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# taz.de -- Michail Chodorkowski über Russland: „Korruption ist Putins Rück…
> Um die Verflechtungen in Russland zu beseitigen, müsste ein Machtwechsel
> ermöglicht werden, sagt Michail Chodorkowski. Dazu aber sei der Präsident
> nicht bereit.
Bild: Russiche Soldaten.
taz: Herr Chodorkowski, Sie haben mal geschrieben, es habe Ihnen im
Gefängnis geholfen, dass Sie kein besonders emotionaler Mensch sind. Wieso?
Michail Chodorkowski: Emotionale Stabilität ist in der Haft die wichtigste
Voraussetzung, um Gesundheit und Leben zu bewahren. Meinem Freund und
Partner Platon Lebedew, der um einiges gefühlsbetonter ist als ich, setzt
das Gefängnis viel mehr zu.
Erwischen Sie sich gelegentlich bei dem Gedanken, dass Präsident Wladimir
Putin an Ihrer statt sitzen müsste?
Nein, ich glaube nicht, dass mein Opponent ins Gefängnis sollte. Das wäre
doch unsportlich.
Putins Stern sinkt in Russland, und Sie werden immer wieder als Präsident
ins Gespräch gebracht. Fürchten Sie nicht, dass sich jemand wegen Ihrer
Unnachgiebigkeit an Ihnen rächen könnte?
Ich will keine politische Karriere machen, das habe ich schon oft gesagt.
Dadurch verringert sich aber nicht das Risiko. Ich bin schon einmal mit
einem blauen Auge davongekommen, als sich im Schlaf jemand mit einem Messer
über mich hermachte. Er wollte mich ins Auge stechen, rutschte aber ab und
verletzte mich im Gesicht. Es ist unmöglich, sich zehn Jahre lang
ununterbrochen zu fürchten. Du wirst zum Fatalisten. Ich bin schon lange so
weit.
Dem Prozess und der Haft hätten Sie sich durch Emigration entziehen können.
Waren Sie nicht auf die Pervertierung des Rechtssystems vorbereitet?
Mit einigen Jahren Haft hatte ich gerechnet. Ich hätte aber nie für möglich
gehalten, dass in einem öffentlichen Prozesses bewusst absurde Anklagen
erhoben würden. Überhaupt nicht vorstellen konnte ich mir, dass aus meinem
Umkreis massenhaft Leute als Geiseln festgenommen würden. Das war einer der
Gründe, warum ich Russland nicht verlassen konnte. Ich wurde in dem Geist
erzogen, seine eigenen Leute nicht im Stich zu lassen.
Wären unter Putins Vorgänger Boris Jelzin solche Rechtsbeugungen möglich
gewesen?
Auch unter Jelzin fällten Gerichte rechtswidrige Urteile. Meist waren das
jedoch persönliche Entscheidungen einzelner Richter. Damals stand weder ein
System dahinter, noch war es Vorgabe der Politik.
Heißt das, Korruption hat sich erst unter Putin zum systembildenden Element
entwickelt?
Ein bedeutender Teil der Mannschaft Wladimir Putins will sich persönlich
bereichern und greift dazu auf Gewalt als pseudolegitimes Mittel zurück.
Natürlich hat das viele verschiedene Facetten. Viel gefährlicher scheint
mir jedoch, dass sich dieses Verhalten – mit wenigen Ausnahmen – auch in
der Bürokratie und den Ordnungsstrukturen breitgemacht hat. Jeder Beamte,
jeder Polizist meint, er dürfe sich auf Kosten der Bürger bereichern.
Korruption gibt es überall, aber nur wenige Regime erhoben dieses Prinzip
zum tragenden Element. Putin traf die Wahl bewusst, denke ich, weil er
darüber die Elite besser kontrollieren kann. Ich hielt das von Anfang an
für einen Fehler, was ich ihm im Februar 2003 auch gesagt habe.
In Russland protestieren regelmäßig Tausende, es sind aber weniger
geworden. Hat der Kreml die Krise überstanden?
Der sichtbare Protest hat nachgelassen, gleichzeitig wächst aber die
Unzufriedenheit mit dem System. Wladimir Putins politischer Zyklus neigt
sich dem Ende zu. In Russland erstreckt sich solch ein Zyklus gewöhnlich
über 15 Jahre. Verlängern lässt er sich nur durch einen Krieg oder einen
radikalen Eingriff ins System. Andere Beispiele kennt unsere Geschichte
nicht. Wird der jetzige Kurs fortgesetzt, führt das unweigerlich zu
Stagnation und Zerfall wie unter Generalsekretär Leonid Breschnew.
Historische Erfahrung sagt uns: Wie lange eine Stagnationsperiode auch
dauern mag, sie endet zwangsläufig in einer Zeit der Wirren.
Vertraut Putin seinem Volk?
