| # taz.de -- Russische Milliardäre: Die neue Russland AG | |
| > Seit dem Ende der Sowjetunion haben sich die Wege zum Superreichtum | |
| > verändert. Heute gilt: Wer es sich mit Putin verscherzt, kann nichts mehr | |
| > werden. | |
| Bild: Zeigen, was man hat: Juwellier bei einer Luxusmesse in Moskau. | |
| MOSKAU taz | Die jüngsten Enthüllungen über die Steuerparadiese dieser Welt | |
| haben in Russland kaum Wellen geschlagen: Dass die Eliten ihr Vermögen | |
| außer Landes schaffen, nimmt die Öffentlichkeit ohnehin an. Und den | |
| Absichtserklärungen von Präsident Wladimir Putin, er wolle der | |
| Kapitalflucht einen Riegel vorschieben, haben viele Russen nie getraut. | |
| Auf der im April publik gewordenen Liste von Offshore-Firmen und ihren | |
| Eigentümern finden sich denn auch eine Reihe guter Freunde und enger | |
| Vertrauter des Kremlchefs. Der Bekannteste: Vizepremier Igor Schuwalow. | |
| Seine Frau Olga, eine Schauspielerin, besitzt auf den Jungferninseln die | |
| Firma Severin Enterprise. Über dieses Unternehmen – und über Tochterfirmen | |
| wie Sevenkey Ltd. – wurden Millionendeals mit russischen Oligarchen | |
| abgewickelt. | |
| Internationale Medien wie die Financial Times, das Wall Street Journal und | |
| der Finanzdienstleister Barron’s hatten die Geschäfte des Politikers schon | |
| vor Jahren unter die Lupe genommen – und Bemerkenswertes gefunden: Die | |
| Schuwalows seien durch Insiderwissen zu ihren ersten hundert Millionen | |
| Dollar gekommen. | |
| ## Der Staatsanwalt konnte nichts Verdächtiges finden | |
| Die nächsten Millionen verdiente sich Schuwalow dann durch ein besonders | |
| lukratives Geldgeschäft: Er lieh dem IT-Unternehmer Alischer Usmanow, | |
| derzeit reichster Mann Russlands, 49,5 Millionen Dollar. Dafür erhielt er | |
| nicht nur die geliehene Summe – plus 5 Prozent Zinsen – zurück, sondern | |
| darüber hinaus auch noch einen Zuschlag von 119 Millionen Dollar. Da kamen | |
| Fragen auf, denen die Generalstaatsanwaltschaft auch nachging, aber | |
| angeblich nichts Ungesetzliches feststellen konnte. | |
| Ein guter Freund des Präsidenten ist auch Walerij Golubew. Beide dienten | |
| zusammen im KGB, bis sie in den 1990ern in die Stadtverwaltung St. | |
| Petersburgs wechselten. Inzwischen stieg Golubew zum Vizevorsitzenden des | |
| Energiekonzerns Gazprom auf. Zusammen mit seinem Kompagnon Boris Paikin, | |
| der auch bei Gazprom zu Hause ist, besitzt er die Briefkastenfirma Sander | |
| Universal auf den Virgin Islands. | |
| Ein Blick zurück: Nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der neunziger | |
| Jahre waren die milliardenschweren Oligarchen der ersten Stunde zum | |
| Inbegriff von Gier, Rücksichtslosigkeit und Machtbesessenheit geworden. | |
| Keine Moral hätten diese Krisengewinnler, hieß es damals, als sie sich die | |
| besten Unternehmen aus dem Volkseigentum für einen Pappenstiel unter den | |
| Nagel rissen. Dank ihrer Nähe zur Kommunistischen Partei und zum | |
| Jugendverband Komsomol stellten sie sich früh auf den Wechsel ein. Eben | |
| noch Exegeten des Marx’schen „Kapitals“, schwelgten die neuen Russen über | |
| Nacht im Luxus, während die Masse kämpfte, um über die Runden zu kommen. | |
| ## Putin verspricht zwar mehr Gerechtigkeit, aber … | |
| Im Ausland bekannt wurde einer der prominentesten Superreichen jener Zeit, | |
| Boris Beresowski, der erste Oligarch, der 1996 ins politische Geschehen | |
| eingriff. Er sorgte mit seinem Geld – und dem seiner Geschäftskumpel – | |
| dafür, dass der angeschlagene damalige Kremlchef Boris Jelzin seinen | |
| kommunistischen Herausforderer bei den Wahlen schlagen konnte. Beresowski | |
| übernahm den wichtigsten staatlichen TV-Kanal. Nach dem Sieg Jelzins war | |
| der Damm gebrochen: Politik und Wirtschaft waren aufs Engste verwoben. Das | |
| ist Russlands Fluch bis heute. | |
| Von den damals sieben Oligarchen der „Russland AG“ haben nur drei den | |
| Wechsel zu Kremlchef Wladimir Putin überstanden. Beresowski musste 2000 ins | |
| Exil gehen. Im März dieses Jahres schied er in London auf mysteriöse Weise | |
