| # taz.de -- NPD in der Serie Landkreis XXL: Zimmermannshosen statt Anzug | |
| > Im Großkreis Mecklenburgische Seenplatte hat die NPD Fraktionsstatus | |
| > erreicht. Jetzt arbeiten ihre Abgeordneten daran, ihren Einfluss zu | |
| > nutzen. | |
| Bild: Udo Pastörs, NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, spricht während e… | |
| NEUBRANDENBURG/NEUSTRELITZ taz | In der Ecke ganz außen rechts erhebt sich | |
| ein junger Mann mit glattem Gesicht und kurz rasierten blonden Haaren. Er | |
| läuft in zügigen Schritten vorbei an den Pulten, an denen die Abgeordneten | |
| halblaut tuscheln oder in ihren Unterlagen blättern. Einige von ihnen | |
| verlassen den Saal. | |
| Der junge Mann heißt Hannes Welchar und ist seit Langem Teil der regionalen | |
| rechtsextremen Szene. 2010 wurde er wegen Körperverletzung verurteilt, wie | |
| das Amtsgericht Rostock bestätigt. Jetzt sitzt er als NPD-Fraktionsführer | |
| im Kreistag Mecklenburgische Seenplatte, der an diesem Abend in der Mensa | |
| der Hochschule Neubrandenburg tagt. | |
| Er tritt ans Rednerpult und legt das Papier vor sich, das er vorbereitet | |
| hat. Dann beginnt er vorzulesen, konzentriert und fast flüssig. Es geht es | |
| um den Landkreis selbst, der mit 5.500 Quadratkilometern der größte in | |
| Deutschland ist. „Ein Monsterkreis“, sagt Welchar. | |
| ## Aus der Menge steigt ein Raunen und Räuspern | |
| Die NPD fordere, die Gebietsreform von 2011 zurückzunehmen: Der neue Kreis | |
| soll sich auflösen, die alten Kreise sollen wieder entstehen. Aus der Menge | |
| im Saal steigt ein Raunen und Räuspern. Jemand lacht auf. Welchar spricht | |
| weiter, als höre er das nicht. „Die weiten Wege beeinträchtigen die | |
| Funktionen der Verwaltung und die Arbeit der Kreistagsmitglieder“, sagt er, | |
| „von den versprochenen Einsparungen ist nichts zu sehen.“ | |
| Was er nicht sagt: Seine Partei zählt zu den Gewinnern der Reform. In | |
| keinem der Altkreise hatte die NPD Fraktionsstatus. In dem neuen Großkreis | |
| schon. Denn mit der Fläche ist auch der Kreistag gewachsen, und die NPD hat | |
| mit vier Mitgliedern genau die Anzahl erreicht, die sie braucht, um eine | |
| Fraktion zu bilden. Damit hat sie auch Anspruch auf öffentliche Gelder. | |
| Zu einem direkten Gespräch ist die NPD-Fraktion nicht bereit; sie lässt | |
| sich Fragen per E-Mail schicken. Nach paar Tagen kommen die Antworten | |
| zurück. Welchar schreibt: „Der Einzug in Fraktionsstärke in den neu | |
| gebildeten Großkreis hat uns völlig neue Perspektiven geöffnet.“ | |
| Der Mittag eines sonnigen Märztages bricht an; die Sitzung im Kreistag | |
| beginnt in wenigen Stunden. Toralf Schnur, Fraktionsvorsitzender der FDP, | |
| steht am Fenster seines Büros, zündet sich eine Zigarette an und pustet den | |
| Rauch nach draußen. Er überlegt, wie er das erklären soll. Wie es ist, im | |
| Kreistag neben vier Rechtsextremisten zu sitzen. „Man hätte im Leben nicht | |
| damit gerechnet, dass man es mit solchen Typen mal zu tun bekommt“, sagt | |
| er. „Ein gewisses Unbehagen ist schon dabei.“ | |
| ## Mit Facebookprofil | |
| Für ihn ist das zwar nicht ganz neu, auch in seinem alten Kreistag Müritz | |
| saß ein NPD-Mitglied. „Bis letztes Jahr haben die eigentlich nie was | |
| gesagt. Die waren praktisch nicht da.“ Das sei anders geworden, seit die | |
| NPD von den Fraktionsgeldern profitiert, fast 4.000 Euro im Monat. Nun | |
| haben sie ein Bürgerbüro eröffnet. Sie haben einen YouTube-Kanal und ein | |
| Profil auf Facebook eingerichtet und geben eine Fraktionszeitung heraus. | |
| Zunehmend offensiv mischen sie sich auch in die Debatten im Kreistag. „Bei | |
| allen Themen, die das Volk bewegen, da springen die sofort auf den | |
