| # taz.de -- NSU-Verfahren: Zäher erster Akt | |
| > Der vierte Tag im NSU-Prozess ist vorbei. Und noch immer ist kein | |
| > Angeklagter zu Wort gekommen. Stattdessen geht es um die Hackordnung. | |
| > Jetzt sind erst einmal Pfingstferien. | |
| Bild: Will weiter schweigen: Beate Zschäpe, umringt von ihren Verteidigern | |
| MÜNCHEN taz | „Dann unterbreche ich jetzt eben 20 Minuten und frage den | |
| Techniker“, raunzt der Richter. Manfred Götzl rauscht davon. Kaum mehr als | |
| eine Viertelstunde ist an diesem Morgen bisher verhandelt worden. Und schon | |
| wieder: Pause. | |
| Es ist der vierte Prozesstag im NSU-Verfahren. Immer noch hat die | |
| Beweisaufnahme nicht begonnen, hat sich keiner der Angeklagten zu den | |
| Vorwürfen geäußert. Immer noch herrscht große Unruhe. Es sei schon zweimal | |
| gelacht worden, echauffierte sich am Vortag ein Zschäpe-Verteidiger, er | |
| verlange Lachverbot. | |
| Am Donnerstagmorgen erregt sich nun eine Anwältin der Nebenklage, Gül | |
| Pinar, dass ihr Mikrofon rot flackert, jedoch nicht anspringt – dafür aber | |
| das der Ankläger. Dabei habe sie doch eindeutig vor der Bundesanwaltschaft | |
| den Sprechknopf gedrückt! | |
| Da reicht es dem Vorsitzenden Richter Götzl. Er unterbricht schon um 10.20 | |
| Uhr und lässt den Techniker holen. Dafür hätte es wohl keine Pause von 20 | |
| Minuten gebraucht. Vermutlich ging es also auch um etwas anderes: endlich | |
| Ruhe reinzubringen in diesen mit Emotionen aufgeladenen Prozess. | |
| Von der Zuschauerempore wirkt das Treiben im Saal wie ein Theaterstück mit | |
| zähem ersten Akt. Vorne die Richter. Rechts in ihren roten Roben die | |
| Vertreter der Bundesanwaltschaft. Hinten die Opferangehörigen. Und | |
| schließlich links in drei Reihen hintereinander die fünf Angeklagten. Sie | |
| sind eigentlich die Hauptakteure, wirken manchmal aber wie Statisten. | |
| Zumeist starren sie vor sich hin. Zschäpe hat bisher nicht einen Satz ins | |
| Mikrofon gesagt. Noch nicht mal ihre Personalien wollte sie bestätigen. | |
| Geredet haben fast nur die Juristen. | |
| Es ist nicht ungewöhnlich in großen Verfahren, dass zu Beginn zahlreiche | |
| Anträge gestellt und Fragen geklärt werden. So ist es auch in diesem | |
| Prozess. Sowohl die 11 Verteidiger der 5 Angeklagten als auch die 62 | |
| Anwälte der 86 Nebenkläger haben eine Reihe von Anträgen gestellt. Der ein | |
| oder andere fiel langatmig aus, aber, von Verschwörungstheorien der | |
| Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Helfers Ralf Wohlleben abgesehen, sie | |
| taugen kaum zur Skandalisierung. | |
| ## Es geht um die Hackordnung | |
| Es geht am Anfang eines Prozesses aber immer auch um etwas anderes: um die | |
| Hackordnung. Um die Frage, wer hier im Saal etwas zu sagen hat. Manchmal | |
| sogar im Wortsinn. Zschäpe-Anwalt Wolfgang Heer streitet sich beharrlich | |
| bis penetrant mit Richter Götzl darüber, dass er jetzt das Wort bekommen | |
| wolle, ja müsse. | |
| Wie die Zschäpe-Verteidigung überhaupt findet, dass sie prinzipiell vor den | |
| Nebenklägern reden können solle. Am Mittwoch dann hat Wolfgang Stahl, ein | |
| weiterer Zschäpe-Verteidiger, seinen Auftritt. Als im Saal gelacht wird, | |
| ruft er „unerhört“, springt auf und reißt sich die schwarze Robe vom Leib. | |
| Abgang Stahl rechts. | |
| In solchen Momenten muss Richter Götzl klarmachen, dass er hier die Regie | |
| führt. Ein Verfahren mit so vielen Beteiligten setze „eine gewisse | |
| Disziplin voraus“, ruft er in den Saal. | |
| Doch bei allem Theater: Es kann auch sachlich zugehen in diesem Prozess. | |
| Als Bundesanwalt Herbert Diemer am Dienstagnachmittag eine Stunde lang im | |
| Stehen mit sonorer Stimme die Anklage verliest, herrscht im Saal würdiges | |
