# taz.de -- Die Wahrheit: Die Bummelrevoluzzer | |
> Die neue Partei SLOW steht für die Entdeckung der Langsamkeit und für ein | |
> progressives Modell der Verkehrsplanung. | |
Bild: Für die Parteigänger von SLOW ist Langsamkeit im Verkehr das höchste G… | |
Ein zwölf Kilometer langer Stau zieht sich durch die Hauptstadt. Genervte | |
Autofahrer hupen, gestikulieren und brüllen wilde Beschimpfungen aus den | |
heruntergelassenen Fenstern. Ziel ihres Unmuts ist Horst Fähnrich. Der | |
Berliner aber scheint sich davon nicht stören zu lassen und rollt mit | |
seinem Aston Martin gemächlich im Schritttempo die Hauptstraße in | |
Schöneberg entlang, bis er – wie in Zeitlupe – auf den Parkplatz des | |
Treffpunkts einbiegt. „Sieben Stundenkilometer – alles andere ist | |
Raserei!“, steht in großen weißen Buchstaben auf seiner Heckscheibe. | |
Während Sigmar Gabriel mit seiner kurzzeitigen Sympathiebekundung für ein | |
Geschwindigkeitslimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen beinahe für | |
Ausschreitungen im Berliner Politbetrieb gesorgt hat, ist der Ansatz von | |
Horst Fähnrich weitaus radikaler. | |
„Tempo 120, Tempo 50, Tempo 30 – das ist doch alles weichgespülte Schonkost | |
für bürgerliche Wohlstandwähler! Wir stehen für ein progressives Modell der | |
Verkehrsplanung: Schritttempo!“ Mit „wir“ meint Fähnrich die frisch | |
gegründete Partei SLOW, deren Wahlslogan „Schön langsam, aber ohne | |
Warterei“ die Abkürzung erklären soll. Der einzige Parteiinhalt sei es, der | |
„neuen Langsamkeit“ den Weg zu bereiten, erklärt Gründungsmitglied, | |
Parteichef und Kanzlerkandidat Horst Fähnrich. | |
Der 64-jährige pensionierte Bahnschrankenwächter kann als Hintergrund | |
dreißig Jahre Verkehrsbeobachtung vorweisen. Außerdem, so Fähnrich, sei er | |
schon als kleines Kind von Verkehrsplanung fasziniert gewesen. Besonders | |
gern habe er vor roten Ampeln gestanden – mitunter tagelang. | |
„Irgendwann haben die von der Bahn mir den Job angeboten.“ Fähnrich | |
entwickelte dort seine ersten verkehrspsychologischen Modelle: „Während die | |
vorbeirasenden Züge einen völlig kirre machen, sind diese friedfertig | |
wartenden Autos an der Schranke total beruhigend!“ | |
Hobby-Friseur und Kassenwart von SLOW ist Lothar Weckmann, der, wie er | |
sagt, einmal mit seinem VW-Bus im ersten Gang bis nach Portugal gefahren | |
ist. Für Weckmann ist ein radikales Tempolimit allein wegen der älteren | |
Verkehrsteilnehmer und ihrer eingeschränkten Fahrtauglichkeit vonnöten. | |
„Schritttempo ist auch für ältere Verkehrsteilnehmer ohne großes Risiko | |
umsetzbar. Einfach zu Hause einsteigen, die Kupplung kommen lassen und dann | |
gemütlich zum Ziel rollen. Wenn Omi oder Opi am Lenkrad dann mal für fünf | |
Minuten einnicken, fällt das gar nicht weiter störend auf.“ | |
Auf den Autobahnen hingegen bewirke Schritttempo nicht weniger als eine | |
Revolution, verspricht SLOW-Chef Fähnrich. „Das schafft völlig neue | |
Nutzungsmöglichkeiten! Fahrradfahrer, Fußgänger, spielende Kinder, tobende | |
Hunde. Auch für die Wirtschaft ist die Autobahn höchst attraktiv. Ich | |
stelle mir da auf der Mittelspur eine Art Flaniermeile vor: Mit | |
Gastronomie-Betrieben, Modeläden und kleinen Parkanlagen. Die Autobahn ist | |
für alle da! Wir reden hier von einer Demokratisierung des Verkehrswesens!“ | |
SLOW verweist auf das hohe Einsparpotenzial ihres neuen Verkehrsmodells – | |
gerade in Zeiten klammer Kommunen. Der gesamte öffentliche | |
Personennahverkehr soll abgeschafft werden. „Kostet nur, brauchen wir | |
nicht!“, behauptet Kassenwart Speckmann. „Wenn im Innenstadt-Bereich alle | |
Schritttempo fahren, dann ermöglicht das ein flächendeckendes | |
Hop-On-Hop-Off-System. Irgendwer schleicht doch immer um die Ecke. Bei | |
gemütlichen sieben Stundenkilometern kann jeder bequem ein- und wieder | |
aussteigen.“ | |
Horst Fähnrich und seine Mitstreiter sind Überzeugungstäter. Fähnrich | |
versuchte sich schon lange vor der Gründung von SLOW an der Lobbyarbeit in | |
Berlin. Allerdings sei er stets am Zutritt ins Parlament gehindert worden – | |
von „ADAC-Proleten“, wie Fähnrich beklagt. Aber immerhin habe er | |
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einmal aus der Ferne den Mittelfinger | |
zeigen können. | |
Sollte bei der nächsten Bundestagswahl SLOW mit Horst Fähnrich den | |
Bundeskanzler stellen, werde als erste Amtshandlung ein neuer Kalender | |
eingeführt, verrät Kassenwart Speckmann. „Die Wurzel allen Übels ist doch | |
der verdammte gregorianische Kalender! Viel zu knapp bemessen. Wenn wir die | |
Regierung übernehmen, dann führen wir sofort das 730-Tage-Jahr ein! Dann | |
hat man für alles doppelt so viel Zeit!“ | |
Zeit, das sei das Stichwort, sagt Fähnrich mit einem hektischen Blick auf | |
die Uhr. Die habe er jetzt nicht mehr. Er müsse dringend seine Enkel von | |
der Kita abholen. Fähnrich läuft zu seinem Aston Martin, schwingt sich | |
hinter das Lenkrad, lässt den Motor aufheulen und rast davon. Kassenwart | |
Weckmann schaut ihm hinterher. „Bewundernswert, dieser Mann. Ein Leben auf | |
der Überholspur.“ | |
14 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Nico Rau | |
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