| fahrenden Zug“, sagt Schnur. Der FDP-Politiker setzt sich an den Tisch; er | |
| gerät schnell in Rage, wenn es um die NPD geht. „Sie haben von vielen | |
| Dingen keine Ahnung“, ruft er, „sie arbeiten nicht inhaltlich.“ | |
| Deswegen seien die Rechten in der politischen Debatte leicht zu besiegen. | |
| Die demokratischen Parteien im Kreis folgen im Umgang mit der NPD dem | |
| „Schweriner Weg“, einer Richtlinie, die die Landtagsfraktionen | |
| ausgearbeitet haben. Dazu gehört, dass die Abgeordneten in | |
| Mecklenburg-Vorpommern jeden Antrag der Rechten geschlossen ablehnen. | |
| ## Möbelbörse, Blitzerstandorte | |
| Doch die Frage ist, ob die offenen Strukturen der Demokratie sich eignen, | |
| eine Partei dauerhaft auszugrenzen. Wie leicht es den Rechten inzwischen | |
| gelingt, die Regeln für ihre Zwecke zu nutzen, zeigte sich während einer | |
| Kreistagssitzung im Dezember: Die NPD hatte vier Anträge vorbereitet, es | |
| ging um die Möbelbörse in Groß Nemerow, um Blitzerstandorte. „Kein einziger | |
| betraf den Landkreis direkt“, sagt Schnur. Also schlug er vor, die Vorlagen | |
| von der Tagesordnung zu streichen. Alle übrigen Abgeordneten stimmten zu. | |
| Die NPD-Mitglieder ließen sie ihren Ärger spüren: Sie beantragten zu jeder | |
| der restlichen 30 Vorlagen eine namentliche Abstimmung und zogen die | |
| Sitzung so absichtlich in die Länge. Über sechs Stunden. | |
| So stehen die Politiker vor einem Dilemma: Zwar wollen die meisten | |
| geschlossen gegen die NPD vorgehen. Allerdings will dafür kaum jemand die | |
| halbe Nacht in Sitzungen verbringen. Schnur sagt, dass er wieder so handeln | |
| würde. „Sie nutzen die Freiheit mit dem Ziel, sie zu unterwandern“, ruft | |
| er, „und ich bin nicht bereit, das hinzunehmen.“ | |
| Die NPD wertet den Vorfall als Triumph über ihre Gegner: „Die übrigen | |
| Fraktionen wollten ein Zeichen gegen rechts setzen. Das ging vollkommen | |
| nach hinten los“, höhnt Welchar in der E-Mail an die taz. „Natürlich | |
| wollten wir uns diesen Firlefanz nicht gefallen lassen.“ | |
| ## „Masseneintritt von Kameraden in die NPD“ | |
| Der Landkreis ist keine rechte Hochburg. Bei den Wahlen 2011 kam die NPD | |
| auf 4,8 Prozent. In der Region Vorpommern erreicht die Partei zum Teil fast | |
| doppelt so viel. Eine Stärke der Rechten liegt im gesamten Bundesland | |
| jedoch in ihrer Geschlossenheit: Überall sonst ist die Szene gespalten, in | |
| die NPD auf der einen Seite und das militant geprägte Kameradschaftsmilieu | |
| auf der anderen. In Mecklenburg-Vorpommern ist beides fast deckungsgleich, | |
| sagt Rechtsextremismus-Experte Günther Hoffmann: „2005 gab es einen | |
| Masseneintritt von Kameraden in die NPD: Gut geschulte Kader haben den | |
| Landesverband praktisch übernommen.“ Somit sei die NPD in der Region von | |
| einem ganz anderen Typus geprägt. „In Sachsen dominieren Anzugträger, hier | |
| sind es Zimmermannshosen und Leinenhemden.“ | |
| Das gilt auch für die Fraktion im Kreis Mecklenburgische Seenplatte: Hannes | |
| Welchar, Jens Blasewitz und Norman Runge sollen Mitglieder der | |
| „Mecklenburgischen Aktionsfront“ gewesen sein, die seit 2009 verboten ist. | |
| Sie selbst streiten ihre Verbindungen zur Kameradschaftsszene nicht ab. | |
| Jeder von ihnen habe vor der NPD „in anderen Organisationen […] eine | |
| politische Heimat“ gehabt, schreibt Welchar etwas umständlich. | |
| Die Sonne senkt sich über der Hochschule Neubrandenburg, ein kühler Wind | |
| pfeift. Nach und nach treffen die Abgeordneten ein. Die NPD-Mitglieder | |
| ziehen schweigend herein; sie tragen tatsächlich alle Zimmermannshosen. Um | |
| sie kreist eine kleine Schar von Anhängern, junge, unauffällige Typen; sie | |
