# taz.de -- Hamburger Landeskriminalamt: NSU-Opfer „Schmarotzer“ genannt | |
> Das Hamburger Landeskriminalamt zeigt seinen Feinsinn: In den Akten wird | |
> der vom NSU ermordete Süleyman Taşköprü als „Schmarotzer“ bezeichnet. | |
Bild: War er ein „Schmarotzer“? Mit solchen Fragen befassten sich die Ermit… | |
HAMBURG taz | Das NSU-Opfer Süleyman Taşköprü wird in den Ermittlungsakten | |
des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) als „Schmarotzer“ bezeichnet. Die | |
abwertende Bezeichnung fällt in den Akten zu dem Mordfall mehrmals. | |
In den Akten, die der taz vorliegen, findet sich das Wort „Schmarotzer“ in | |
einer Aussage aus dem Umfeld von Taşköprü, in der geschildert wird, dass er | |
weniger Geld gehabt und innerhalb seiner Clique nie etwas ausgegeben habe. | |
In einer Zusammenfassung später in den Akten wird die Bezeichnung zur | |
Charakterisierung von Taşköprüs Sozialverhalten aufgegriffen, in | |
Anführungszeichen gesetzt. | |
Taşköprü war am 27. Juni 2001 in seinem Gemüsegeschäft in der | |
Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld von Mitgliedern der | |
Neonazi-Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) erschossen | |
worden. | |
In einer Fallanalyse des LKA aus dem Jahr 2005 taucht der Begriff | |
„Schmarotzer“ ebenfalls auf. Das Dokument war bereits Gegenstand des | |
Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU. „Der Zeuge hat sich für den | |
völlig deplatzierten Ausdruck entschuldigt“, sagt der Ausschuss-Vorsitzende | |
Sebastian Edathy (SPD). Die Hamburger Polizei dagegen möchte das Verhalten | |
ihrer Beamten nicht kommentieren. Sie sei für das Verfahren nicht mehr | |
zuständig, sagt Polizeipressesprecher Holger Vehren. Daher dürfe er nichts | |
sagen. | |
## Rassistische Denkmuster | |
Die Linken-Abgeordnete Christiane Schneider hatte die Wortwahl des LKA am | |
vergangenen Donnerstag im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft | |
thematisiert. „Hier geht es nicht bloß um Zitate, dieser Begriff wurde | |
übernommen“, sagt sie. Schneider fordert eine öffentliche Aufarbeitung der | |
Ermittlungen von Hamburger Behörden zum NSU-Mord. „Ich habe inzwischen den | |
Eindruck gewonnen“, sagt Schneider, „dass ein Grund für die Verweigerung | |
der Aufarbeitung eingeschliffene rassistische Denk- und Verhaltensmuster | |
sind, die bis heute nicht reflektiert sind.“ Schon die Zusammensetzung der | |
Kripo-Sonderkommission vor zwölf Jahren offenbare einen verheerenden | |
Ermittlungsansatz, so Schneider: „Die Ermittler kamen vom Dezernat Raub, | |
Drogen und organisierte Kriminalität.“ | |
„Erschüttert“ äußert sich Angela Wierig, Rechtsanwältin von Taşköprüs | |
Schwester Aysen zur Verwendung des Worts „Schmarotzer“. Der Begriff | |
entlarve das Denken, so Wierig zur taz. Schon im Oktober 2012 hatte Wierig | |
im taz-Interview gesagt: „Ich denke, wenn die Familie deutsche Wurzeln | |
gehabt hätte, wären die Ermittlungen anders geführt worden.“ | |
Die nun bekannt gewordene Wortwahl bestärke sie in dieser Einschätzung. | |
„Man muss sich das vorstellen: Da wird ein Mensch mit drei Kopfschüssen | |
hingerichtet und der Ermittler bezeichnet ihn als ’Schmarotzer‘“, so | |
Wierig. „Wie erschüttert ist da das Vertrauen der Angehörigen?“ Die | |
Äußerung könnte allerdings erklären, warum so schlampig ermittelt worden | |
sei, sagt die Anwältin: „Ein ’Schmarotzer‘ weniger – wen interessiert … | |
## Menschenverachtende Züge | |
Diese Entgleisung, selbst nur als unkommentiertes Zitat, sei eben leider | |
nicht nur eine sprachliche, sondern gebe auch Einblick in die Denkmuster | |
derjenigen, die das Verbrechen aufklären sollten. „Die Ermittler können | |
sich sicherlich in ihrem Arbeitsalltag nicht allzu viel Empathie leisten“, | |
sagt Wierig, „aber eine Ermittlungsarbeit, die menschenverachtende Züge | |
trägt, ist unerträglich. Und offensichtlich auch wenig erfolgreich.“ | |
Von „verengten Ermittlungen“ spricht auch Zekeriya Altu, Vorsitzender des | |
Hamburger Landesverbandes des türkisch-islamischen Gemeindeverbands Ditib | |
und Mitunterzeichner des ersten Staatsvertrages mit Muslimen in einem | |
deutschen Bundesland. Von Pannen und Peinlichkeiten bei den Ermittlungen | |
will er auch nicht mehr reden. „Die Häufung ist schon statistisch nicht | |
möglich“, sagt der promovierte Physiker, und schiebt nach: „Dieser | |
antimuslimische Rassismus belastet das Miteinander von Muslimen und | |
Mehrheitsgesellschaft.“ | |
1 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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