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# taz.de -- Fightnight in Mecklenburg: Schwache Abwehr
> Die Fight Night in Neubrandenburg spaltet die Kommunalpolitik: Dient sie
> dem Kampfsport oder ist sie auch Treffpunkt für Rechtsextremisten?
Bild: Fast alles ist erlaubt bei der Fight Night, in der Sportler der Disziplin…
Unter dem schrägen Schalendach staut sich die Hitze; die Luft ist ein zäher
Dunst, der nach Bier, Schweiß und Aftershave riecht. Es geht auf elf zu.
Die Leute starren auf den Ring in der Mitte der Stadthalle Neubrandenburg.
Sie fahren von ihren Stühlen auf, recken die Köpfe, jubeln, brüllen.
Im Scheinwerferlicht dampfen die nackten Oberkörper der Kämpfer, die
ineinander verkeilt auf dem Boden liegen. Der unten tritt um sich, sein
Gegner drückt ihn nieder. Boxt ihm ins Gesicht. Muskeln zucken,
Schweißtropfen fliegen. „Ladys und Gentlemen, Applaus, Applaus, Applaus“,
schreit der Ringsprecher.
Der Abend läuft gut für die Veranstalter. Die Halle ist ausverkauft, das
Publikum bestens in Stimmung. Die Vorwürfe gegen die Fight Night spielen
keine Rolle, nicht jetzt, nicht hier.
Stephan Kreienbrink, einer der Veranstalter, hat schon oft erklärt, dass es
da auch nichts zu diskutieren gibt. Dass auf der Fight Night kein Platz ist
für Rechtsextremismus. „Wir haben uns positioniert“, sagt er, „indem wir
die beiden auf der Fight Night nicht mehr kämpfen lassen.“ Die beiden, das
sind Denis Tomzek und Silvio Dahms, Kampfsportler im Neubrandenburger
„First Fight Team“. Sie sollen zugleich Teil der Neonazi-Szene
Mecklenburg-Vorpommerns sein, oder gewesen sein.
Bei der Fight Night treten Sportler in der Disziplin Mixed Martial Arts
(MMA) gegeneinander an. Dabei verwenden sie Techniken aus verschiedenen
Kampfsportarten. Fast alles ist erlaubt: werfen, treten, würgen, selbst
dann, wenn der Gegner am Boden liegt. Das Fernsehen zeigt MMA-Kämpfe nicht,
weil sie als zu brutal gelten.
Die Fight Night in Neubrandenburg gibt es bereits seit sieben Jahren. Zum
Eklat kam es Anfang 2011, als in der Stadt Fight-Night-Werbeposter mit den
Fotos der Kämpfer auftauchten. Die Tätowierung auf Dahms Brust war deutlich
zu erkennen, das Logo einer Kameradschaft in Vorpommern. Tomzek ist
mehrfach auf Neonazi-Aufmärschen gesehen worden. Vor einigen Jahren
posierte er für einen Kalender der inzwischen verbotenen „Heimattreuen
Jugend“.
## Überschneidungen
Auf der Fight Night kämpfen Dahms und Tomzek nicht mehr. Doch es hat sich
nichts daran geändert, dass sie Mitglied im „First Fight Team“ sind. Auch
Stephan Kreienbrink trainiert in diesem Club; er und der Trainer
veranstalten die Fight Night gemeinsam. Kreienbrink findet nichts daran,
dass Dahms und Tomzek weiter dazugehören. „Ich bin der Meinung, dass Sport
und Politik nichts miteinander zu tun haben“, sagt der Veranstalter.
Ohnehin hätten sich beide längst aus der rechten Szene gelöst.
Doch es geht in dieser Geschichte nicht nur um zwei Kampfsportler. Nach
Einschätzung von Experten gibt es bundesweit Schnittmengen zwischen der
Freefight-Szene und den Rechten. Doch was bedeutet das konkret für
Neubrandenburg? Seit zwei Jahren kreist ein kommunalpolitischer Streit um
die Fight Night, der deutlich macht, wie schwer es ist, Grenzen zu ziehen.
Zwischen dem, was eine Demokratie aushalten sollte, und dem, wogegen sie
sich zur Wehr setzen muss.
