| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Weißen des Todes | |
| > Seit Tausenden von Jahren essen die Menschen Gift. Fleischlose Körnerkost | |
| > oder doch körnige Fleischkost? Die Maya führten sogar Krieg wegen dieser | |
| > Frage. | |
| Bild: Milch – Das weiße Gift | |
| Der Mensch neigt dazu, im Laufe seines Lebens an verschiedenen Dingen zu | |
| scheitern. Ich beispielsweise bin kürzlich daran gescheitert, mich | |
| einwandfrei zu ernähren. | |
| Dabei fing alles ganz harmlos an. Ich traf eine alte Freundin auf einen | |
| Kaffee. Ich will sie nicht fanatisch nennen, aber immer wenn sie ein neues | |
| Hobby hat, missioniert sie ihr Umfeld. Und sie macht dabei keine | |
| Gefangenen. | |
| „Du bist so blass!“, begrüßte mich Claudia. „Echt?“ – „Und deine … | |
| sind ja ganz glasig.“ – „Mein Augen?“, fragte ich irritiert. „Und dei… | |
| – total strohig!“ Claudia setzte ihre Kennermine auf. Das seien | |
| Mangelerscheinungen. Genau so sei es ihr auch gegangen. Bis sie ihre | |
| Ernährung umgestellt habe. „Aber mir geht’s wirklich gut, Claudia.“ Sie | |
| schüttelte den Kopf, so wie ein Missionar den Kopf schüttelte, wenn der | |
| naive Wilde noch immer beharrlich den falschen Gott anbetete. | |
| In der nächsten halben Stunde lernte ich eine Menge über Ernährung. Die, so | |
| Claudia, grundsätzlich problematisch sei. Genau genommen sei sie das | |
| älteste Problem der Menschheit. Schon seit Hunderttausenden Jahren | |
| ernährten sich die Menschen falsch. Ganze Zivilisationen seien deshalb | |
| untergegangen. | |
| „Die Maya sind nicht wegen der Spanier ausgestorben!“, flüsterte Claudia | |
| verschwörerisch. „Sie haben sich untereinander bekriegt! Sie konnten sich | |
| nicht einigen, was gesünder ist: fleischlose Körnerkost oder körnige | |
| Fleischkost!“ Längst hätten wir alle Planeten unseres Sonnensystems | |
| besiedelt, sämtliche Umweltprobleme behoben und universalen Frieden | |
| geschaffen, wäre nicht das leidliche Thema Ernährung dazwischengekommen. | |
| Und ich hatte immer geglaubt, wer täglich selber kocht und das mit frischen | |
| Zutaten, könnte nicht so viel falsch machen. Oh, was für ein dummer Narr | |
| ich war. | |
| „Wie hältst du es denn mit den drei Weißen?“, bedrängte Claudia mich jet… | |
| bohrend. „Den drei Weisen? Aus dem Morgenland?“, fragte ich. „ Salz, | |
| Zucker, Milch“, antwortete Claudia. „Wie sollte ich es denn mit ihnen | |
| halten?“ Erneutes Kopfschütteln. „Weißt du etwa nicht, wie man sie auch | |
| nennt? Zucker – Der süße Tod, Milch – Das weiße Gift, Salz – Der alte | |
| Sack!“ | |
| Ich wollte gerade etwas Zucker in meinen Kaffee rühren. Mir fiel der Löffel | |
| aus der zittrigen Hand. Claudia schaute mich mitleidig an. Welch Glück es | |
| sei, dass wir uns rechtzeitig getroffen hätten. Sie wolle mir helfen. Und | |
| so schrieb Claudia mir für die nächsten vierzehn Tage einen Ernährungsplan. | |
| Nach zwei entsetzlichen Wochen schlimmer Entbehrungen ging es mir | |
| hundsmiserabel. Voller Zorn dachte ich an griesgrämige | |
| Ernährungswissenschaftler mit unansehnlichen Bärten, in denen zahllose | |
| Nahrungsreste klebten. Sie waren es, die in nächtelanger Forschungsarbeit | |
| permanent Schockierendes über Lebensmittel herausfanden. Menschen wie | |
| Claudia waren ihre Missionare. | |
| Ich schleppte mich zum Arzt meines Vertrauens. Er schaute in mein | |
| gelblich-fahles Gesicht und befand ohne Zögern: „Sie haben eine | |
| Spurenelementevergiftung.“ – „Was? Das kann gar nicht sein!“, rief ich | |
| empört, „Ich habe doch alles weggelassen! Nur noch fades Gepampe zu mir | |
| genommen!“ Dann würde ich eben unter Endorphinmangel leiden, weil mein | |
| Essen so freudlos geworden sei, diagnostizierte der Arzt. | |
| Er empfahl mir Bananen oder Lachen, beides sorge dafür, dass der Körper | |
| Glückshormone ausschütte. Auf dem Heimweg entschied ich mich für die | |
| kostengünstigen Variante – Lachen. Herzhaft lachte ich in die Gesichter | |
| irritierter Passanten. Mehrere Menschen drohten mir mit Prügel. Zu Hause | |
| rief ich Claudia an. | |
| Wir trafen uns im selben Café. Ich beschwerte mich augenblicklich über | |
| ihren Essensplan. Sie hörte nicht zu, sondern starrte gebannt auf meinen | |
| Oberkörper. „Du hast wirklich keine gute Haltung“, stellte sie fest. Ich | |
| öffnete den Mund, aber Claudia war schneller. „Das liegt an deinen | |
| Schuhen.“ – „An den Schuhen?“ „Der menschliche Fuß ist für Schuhe n… | |
| gemacht, mein Lieber. Deshalb leiden wir alle unter Haltungsschäden.“ Sie | |
| streckte mir unter dem Tisch demonstrativ ihre Füße entgegen. Sie waren | |
| nackt. Und sehr dreckig. | |
| 4 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Nico Rau | |
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