| # taz.de -- Die Wahrheit: Wildwechsel | |
| > Eine mystische Geschichte von mutigen Pilzsuchern und echten | |
| > Schweinepriestern. | |
| Bild: In den Tiefen des gruseligen Waldes hat der Eber van Telst seinen unermes… | |
| „Es ist früher hell und früher dunkel – das ist doch Scheiße. Herbst ist | |
| Scheiße!“ Benny steuerte das Auto mit verkniffenem Gesicht. „Unsinn! | |
| Deswegen gibt es ja die Zeitumstellung. Es wird später hell und später | |
| dunkel – wegen der Wirtschaft!“, rief Thorsten von der Rückbank, um den | |
| lauten Motor zu übertönen. Benny fuhr mit 70 km/h im zweiten Gang. Das | |
| verbessere die Traktion. Rutschige Blätter und Nässe seien während dieser | |
| Jahreszeit die Hauptursache tödlicher Unfälle. | |
| Thorsten hatte diese Schnapsidee gehabt, sie könnten im Wald auf Pilzsuche | |
| gehen. Das spare Geld, sei gesund und so kämen sie vor die Tür, statt immer | |
| in ungelüfteten Kneipen herumzuhängen. „Was war das?“, rief Benny plötzl… | |
| und verriss beinahe das Lenkrad. „Mach dich mal locker! Ein Hase! Soll | |
| vorkommen im Wald!“, schaltete sich Helge genervt ein. Er hatte Thorsten | |
| von Anfang an davon abgeraten, Benny mitzunehmen. Es gab einen guten Grund, | |
| warum der sich sonst nur in geschlossenen Räumen aufhielt. | |
| „Schaut mal in die Tasche auf dem Rücksitz. Da findet ihr Walkie Talkies.“ | |
| Thorsten und Helge blickten sich verständnislos an. „Ständig verlaufen sich | |
| Menschen bei der Pilzsuche und werden erst Wochen später ausgehungert, | |
| dehydriert und verwirrt aufgefunden! Wenn überhaupt. Ich geh hier doch | |
| nicht drauf!“ Benny schaltete vor der Kurve in den ersten Gang zurück und | |
| der Motor heulte auf. | |
| Entweder war der Eber taub, oder er hatte das Aufheulen schlicht ignoriert. | |
| Er stand völlig regungslos hinter der Kurve auf dem Waldweg und wartete | |
| stoisch auf den Aufprall. Eventuell hatte er suizidale Tendenzen. | |
| ## „Dreckiger Kack-Eber!" | |
| Nur Sekunden später bot sich auf dem Waldweg eine verstörende Szenerie. | |
| Benny war in Tränen ausgebrochen, Thorsten in den Wald gelaufen und Helge | |
| fluchte wie eine gesichtstätowierte Hafenprostituierte. „Dreckiger | |
| Kack-Eber!“ – „Wir werden alle sterben!“, jammerte Benny, der das Lenkr… | |
| noch immer nicht losgelassen hatte. „Bist du eigentlich bescheuert?“, | |
| schnauzte Helge ihn an. | |
| Er stieg aus, um das Unfallopfer zu betrachten. „Wo ist der gottverdammte | |
| Eber?“, brüllte Helge in den Wald. Unfallopferflucht. „Wir müssen den | |
| Förster informieren. Dann suchen wir Thorsten.“ „Die sperren uns für immer | |
| weg!“, schluchzte Benny. | |
| Sie hatten nicht bemerkt, wie sich der bärtige Hüne genähert hatte. | |
| Plötzlich stand er hinter ihnen und legte seine schweren Pranken auf ihre | |
| Schultern. „Dieser Mistkerl!“, stellte er kopfschüttelnd fest. „Was für… | |
| Mistkerl?“ – „Sie nennen ihn Eber van Telst“, erklärte der Hüne. „E… | |
| einen unermesslichen Schatz in den Tiefen des Waldes gehortet haben. | |
| Versicherungsbetrug mit fingierten Wildunfällen.“ | |
| Er selbst sei nur ein einfacher Pilzsucher, sagte der Hüne. Doch kenne er | |
| sich im Wald aus und wolle helfen. Den Schatz werde man sich natürlich | |
| teilen. Benny war überhaupt nicht wohl bei der Sache. „Der hat vielleicht | |
| nicht mehr alle Zacken in der Krone, aber wenigstens Ortskenntnis!“, raunte | |
| Helge. | |
| ## Pilze zur Stimmungsaufhellung | |
| Sie fanden Thorstens Schuhe ordentlich nebeneinander gestellt auf einem | |
| Baumstumpf. „Ihm ist etwas zugestoßen!“, stieß Benny zitternd hervor. Der | |
| Hüne roch an den Schuhen und verzog das Gesicht. „Eber-Urin! Kein gutes | |
| Zeichen. Er hat euren Freund entführt!“ Sie sollten sich zur Sicherheit | |
| ihrer Schuhe entledigen, empfahl der Hüne. | |
| Während der Suche drückte der Pilzsammler ihnen immer wieder ausgesuchte | |
| Pilze zum Verzehr in die Hand. Die Stimmung hellte sich in den folgenden | |
| Stunden merklich auf. Vor Übermut kletterte Benny auf einen Baum, | |
| verhedderte sich dabei hoffnungslos, sodass der Hüne ihn freischneiden | |
| musste. Helge hatte sich mittlerweile sämtlicher Kleidung entledigt und | |
| hüpfte singend durch den dichten Wald. | |
| Dann standen sie vor der windschiefen Jagdhütte. „Leise!“, mahnte der Hün… | |
| Zu spät. Lautes Gepolter drang aus der Hütte. Benny und Helge hielten den | |
| Atem an. Die Tür wurde aufgestoßen. Mit einem Schrei stürzte sich Thorsten | |
| – ebenfalls nackt – auf den Hünen und ein heftiges Handgemenge entbrannte. | |
| Ein tiefes Knurren aus der Hütte ließ alle erstarren. „Jetzt ist er | |
| sauer!“, flüsterte Thorsten, der gerade in das Ohr des Hünen beißen wollte. | |
| Ein riesiger Eber erschien in der Tür der Jagdhütte. Der geflochtene | |
| Wildblumenkranz wirkte seltsam deplatziert auf seinem massiven Schädel. | |
| „Der Eber van Telst! Es gibt ihn also wirklich!“, staunte der Hüne. Das | |
| schwarze Ungetüm starrte die Gruppe aus seinen gelben Augen bedrohlich an. | |
| „Wir werden heiraten“, erklärte Thorsten schnell. „Was?“, riefen Helge… | |
| Benny gleichzeitig. „Schwul und das Zölibat brechen! Das melde ich dem | |
| Forstamt!“ Der Hüne rieb sich ungläubig das Ohr und murmelte in seinen | |
| Bart: „Deine Tage sind gezählt, van Telst …“ | |
| 1 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Nico Rau | |
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