## Keine rechten Symbole
Niemand weiß, ob Tomzek und Dahms tatsächlich aus der rechten Szene
ausgestiegen sind. Im Publikum wurden mehrfach NPD-Politiker gesehen.
Reicht das als Beleg, dass die Fight Night rechts unterwandert ist? Und
können Veranstalter etwas dafür, wer zu ihren Shows kommt?
Ein Besuch der Fight Night liefert keine Antworten, sondern wirft weitere
Fragen auf.
Es ist ein kalter Abend im März, die Dunkelheit riecht nach nassem Holz.
Die Stadthalle liegt wie ein gestrandetes Ufo inmitten schlammiger Wiesen.
Nach und nach verdichtet sich die Menge um den Grillstand, der vor dem
Eingang aufgebaut ist.
Drinnen ist es laut, bunt und voll; die Atmosphäre liegt irgendwo zwischen
Volksfest und Großraumdiskothek. Blaue Scheinwerfer flackern über die
Decke. Aus den Lautsprechern dröhnt Rockmusik. Am Bierstand Frauen mit
stark geschminkten Gesichtern. Überall Solariumbräune und
Stretch-Polyester, dazu viele, die aussehen wie brave Büroangestellte. Und
jede Menge Glatzen und Muskeln. Das sagt nicht unbedingt etwas aus;
rasierte Schädel gehören auch zum Lifestyle der Freefighter. Es fällt auf,
dass nirgends rechte Symbole zu sehen sind, nicht einmal ein
Thor-Steinar-T-Shirt. Wer der Szene angehört, will es offenbar nicht
zeigen.
## Brisante Mischung
Auf die Frage danach, dreht sich ein junger Mann wortlos weg; ein anderer
sucht kurz nach Worten. „Wenn hier einer rechts ist, der kommt ja nicht
wegen seiner Gesinnung, sondern wegen des Sports“, sagt er, „und wenn der
nix drauf hat, dann verliert der genauso wie alle anderen.“
Beobachtern zufolge ist gerade diese Mischung brisant: ein kommerzielles
Massenevent, das normale Bürger besuchen, das aber zugleich Anziehungskraft
auf Neonazis hat. „Die Menschen interessieren sich für den Sport und wollen
am Wochenende etwas erleben“, sagt Katrin Nepperschmidt vom Regionalzentrum
für demokratische Kultur in Neubrandenburg. Die Sozialpädagogin sitzt in
einem kargen Besprechungsraum, faltet die Hände auf der Tischplatte und
wählt jedes Wort sorgfältig. Sie weiß, wie zwiespältig das Thema ist.
Die Trennlinien zwischen den Neonazis und der übrigen Bevölkerung sind
unscharf geworden, vor allem in strukturschwachen ländlichen Regionen. Im
Großkreis Mecklenburgische Seenplatte sinkt die Einwohnerzahl, die
Verwaltung muss sparen. Wo sich Lücken auftun, springt die NPD ein, mit
Schuldnerberatung oder Hausaufgabenhilfe. „In Neubrandenburg wurden drei
Jugendklubs geschlossen“, sagt Kathrin Nepperschmidt, „an dieser Stelle
wird dann angesetzt.“
## Es fehlen Freizeitangebote
Die Mitarbeiter des Zentrums beraten Schulen, Vereine, Kommunen. Es gab
einen Fall, in dem ein NPD-Mann versucht hat, eine Kita im Kreis zu
übernehmen. Die Kommune konnte sie nicht mehr finanzieren. Das Zentrum fand
rechtzeitig einen anderen Träger. Doch die vier Mitarbeiter können in dem
riesigen Kreis nicht immer schnell genug sein. Manchmal erfahren sie zu
spät, wenn die Rechten mal wieder Kinder zum Zeltlager abgeholt haben. Vor
Ort, sagt sie, fehlt es oft an Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, „so dass
andere Angebote sofort Anklang finden.“
Auf der Bühne in der Stadthalle balancieren junge Frauen auf
Stilettoabsätzen vorüber, in glitzernden Minis, Nummernkarten in den hoch
gereckten Händen.
Fäuste prallen gegen Schläfen, Ellenbogen auf Jochbeine.