| Schweigen. Zehn Hinrichtungen, zwei Anschläge, 15 Raubüberfälle, Mord, | |
| Beihilfe zum Mord, Terrorismus, Terrorunterstützung. Am Ende sagt Diemer | |
| trocken: „So.“ | |
| ## Heikle Akten | |
| Auch einige der vielen Anträge sind nüchtern diskutiert worden – wobei die | |
| Linien nicht immer so verliefen, wie manche vermuten würden. So forderten | |
| sowohl die Zschäpe-Verteidiger als auch mehrere Nebenkläger, das komplette | |
| Verfahren zumindest im Ton aufzuzeichnen. Um für den womöglich Jahre | |
| dauernden Prozess ein Protokoll aller Aussagen zu haben – was der Senat | |
| aber ablehnte. | |
| Derselben Meinung sind Verteidigung und Nebenkläger auch, als es um heikle | |
| Akten geht. Beide Seiten beklagen, dass sie bisher nur unzureichend | |
| Einsicht in die geheimen Teile der Protokolle der | |
| NSU-Untersuchungsausschüsse hätten. Bisher könnten diese nur beim Gericht | |
| eingesehen und nicht kopiert werden. | |
| Selbst Notizen, die die Anwälte darüber erstellen, müssen dableiben. Der | |
| Kritik schloss sich am Donnerstag sogar Richter Götzl an. Der Umgang mit | |
| den Protokollen, die noch nicht mal der Senat kopieren dürfe, mache in der | |
| Tat Schwierigkeiten: „Da sind wir uns einig.“ | |
| Der Prozess wird nach den bayerischen Pfingstferien am 4. Juni fortgesetzt | |
| mit dem zweiten Akt: der Beweisaufnahme. „Ich werde mich äußern“, kündig… | |
| der wegen Beihilfe zu neunfachem Mord angeklagte Carsten S. an. | |
| In Kooperation mit Radio Lora München, [1][www.lora924.de] | |
| 16 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://lora924.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Wolf Schmidt | |
| Wolf Schmidt | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Beate Zschäpe | |
| Nazis | |
| OLG München | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Rechtsextremismus | |
| NSU-Prozess | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Carsten S. im NSU-Prozess: „Die drei armen Verfolgten“ | |
| Carsten S. war Funktionär der rechten Szene. Er sagt, er wäre damals der | |
| „Kleine“ gewesen, der ausgeführt habe, was ihm von den Kameraden | |
| aufgetragen worden sei. | |
| NSU-Helfer Carsten S.: Kein Vergessen | |
| Er ist der Mann, der dem NSU die Mordwaffe geliefert hat. Nach seinem | |
| Coming-Out suchte er ein neues Leben. Viele Jahre später holt ihn die | |
| Vergangenheit ein. | |
| NSU-Opferanwalt in München: Kanzlei mit Fäkalien beschmiert | |
| Nach einem Medienbericht ist in München die Kanzlei eines NSU-Opferanwalts | |
| mit Fäkalien beschmiert worden. Zudem gab es weitere Angriffe mutmaßlich | |
| Rechter. | |
| NSU-Verfahren: Angeklagte wollen aussagen | |
| Zwei Angeklagte im NSU-Prozess wollen aussagen. Zudem entschieden die | |
| Richter, dass es keinen eigenen Prozess für den Bombenanschlag in der | |
| Kölner Keupstraße geben wird. | |
| NSU-Prozess zum Nagelbombenanschlag: Verfahren könnte geteilt werden | |
| Erhöht sich die Zahl der Nebenkläger wegen des Kölner Nagelbombenanschlags | |
| im Jahr 2004 weiter, könnte dieser Tatbestand vom Münchner Verfahren | |
| separiert werden. | |
| NSU-Prozess in München: Wohlleben macht auf Verschwörung | |
| Die Anwältin des wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Ralf Wohlleben | |
| beantragt, den Prozess einzustellen. Geheimdienste seien in die Taten | |
| verwickelt. | |
| Anklageverlesung im NSU-Prozess: Einziger Zweck: Töten | |
| Nach weiteren Verzögerungen im NSU-Prozess ist am Dienstag die Anklage | |
| gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Terrorhelfer verlesen worden. | |
| Türkischer Jurist über NSU-Prozess: „Keine Rücksicht für die Opfer“ | |
| Der Verfassungsrechtler Osman Can findet den Richter souverän und korrekt. | |
| Der Schmerz der Opferangehörigen stehe dahinter zurück. |