| lassen sich auf den Zuschauerstühlen nieder; einer packt einen Laptop aus. | |
| Er ist es wohl, der an diesem Abend den Liveticker auf der Facebookseite | |
| der Fraktion füttert. | |
| ## Sie werden geschnitten | |
| Ringsum sammeln sich die Politiker in Grüppchen, plaudern. Die | |
| NPD-Mitglieder halten sich abseits. Keiner spricht mit ihnen. Während der | |
| Debatten ist es dann nicht so einfach für die demokratischen Parteien, die | |
| Rechten zu ignorieren. „Das hier ist ihre Bühne“, sagt Peter Ritter, | |
| Fraktionschef der Linken. „Sie nutzen die Möglichkeit zu zeigen, wie tough | |
| sie sind.“ | |
| Ritter weiß, dass die Rechten ihren Einfluss nicht nur im Kreistag geltend | |
| machen. Erst im Juni wurden die Mauern seines Büros beschmiert. Mal wieder. | |
| Ritter winkt müde ab; nichts Neues für ihn. Doch seit einiger Zeit | |
| beobachtet er, wie die Rechten auch politisch dazulernen. „Doof sind sie | |
| nicht“, sagt er. „Man merkt ihnen an, dass sie vernetzt sind.“ | |
| Dann schlägt der Kreistagspräsident die Glocke. Die Fraktionen stellen ihre | |
| Anträge; die Abgeordneten heben ihre Kärtchen, grüne für Zustimmung, rote | |
| für Ablehnung. Die Grünen schlagen vor, dass der Kreis ein Programm | |
| entwickelt, um EU-Fördermittel effizienter abzurufen. „Es geht auch um eine | |
| Zusammenarbeit mit Polen“, sagt Fraktionschef Helge Kramer, neigt den Kopf | |
| kurz nach rechts, „da muss man sich als Nazi enthalten.“ Die NPD-Mitglieder | |
| zeigen keine Regung. | |
| ## Kreistagsmitglieder in der Übungsphase | |
| Später steht auf ihrer Facebook-Seite: „27 Stimmen für den Antrag der | |
| Grünen, 33 dagegen, 3 Enthaltungen, somit sind die Stimmen der NPD wieder | |
| das Zünglein an der Waage.“ | |
| Neustrelitz, am Nachmittag vor der Sitzung. Helge Kramer läuft über den | |
| Marktplatz, vorbei an hell getünchten, schmucken Fassaden. Für Kramer ist | |
| die Präsenz der Rechten noch ungewohnt; in seinem früheren Kreistag gab es | |
| keine NPD-Mitglieder. „Man ist anfangs in einer Übungsphase“, sagt er, | |
| „weil man zeigen will: Das ist alles Populismus. Man will das | |
| Demokratiefeindliche offensichtlich machen, aber zugleich verhindern, denen | |
| eine Plattform zu geben.“ | |
| Es wird Zeit, zur Sitzung aufzubrechen. Kramer setzt sich ins Auto, lässt | |
| die Stadt hinter sich, es geht durch stille Felder und Wälder. Die Grünen, | |
| sagt er, haben beschlossen, den NPD-Mitgliedern nicht die Hand zu geben. | |
| „Andere machen das, ob aus Unachtsamkeit …“, er lässt den unfertigen Satz | |
| in der Luft hängen, „es ist durchaus schwierig.“ | |
| ## „Wie Sie auf solche Ideen kommen“ | |
| Als Welchar aufgezählt hat, welche Gründe für die Auflösung des Kreises | |
| sprechen, nimmt er seine Papiere und geht zurück zu seinem Platz. Draußen | |
| ist es längst dunkel, in den Fenstern spiegelt sich der erleuchtete Saal. | |
| Peter Ritter von den Linken stapft nach vorne und holt tief Luft. „Wie Sie | |
| auf solche Ideen kommen“, sagt er. Die begonnene Reform rückgängig zu | |
| machen, sei noch viel teurer, als sie zu Ende zu bringen. Er klingt, als | |
| müsse er etwas erklären, das jedem schon klar ist. „Diesen Antrag kann man | |
| nur ablehnen.“ Es wird abgestimmt. Erst heben sich vier grüne Kärtchen, die | |
| der NPD, dann lauter rote. Wenig später packen die Politiker ihre Sachen, | |
| strömen nach draußen und verteilen sich in der Dunkelheit. | |
| „Wir wollen uns im Landkreis festsetzen und die politischen Geschicke | |
| beeinflussen“, so hat Welchar in der E-Mail geschrieben. „Wir sind noch | |
| längst nicht da angelangt, wo wir hinwollen.“ | |
| 23 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriela M. Keller | |
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