## Viele von außerhalb
Ein Sportler bricht mühelos durch die Deckung seines Gegners; der taumelt,
benommen von den Schlägen, nach Sekunden in die Seile. Eine dünne Blutspur
rinnt über seine Lippe. „Haarverlängerung, Spraytan, Wimpernverdichtung:
Welche Frau träumt nicht davon?“ Vor jeder Runde liest der Ringsprecher
Namen und Slogans von Sponsoren ab, Kosmetikstudios, Handyläden,
Anwaltsbüros.
Viele hier sind von außerhalb gekommen. Auf dem Parkplatz stehen etliche
Autos mit ortsfremden Kennzeichen, vor allem aus Vorpommern-Greifswald. Im
Nachbarkreis gibt es Orte, wo die Rechten sehr stark sind. Doch
Nummernschilder allein lassen keine Rückschlüsse zu.
Auch die Politiker sind sich uneins. Die Veranstalter haben sich vom
Rechtsextremismus distanziert. Sie halten sich an alle Auflagen. Das reicht
vielen.
## Fragwürdiges Umfeld
„Man versucht den Eindruck zu erwecken, dass an den Vorwürfen nichts dran
sei“, sagt die SPD-Politikerin Sylvia Bretschneider, „doch eine wirkliche
Distanzierung sieht für mich anders aus.“ Die Präsidentin des Schweriner
Landtags und Abgeordnete im Kreistag Mecklenburgische Seenplatte ist eine
energische Frau mit kurzen blonden Haaren. An diesem Tag hat sie Termine in
Berlin; gegen Mittag tritt sie in ein Café nahe dem Abgeordnetenhaus, setzt
sich an einen Tisch und zieht ihr iPad hervor. Ihre manikürten Fingernägel
klicken leise auf dem Display. Fotos gleiten vorüber, die Kämpfer, die
Tätowierungen. Sie zieht die Stirn kraus und sagt: „Es geht nicht um die
Veranstaltung an sich, sondern darum, dass sich im Umfeld des Clubs
offensichtlich eine Reihe von Leuten aus der rechten Szene befinden.“
Zum Beispiel kursieren im Internet Fotos, auf denen zu sehen sein soll, wie
sich einer der Sponsoren auf einem Neonazi-Aufmarsch ums Catering kümmert.
Die Politikerin hat viel versucht, um Widerstand gegen die Fight Night zu
organisieren. Sie hat persönlich mit den Sponsoren gesprochen, ihre
Fraktion trat im Kreistag dafür ein, solche Kämpfe künftig nicht mehr in
öffentlichen Hallen zuzulassen. Es gab lange Diskussionen, viele
Gegenstimmen, am Ende hat das wenig gebracht. „Die Rolle von persönlichen
Beziehungen habe ich unterschätzt“, sagt sie. Die Stadt ist klein. Man
kennt sich, trifft sich auf der Straße, „da fällt es eben schwer, sich
auseinanderzusetzen.“
## Strategien leicht erkennbar
Bretschneider hat im Landtag seit Jahren mit NPD-Abgeordneten zu tun. Ihr
geht es darum, zu verhindern, dass die Rechten ihren Einfluss ausbauen.
„Machen wir uns nichts vor“, sagt sie. „Wer sehen will, kann ihre
Strategien ganz leicht erkennen.“
Es wird allmählich spät in der Stadthalle. Eine Pause noch, dann beginnen
die letzten drei Kämpfe. Ein dünner Mann Ende 40 im Kapuzenpulli steht
abseits der Menge. Er lächelt traurig, zieht an seiner Zigarette. Andi ist
Maurer von Beruf, seinen Nachnamen nennt er nicht. Es ärgert ihn, dass es
Leute gibt, die ein Verbot der Fight Night fordern. „Was haben wir denn
hier sonst noch?“, ruft er, „’ne hohe Arbeitslosigkeit und ’n Haufen G�…
die auf der Straße rumrennen.“
Als die Pause endet, sinkt Stille über die Straße. Ein Rap-Song wummert
nach draußen, harte, fordernde Beats verwehen über dunklen Wiesen am
Stadtrand.
29 Apr 2013
## AUTOREN
Gabriela M. Keller
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