# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Der Herr der Zeit ist sterblich | |
> Sollte man die Zeit vergessen, Giovanni di Lorenzo? Ein Gespräch in der | |
> Sommerlounge mit dem Chefredakteur der Zeit. | |
Bild: Zeit-Leser sagen: „Ich kann abtauchen, ich bin weg.“ Sagt Zeit-Chefre… | |
Mach doch was zu unserem Pfingstthema, sagte meine Redakteurin Annabelle. | |
Es gehe um Entschleunigung. Nieder mit dem Zeit-Diktat. | |
Und schon sitze ich in der Sommerlounge des Regent Hotels in Berlin. | |
Halbsonne. Espresso. Nachmittagsklaviermusik. „Sollte man die Zeit | |
vergessen, Giovanni di Lorenzo?“ | |
Der Chefredakteur der Zeit überlegt. „Die Frage klingt so negativ, als | |
müsste ich mich für die Zerstörung der Zeit (oder der Zeit?, Anm. des | |
Autors) ins Zeug legen, was ich nicht möchte“, sagt er dann freundlich. | |
„Zerstört das das Konzept Ihrer Kolumne?“ | |
„Überhaupt nicht.“ Total. | |
Aber di Lorenzo ist offenbar ein kompromissbereiter Mann. „Wenn man | |
darunter Pflicht und Zwänge versteht, dann ist es wichtig, dass man die | |
Zeit vergessen kann.“ Schweigen beiderseits. Schließlich sagt er: „Erwarten | |
Sie ein längeres Statement?“ | |
Nein, sage ich. Aber die Idee, die Zeit zu vergessen, weil alles so schlimm | |
ist, behagt mir nicht. Ich überlege neuerdings, ob es nicht umgekehrt ist, | |
wir uns endlich um die Zeit kümmern sollten. Er nickt. „Wenn man es | |
schafft, wirklich bewusst mit der Zeit umzugehen, dann ist man endlich | |
erwachsen und relativ frei.“ Leider sei es eine der Tragödien der | |
menschlichen Natur, dass man das Stadium meist erreiche, wenn man gar nicht | |
mehr unter Druck stehe. | |
„Wissen Sie, was der erste große Realitätsschock eines Lebens ist?“, fragt | |
er leise. Er spricht überhaupt sehr leise. „Gerade denkt man noch, man sei | |
unsterblich, und innerhalb von Tagen merkt man plötzlich, dass die wahre | |
Frage ist, was man mit der Zeit macht, die man noch zur Verfügung hat.“ Den | |
Schock hatten Sie schon? „Ich habe das mit 30 sehr bewusst erlebt.“ Jetzt | |
ist er 54. Heinrich Böll brachte ihn drauf, dass es im Leben um Zeithaben | |
geht. | |
Nun zur Kernfrage, dem Geheimnis seines Erfolgs: Welches Verhältnis zur | |
Zeit und zum Zeitgefühl der Leute muss man haben, um erfolgreich zu sein | |
wie die Wochenzeitung Die Zeit? Oder etwas neidisch-unsachlich gefragt: Ist | |
die Zeit die politische Landlust? | |
Den Vergleich brächten interessanterweise viele Journalisten, sagt er. Und | |
zählt die „großen Differenzen“ auf, die ja evident sind. „Aber es gibt … | |
Gemeinsamkeit, und das ist das Fehlen von Zynismus.“ | |
Die Leser gäben der Zeit einen „institutionellen Rang“. Nachgefragt werde: | |
Verlässlichkeit, Tiefe, politisch zu sein, aber nicht parteipolitisch. Und: | |
Die Hoffnung darauf, etwas mitnehmen zu können. Das Leseerlebnis | |
beschrieben Leser so: „Ich kann abtauchen, ich bin weg.“ Also schon auch | |
Entschleunigung. „Die Leute geben so viel Geld aus wie nie zuvor, wenn sie | |
uns kaufen. Sie opfern uns das Kostbarste, das sie haben - ihre Zeit. Da | |
reicht es nicht, wenn Sie als Leitmotiv haben: Alles ist schlecht.“ | |
Geht das jetzt gegen die taz? | |
„Nein, überhaupt nicht. Ich sage nur, es gibt Leseerlebnisse durchgängiger | |
Art, bei denen der Nichtprofi die Bettdecke über den Kopf ziehen möchte.“ | |
Er spricht von dem Bedürfnis nach einer Schneise angesichts des Gefühls, | |
von Nachrichten und ihrem Sound erschlagen zu werden. Ex-Bild-Chef Udo | |
Röbel nennt das den „täglichen Scheißhaufen“. „Das ist nicht Zeit-like, | |
aber plastisch“, sagt di Lorenzo. Er nimmt die Sonnenbrille aus dem Kragen, | |
zieht den Pullover aus. | |
„Wenn die tägliche Informationsdröhnung der Fluss ist“, sagt er, „dann | |
müssen wir das Ufer sein.“ Leider ist er wahnsinnig eng getaktet und hat | |
jetzt keine Zeit mehr. | |
18 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Erfolg | |
Giovanni di Lorenzo | |
Chefredakteur | |
Zeit | |
Fernsehen | |
taz.gazete | |
Entschleunigung | |
Energiewende | |
USA | |
Heinrich-Böll-Stiftung | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Die eine Frage: Du bist der Killer | |
Fernseher an, drei Stunden Lebenszeit weggucken – OK. Nur sollte man dazu | |
stehen und nicht ARD und ZDF für sein tristes Leben verantwortlich machen. | |
Kolumne Die eine Frage: Facebook statt Obama | |
Das Silicon Valley in Kalifornien ist einer der bedeutendsten | |
Technologiestandorte der Welt. Aber sind die Unternehmer auch politisch | |
interessiert? | |
Comeback der Armbanduhr: Als uns die Uhren verließen | |
Die gute alte Armbanduhr verschwand in der Schublade, während die Zeit | |
immer drängender wurde. Nun droht ein Comeback. | |
Kolumne Die eine Frage: Altmaier blockiert absichtlich | |
Musste Umweltminister Röttgen gehen, weil er die Engergiewende wollte? | |
Vielleicht hat ja die Buchautorin Claudia Kemfert eine Antwort. | |
Kolumne Press-Schlag: Lauter ABC-Schützen | |
Die Nationalmannschaft reist in die USA. Bundestrainer Joachim Löw muss | |
wegen des Champions-League-Finales auf sein Stammpersonal verzichten. | |
Kolumne Die eine Frage: Grüner Showdown | |
Ist Harald Welzer ein Fantast, Herr Fücks? Ein Besuch in der | |
Heinrich-Böll-Stiftung, im obersten Stockwerk des grünen Denkens. | |
Kolumne Die eine Frage: Grün oder Merkel? Ach, nö. | |
Mal eine ganz grundsätzliche Frage zur Bundestagswahl 2013: Soll Kanzlerin | |
Angela Merkel wirklich weg? |