | |
Er floh mit Hilfe von Freunden in die US-Botschaft in Peking – kurz bevor | |
dort die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton eintraf. Chen hatte | |
den Zorn der Politiker seiner Provinz auf sich gezogen, weil er gegen | |
Zwangsabtreibungen protestierte. | |
Die Nachrichten, die er von seinen Angehörigen im Heimatort Dongshigu in | |
der Provinz Shandong hört, sind nicht gut, sagte Chen am Montag in Berlin | |
vor Journalisten. Sein Neffe Kegui sei in der Haft gefoltert worden. „Er | |
hat in kurzer Zeit zehn Kilo abgenommen.“ | |
Der Neffe wurde in seinem Haus nach Chens Flucht von Unbekannten | |
überfallen. Sie warfen ihm vor, dem Onkel geholfen zu haben. Der junge Mann | |
hatte sich gegen die Eindringlinge mit einem Messer gewehrt und wurde dafür | |
kürzlich zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Beobachter bezeichneten den | |
Prozess ohne Wahlverteidiger als Farce. | |
Auch andere Angehörige Chens müssen dafür büßen, dass der 41-Jährige auch | |
im Exil nicht schweigt. Sein älterer Bruder werde ständig schikaniert, so | |
Chen. Sein Fazit: Von mehr Rechtsstaatlichkeit sei unter der Führung des | |
neuen KP-Chefs Xi Jinping nichts zu spüren. Keiner der für seinen illegalen | |
Hausarrest Verantwortlichen sei bislang dafür bestraft worden. „Im | |
Gegenteil, sie wurden befördert.“ | |
23 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
Jutta Lietsch | |
Felix Lee | |
Jutta Lietsch | |
## TAGS | |
Menschenrechte | |
China | |
Hausarrest | |
Flucht | |
Nobelpreis | |
China | |
China | |
China | |
China | |
Deutschland | |
Schwerpunkt Korruption | |
China | |
China | |
Mo Yan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar zum Tod von Liu Xiaobo: Armes China | |
Beim Schicksal des Friedensnobelpreisträgers Liu demonstriert Peking | |
Unmenschlichkeit. Wie ängstlich und unsouverän muss ein Regime sein? | |
Chinas Bürgerrechtler Chen Guangcheng: „Es gibt wieder mehr Sippenhaft“ | |
Der blinde Rechtsanwalt Chen Guangcheng ist aus China geflohen. Er spricht | |
über die Menschenrechte in der Volksrepublik unter Präsident Xi Jinping. | |
Vor Jahrstag des Tiananmen-Massakers: Verhöre und Verhaftungen | |
Schon einen Monat vor dem 25. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des | |
Friedens wollen Chinas Sicherheitsorgane jedes Gedenken an die Opfer im | |
Keim ersticken. | |
Justiz in China: Keine Gnade für Liu Xiaobos Schwager | |
Die Familie des chinesischen Friedensnobelpreisträgers erleidet weitere | |
Strafen. Als „politische Sippenhaft“kritisierte die Bundesregierung das | |
Urteil. | |
Besuch aus Peking: Herr Li will Freihandel | |
Seit Wochen zoffen sie sich um Solarmodule und Porzellan. Bei der Visite | |
der chinesischen Führung in Berlin geht es wieder um mehr Exporte. | |
Wirtschaftsplaner in China entlassen: Tigerjagd dank Netz erfolgreich | |
Liu Tienan, einer der wichtigsten Wirtschaftsplaner Chinas, ist wegen des | |
Verdachts auf Korruption entlassen worden. Zuvor hatte ein Journalist über | |
den Fall gebloggt. | |
Liao Yiwu gegen Mo Yan: Ein Ruf wird beschädigt | |
Der Konflikt zwischen dem Dissidenten Liao Yiwu und dem Nobelpreisträger Mo | |
Yan ist hochpolitisch. „Die Zeit“ schlägt sich auf die falsche Seite. | |
Nationaler Volkskongress in China: Der Kongress tagt, das Volk appelliert | |
Polizisten an jeder Ecke zum Trotz: Vor dem Beginn des Nationalen | |
Volkskongresses wagen sich viele Kritiker und Intellektuelle mit offenen | |
Briefen hervor. | |
Exil-Chinese über Nobelpreisträger Mo: „Fast schon eine Lachnummer“ | |
Mit seiner Äußerung zur Zensur habe sich Nobelpreiträger Mo Yan keinen | |
Gefallen getan, sagt der Exil-Schriftsteller Ming Shi. Er sei sicher unter | |
Druck geraten. |