# taz.de -- Eurokolumne: Frankreich sucht den Sündenbock | |
> Wer sich wirtschaftspolitisch nicht gegen das deutsche | |
> Eurokrisenmanagement wehren kann, setzt auf Germanophobie. Und macht | |
> Deutschland zum Sündenbock. | |
Bild: „Deutschland funktioniert wenigstens“, oder? | |
Droht Europa – mal wieder – unter dem schwankenden Weltbild der Deutschen | |
zu bersten? Wer sich wirtschaftspolitisch nicht gegen das deutsche | |
Eurokrisenmanagement wehren kann, setzt leicht auf kulturelle | |
Germanophobie. Besonders in Frankreich sind Reformen à la Allemagne derzeit | |
schlecht gelitten. Unter der Meinungsführerschaft des Soziologen Emmanuel | |
Todd schießt sich gerade halb Paris auf die Deutschen ein. | |
Ein Beispiel für derlei diskursive Ausweichmanöver ist der aktuelle | |
Kulturkampf rund um die Ausstellung deutscher Maler im Louvre: Für einige | |
Kommentatoren ist klar, dass die düsteren Bilder eines Caspar David | |
Friedrich das Land fast notwendigerweise zu Hitler und Faschismus führen | |
mussten. Ihnen geht es um eine Art biologistische kulturelle | |
Determinierung, eine nationale Haut, aus der die Deutschen nicht | |
herauskommen. | |
Diese sublimierte französische Germanophobie ist Ausdruck zunehmender | |
résistance gegen die ökonomische Dominanz des Nachbarn. Der Widerstand in | |
Südeuropa und Brüssel dagegen wächst – und doch ist es im politischen | |
Europa heute schwer, gegen teutonische Sparpolitik zu punkten. Monatelang | |
wurden die Franzosen beschallt, sie müssten Deutschland kopieren: das duale | |
Ausbildungswesen, die Exportzahlen, den Mittelstand, Fraunhofer-Institute | |
und Forschungs-Cluster. | |
Es geht hier um Traditionen, gewachsene Strukturen und ökonomische | |
Kulturen, die Nationen nicht einfach übergestülpt werden können. Lange | |
waren viele Franzosen für das deutsche Modell aufgeschlossen. Die Werbung | |
spielte sogar mit der These, dass die Deutschen besser seien – nicht nur im | |
Autobau, eigentlich in (fast) allem. | |
## Der Schaden durch Hartz IV | |
Ein Opel [1][wird in einem Clip auf Deutsch] beschrieben, dann erscheinen | |
französische Untertitel: „Sie müssen kein Deutsch sprechen, um einen Opel | |
Corsa zu kaufen.“ Es war mal leicht, einen Taxifahrer in Paris oder | |
Marseille zu finden, der nicht nur vom deutschem Fußball begeistert war: | |
„Deutschland funktioniert wenigstens“, hörte man. | |
Aber was ist das deutsche Modell eigentlich? Mitbestimmung oder | |
Hartz-IV-Reform? Die aufgeschlossene Stimmung kippt gerade. Inzwischen | |
dämmert vielen, dass Hartz IV einen kolossalen sozialen Flurschaden | |
hinterlassen hat. Zudem gilt linksrheinisch immer noch mit Henri IV: „La | |
poule au pot“ – am Sonntag muss das Huhn im Topf schmoren. | |
Hungerlöhne für Frisörinnen wie in Ostdeutschland sind mit dem | |
französischen Sozialstaatsmodell unvereinbar. Französische Gazetten | |
schreiben unter Berufung auf das DIW, das deutsche Jobwunder, besonders die | |
Jugendarbeitslosigkeit, sei mehr auf die (fatale) Demografie als auf | |
hiesigen Reformeifer zurückzuführen. | |
Man ist zunehmend auf Krawall gebürstet. „Demokratische Konfrontation“ | |
nannte das kürzlich die Parti Socialiste. Die Stimmung ist dabei laut | |
Umfragen symptomatisch für einen großen Teil der EU-Bürger – und diametral | |
der deutschen öffentlichen Meinung entgegengesetzt. Griechen, Italiener, | |
Deutsche und Franzosen sind sich – fast erstaunlich – zu 60 Prozent nur | |
noch in einem einig: dass der Euro bleiben soll. | |
## Deutsche und Franzosen uneinig | |
Insgesamt hat die EU überall in Europa drastisch an Ansehen verloren. | |
Vertrauen in Brüssel haben derzeit nur noch 45 Prozent der EU-Bürger (2012: | |
60 Prozent). Und: Deutsche und Franzosen sind sich überhaupt nicht mehr | |
einig über die Union – das tut dem einstigen Tandem Europas nicht gut. Nur | |
noch einer von zehn Franzosen, aber 75 Prozent der Deutschen sind derzeit | |
mit der ökonomischen Situation ihres Landes zufrieden. | |
Da liegt es nahe, nach einem Sündenbock wie Deutschland zu suchen. Das | |
hilft aber nicht. Besser wäre die Einsicht, dass beide recht haben. Nicht | |
alles in Deutschland ist gut. Nicht alles, was Frankreich will, ist falsch. | |
Wie würde Deutschland sich anstellen, wenn es binnen einer Woche das | |
wunderbare französische Kinderkrippenmodell einführen müsste? [2][Honi soit | |
qui mal y pense]. | |
17 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=NkH4-VvtqpE&list=PLE438DA497FB12AEA | |
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Honi_soit_qui_mal_y_pense | |
## AUTOREN | |
Ulrike Guérot | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Frankreich | |
Deutschland | |
deutsch-französisch | |
Wirtschaftskrise | |
Eurokolumne | |
taz.gazete | |
Schwerpunkt AfD | |
BBC | |
Brüssel | |
Gerechtigkeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eurokolumne: Holpriger Pas de deux | |
Keine Macht der Kommission! Der deutsch-französische Schulterschluss ist | |
das beherzte Bekenntnis, die Eurozone gemeinsam voranzubringen. | |
Eurokolumne: Sparers Leid mit der Dicken Bertha | |
Ja, es ist schlimm, wenn durch die Niedrigzinspolitik der EZB Sparer kaum | |
noch Zinsen bekommen. Aber die Alternative ist noch viel schlimmer. | |
Eurokolumne: Zweifeln ja, aber doch nicht so | |
Wie lange halten die Opfer der Krise noch still? Die Euroländer brauchen | |
eine neue Strategie, wenn der Euro bleiben soll. | |
Umfrage der BBC: „Fritz“ weltweit beliebt | |
Deutschland ist das beliebteste Land der Welt. Das ergab eine BBC-Umfrage | |
in 25 Ländern. In Griechenland sieht die Mehrheit Deutschland jedoch | |
negativ. | |
Verschärfung des EU-Zinssteuergesetzes: „Das ist beispiellos“ | |
Europas Staatschefs haben in Brüssel beschlossen, Steuerschlupflöcher zu | |
schließen. Das EU-Zinssteuergesetz soll bis Ende 2013 verschärft werden. | |
Kongress zu Verteilungsgerechtigkeit: Einladung zum Umverteilen | |
Nächste Woche diskutiert der Kongress „Umverteilen. Macht. Gerechtigkeit“ | |
über Wege aus der Eurokrise. Die öffentlichen Sparmaßnahmen treffen vor | |
allem die Armen. |