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# taz.de -- Tests der Pharmaindustrie: Ausprobieren im Osten
> Westdeutsche Pharmakonzerne sollen Hunderte Medikamente an rund 50.000
> DDR-Patienten getestet haben. Ein Teil der Patienten soll es nicht
> gewusst haben.
Bild: Ende 2012 war von rund 165 Medikamentenstudien in der DDR die Rede gewesen
BERLIN dpa | Das Ausmaß der Arzneimitteltests westdeutscher
Pharmaunternehmen in DDR-Kliniken ist nach Informationen des
Nachrichtenmagazins Spiegel offenbar größer als bisher bekannt.
In mehr als 50 Kliniken sollen über 600 Medikamentenstudien in Auftrag
gegeben worden sein. Mehr als 50.000 Menschen sollen – teils unwissentlich
– als Testpatienten gedient haben. Für einzelne Studien seien viele
hunderttausend D-Mark gezahlt worden.
Wissenschaftler an der Berliner Charité wollen die Vorwürfe nun
untersuchen. Die Stasi-Landesbeauftragten in Ostdeutschland hatten bereits
Ende April eine umfassende Studie gefordert.
Berichte über Medikamententests in DDR-Krankenhäusern sind nicht neu.
Bereits 1991 hatte eine Kommission in den Kliniken Ost-Berlins
„Arzneimittelprüfungen am Menschen“ untersucht, wie das
Bundesgesundheitsministerium auf dpa-Anfrage mitteilte. Ende 2012 war in
Medienberichten von rund 165 Medikamentenstudien die Rede gewesen.
## Die Aufarbeitung der SED-Diktatur
Der Spiegel schreibt nun, dass mehrere Testreihen wegen Todesfällen
abgebrochen werden mussten und beruft sich auf Akten des
DDR-Gesundheitsministeriums, der Stasi und des Instituts für
Arzneimittelwesen der DDR.
Die neuen Enthüllungen lösten am Wochenende Empörung aus. „Die
deutsch-deutschen Pharma-Tests zeigen, dass die Aufarbeitung der
SED-Diktatur ein gesamtdeutsches Anliegen ist“, sagte der Bundesbeauftragte
für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, der dpa.
Die westdeutsche Pharmaindustrie habe sich die autoritären Bedingungen der
SED-Diktatur zunutze gemacht. Eine Sprecherin der Jahn-Behörde sagte zudem,
es gebe ausführliche Dokumente darüber, dass die Stasi die Beziehungen
westdeutscher Pharmafirmen mit dem DDR-Gesundheitssektor sorgfältig im
Blick gehabt habe, da es um Devisen gegangen sei.
Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus
Knabe, sieht die Bundesregierung und die Pharmakonzerne in der Pflicht.
„Wer Menschen, die sich nicht wehren können, als Versuchskaninchen
missbraucht, handelt inhuman“, sagte Knabe.
## Einer der größten Medizinskandale
Sollten tatsächlich mehr als 50.000 Menschen als Testpatienten gedient
haben, sei das einer der größten Medizinskandale der Nachkriegsgeschichte.
Die Organisation DDR-Opfer-Hilfe kritisierte, es sei „ein Skandal, dass
ethische Grundsätze gegen Westgeld offenbar planmäßig über Bord geworfen
wurden“.
Der Charité-Historiker Volker Hess will die Vorgänge untersuchen und warnte
davor, vorauseilend zu skandalisieren. „Ich würde nie von Menschenversuchen
sprechen, das ist eine andere Kategorie.“ Es handele sich um klinische
Arzneimittelversuche, die nach gängigen Regeln durchgeführt wurden, sagte
der Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Charité, Hess.
Eine der nun zu klärenden Fragen sei, ob und wie beide Seiten von den Tests
ökonomisch profitiert hätten. Die Idee seines Forschungsprojekts sei es,
alle Beteiligten - also auch die Pharmaunternehmen – einzubinden. „Wir
wollen prüfen, ob alles mit rechten Dingen zuging.“
12 May 2013
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