Das ist das grundlegende Problem unseres Präsidenten, aber auch seiner
Umgebung: sie misstrauen dem Volk, das für sie nur aus dem inaktiven Teil
der Gesellschaft besteht. Das aktive Segment hat keinen Zugang zur
herrschenden Korporation. Putins Welt besteht aus einer unselbstständigen
Mehrheit, einer feindlichen oder von Feinden gekauften Minderheit und
seiner unmittelbaren Umgebung. Er kann sich nicht vorstellen, dass es so
etwas wie eine ehrliche, selbstständige und verantwortungsvolle Opposition
gibt. Putins Entourage liefert ihm zudem immer wieder begeistert „Beweise“
dafür, dass die Opponenten vom State Department gekauft wurden.
Europäische Politiker wollen nicht wahrhaben, dass Putin keine
Modernisierung nach westlichem Vorbild anstrebt.
Putin hat sein Modell dem der DDR abgeschaut, mit der er gut vertraut war.
Zu dem starren politischen System gehören Marionettenparteien und ein
Staat, der die Volkswirtschaft monopolisiert.
Putin bekämpft zurzeit die Korruption. Ist es ihm ernst?
Die Korruption hat eine zerstörerische Dimension erreicht. Das spürt auch
Putin zweifelsohne. Daher der Versuch, Auswüchse einzudämmen. Aber
Korruption ist das Rückgrat des Regimes. Um ihrer Herr zu werden, müsste
das politische Personal komplett ausgewechselt und politische Konkurrenz
zugelassen werden. Kurzum: Ein Machtwechsel müsste möglich sein. Ein Opfer,
zu dem Putin nicht bereit ist und seine Leute schon gar nicht.
Kann sich Putin nicht ändern?
Putin hält sich für den einzigen Motor der Veränderung. Nur er trifft
richtige Entscheidungen. Verheerender wirkt sich allerdings aus, dass so
getan wird, als gebe es keine Alternative zu ihm. Das ist eine bewusste
Lüge, viele glauben es – auch er selbst. Die beste Alternative sind
normale, demokratische Institute, deren Reputation der Kreml bewusst
demontiert. Ob sich Putin noch wandeln kann? Charakter, Alter, Umgebung –
ich habe da meine Zweifel. Doch Wunder gibt es immer wieder.
Wer kann Putin gefährlich werden?
Ich bin mir sicher: Putin wird zu guter Letzt von den eigenen Wegbegleitern
ausgeschaltet.
Wie sehen Sie Russlands Entwicklung in den nächsten Jahren?
Russland bewegt sich wieder auf einen Scheideweg zu. Stagnation,
Polizeiregime, Wahlfälschungen und eine neue Emigrationswelle gut
ausgebildeter junger Leute halte ich für wahrscheinlicher als jede andere
Perspektive. Aber es besteht auch noch eine Möglichkeit, dass die Proteste
wieder aufflackern und sich innerhalb der Elite Brüche auftun, die es
erlauben, zum Aufbau demokratischer Institutionen zurückzukehren.
Hat Russland dank des Internets endlich die Chance, die Atomisierung zu
überwinden und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln?
In der Tat bieten die Informationstechnologien erstmals die Möglichkeit,
die verfluchten Entfernungen in meinem Land, die Einsamkeit der denkenden
Menschen und die Isolation der Vertreter von politischen und
intellektuellen Minderheiten in der Provinz zu überwinden. Es sozusagen zu
vereinigen trotz schlechter Straßen und regionaler Unterschiede. Aber es
wäre ein Fehler, von den Technologien die Lösung aller Probleme zu
erwarten. Straßen und demokratische Institutionen müssen wir trotz allem
schon selbst bauen.
Mit welchen ökonomischen Unwägbarkeiten muss Russland rechnen?
Die Unsicherheit in den Eigentumsrechten, unklare Spielregeln, systemische
Korruption, das Fehlen unabhängiger Gerichte und die Ausweitung der
Staatsmonopole halten langfristige Investitionen von Russland fern. Es geht
dabei nicht ums Geld, das hat der Staat sogar. Auf die intellektuellen
Ressourcen wirkt sich das aus. Menschenschicksale sind davon betroffen.
Russland verliert weiter an Konkurrenzfähigkeit und gerät zunehmend in den
Sog eines kulturellen Niedergangs.
Ein Staat in Bedrängnis wird unberechenbar. Schließen Sie ein
Gewaltszenario aus?
Die Sache ist noch schlimmer. Unser Staat besteht aus untereinander
zerstrittenen Gruppen. Sie nutzen Provokationen gegen Dritte im Kampf
gegeneinander. Das ist für sie schon zur Norm geworden. Es gibt natürlich
auch Kräfte, die glauben, von einem Gewaltszenario profitieren zu können.
Putin versucht sie auszutarieren, aber seine Möglichkeiten schwinden.
Sind Sie in der Einsiedelei des Gefängnisses dem Glauben nähergekommen?
Das Leben eines Einsiedlers zwingt ihn, sich auf die inneren Welt zu
konzentrieren. Ich bin da keine Ausnahme. Ohnehin spürst du im Alter viel
stärker die Grenzen zwischen dem Nichterkannten und dem Unerkennbaren und
denkst häufiger über den Sinn des Lebens nach. Für mich ist das ein Weg zum
Glauben.
Was macht Ihnen zurzeit am meisten Sorgen?
Die Familie: meine Kinder, die ohne Vater aufwachsen, meine kranken Eltern
und meine seit zehn Jahren wartende Frau.
27 May 2013
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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