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# taz.de -- Kolumne Macht: Ohne Augenmaß
> Innenminister Hans-Peter Friedrich fühlt sich von Feinden umgeben. Der
> Anschlag von Boston zeigt: Mit diesem Problem ist er nicht allein.
Bild: Innenminister Hans-Peter Friedrich, nachdenklich.
Es ist grundsätzlich sehr lobenswert, wenn ein Journalist nicht vorschnell
urteilt. Auf die Frage einer RTL-Moderatorin, ob die Brüder Tsarnaev
vielleicht schon bei der Einreise in die USA terroristische Verbrechen
geplant hätten, antwortet der Korrespondent Carsten Mierke ganz ernsthaft:
„Man kann darüber nur spekulieren, aber ich halte es für unwahrscheinlich.�…
Der jüngere der beiden Brüder sei damals nämlich erst sieben Jahre alt
gewesen. Aber dennoch – so betont Mierke nochmals – sei gegenwärtig alles
„Spekulation“.
Ob der Kollege sich nicht hinterher selbst ein bisschen blöd vorgekommen
ist? Bei Terroristen wird offenbar alles für möglich gehalten, und deshalb
wird auch der Kampf gegen sie ohne jedes Augenmaß geführt. Nun möchte
natürlich niemand schuld daran sein, wenn jemand wegen unzureichender
Sicherheitsmaßnahmen zu Tode kommt oder schwer verletzt wird.
Ich beneide keine Einsatzleitung der Polizei um die Entscheidung, was im
jeweiligen Einzelfall zum Schutz der Bevölkerung getan werden muss – oder
unterlassen werden kann. Aber auf der Jagd nach einem verletzten
19-Jährigen eine Großstadt lahmzulegen und den Luftraum zu sperren: Das
scheint mir ein bisschen übertrieben zu sein.
Nun wäre das ja nicht weiter schlimm, immerhin war die Fahndung ein Erfolg.
Richtig beruhigend finde ich es zwar nicht, dass die Frage nach der
Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel im mächtigsten Land der Welt
nicht einmal diskutiert wird und die Leute sich auf den Straßen so
verhalten, als sei gerade in letzter Minute ein Atomkrieg verhindert
worden.
## Nicht völlig hysterisch
Aber wirklich nervös werde ich, wenn auch bei uns die Vorgänge nicht etwa
befremdet zur Kenntnis genommen werden, sondern der deutsche Innenminister
sie zum Anlass nimmt, die verstärkte Überwachung der Bevölkerung zu
fordern. Wenn man dankbar ist, weil wenigstens die Gewerkschaft der Polizei
nicht völlig hysterisch wird und an Grundsätze der Verfassung erinnert,
dann ist es weit gekommen.
Innenminister Hans-Peter Friedrich scheint die Verfassung eher lästig zu
finden, ganz besonders lästig findet er jedoch den Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle. Weil der sich in einem
Interview ebenfalls gegen eine flächendeckende Videoüberwachung
ausgesprochen hat, wurde er vom Minister scharf zurechtgewiesen.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung scheint bei Friedrich da an seine
Grenzen zu stoßen, wo jemand eine andere Ansicht vertritt als er selber.
Wie wäre es denn, wenn er veranlasste, Voßkuhle flächendeckend zu
überwachen? So, wie der Minister seit Amtsantritt sein Weltbild
präsentiert, darf man vermuten, er hielte das für einen wertvollen Beitrag
zur inneren Sicherheit.
Hans-Peter Friedrich scheint sich von Feinden umstellt zu sehen, und leider
hat er einen Posten inne, bei dem das nicht nur für seine unmittelbare
Umgebung belastend ist, sondern für die ganze Republik. Und wenig spricht
dafür, dass sich das ändern wird. Wenn Angela Merkel nach den Wahlen
Bundeskanzlerin bleibt – und derzeit sieht es ja so aus –, dann bleibt uns
auch der Innenminister erhalten.
Die CSU wird es sich mit ihrem fränkischen Bezirksfürsten nicht verderben
wollen. Seine Herkunft ist seine Jobgarantie. Die Heimat prägt eben oft das
ganze Leben. Ob Hans-Peter Friedrich schon als Siebenjähriger vom
Überwachungsstaat geträumt hat? Darüber lässt sich nur spekulieren
26 Apr 2013
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Hans-Peter Friedrich
Videoüberwachung
Boston
Andreas Voßkuhle
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Überwachungsgesellschaft
Wahlkampf
Schwerpunkt Überwachung
Boston Marathon
Hans-Peter Friedrich
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