| aus dem Leben. Ein anderes Schicksal ereilte Michail Chodorkowski, Chef der | |
| Menatep Bank und späterer Mehrheitseigner des Ölkonzerns Yukos. Er wurde | |
| 2003 verhaftet und quasi enteignet. Seither sitzt er im Straflager. Seine | |
| Vision von einem demokratischeren Russland passte nicht in das | |
| traditionalistische Weltbild Putins. | |
| Als Putin an die Macht kam, versprach er den Bürgern, den Einfluss der | |
| Unternehmer auf die Politik zu unterbinden, „die Oligarchen als Klasse“ gar | |
| zu eliminieren. Manche Russen hofften damals, er würde damit auch die | |
| „ungerechten Privatisierungen“ korrigieren. Doch der Kremlchef legte sich | |
| nicht fest. Das war geschickt, denn so konnte er auf die Masse der Wähler | |
| weiter bauen und die Oligarchen gleichzeitig disziplinieren. Bis heute sind | |
| die umstrittenen Privatisierungen nach dem Ende der Planwirtschaft ein | |
| Thema, das juristisch bewusst in der Schwebe gehalten wird. | |
| Putins Strategie ist klar. Wer sich gegen ihn auflehnt oder oppositionelle | |
| Kräfte unterstützt, muss mit einem Verfahren rechnen – wie der Öltycoon | |
| Chodorkowski. Russlands Industrie- und Finanzmoguln, zunächst verschreckt, | |
| arrangierten sich schnell mit dem Kremlchef, nach dem Motto: Wer sich aus | |
| der Politik heraushält oder Putin stützt, darf ungehindert Geschäfte | |
| machen. Es sei denn, diese schaden staatlichen Interessen. Wer nicht | |
| spurte, wurde mithilfe von Steuerpolizei und Staatsanwaltschaft gefügig | |
| gemacht. | |
| Inzwischen lässt sich eine eigentümliche Symbiose zwischen den Interessen | |
| der russischen Oligarchie und denen Putins beobachten: Als die Finanzkrise | |
| begann, warnten die hoch verschuldeten Unternehmer die Politiker vor | |
| Straßenunruhen, zudem hätten ausländische Gläubiger die Absicht, | |
| verschuldete russische Betriebe zu übernehmen. | |
| ## Ihr Kalkül: Eine Hand wäscht die andere | |
| Putin ging ihnen auf den Leim und half mit Milliardenbeträgen aus. Dafür | |
| bittet die Regierung die Reichen allerdings zur Kasse: Der Aufforderung, | |
| große Projekte wie die Olympischen Spiele in Sotschi zu unterstützen, | |
| können sie sich nicht entziehen. Auch Wahlkämpfe der Kremlpartei wollen | |
| finanziert sein. Die Unternehmer nehmen es klaglos hin. | |
| Im Gegenzug gestattet ihnen der Kreml, Firmen in Steuerparadiesen zu | |
| registrieren, obwohl Russlands Fiskus damit Steuergelder entgehen. | |
| Die aktuelle Krise Zyperns hat die Aufmerksamkeit der Welt auf die reichen | |
| Russen gelenkt, die sich mit ihren Firmen auf der Insel ein schönes Leben | |
| machen. Die zyprischen Firmenregister lesen sich wie ein Gotha der | |
| Oligarchie: Russlands reichster Mann, der erwähnte IT-Unternehmer Alischer | |
| Usmanow, steuert sein Imperium von hier aus ebenso wie Roman Abramowitsch, | |
| der in London lebt, seine Holding Evraz aber über eine zyprische Firma | |
| lenkt. | |
| Nicht zufällig stammten die meisten Oligarchen ursprünglich aus dem | |
| Energie- und Rohstoffbereich. Mit 27 Prozent der Gasressourcen – 607 | |
| Milliarden Kubikmeter Gas – verfügt Russland über die größten Vorkommen | |
| weltweit, bei den nachgewiesenen, aber noch nicht förderbaren Ressourcen | |
| liegt es auf Platz drei. In russischen Böden schlummern die größten Nickel- | |
| und Aluminiumreserven. | |
| Das Geschäftsmodell dieser Leute ist klar: Sie machen ihr Geld daheim und | |
| schaffen es außer Landes, weil es in Russland an Rechtssicherheit mangelt | |
| und das Geschäftsklima schlecht ist. Um dem entgegenzuwirken, müsste die | |
| herrschende Klasse das Land politisch und wirtschaftlich modernisieren, | |
| womit sie allerdings ihre eigene Macht gefährden würde. Stattdessen walten | |
| die Machthaber und Superreichen in Russland wie in einer Kolonie, deren | |
| Rohstoffe sie rücksichtslos ausbeuten. | |
| ## Neue Kaste der Staatsoligarchen | |
| Ihre Familien haben sich längst in den Westen abgesetzt, die Kinder gehen | |
| dort zur Schule und besuchen Eliteuniversitäten. Die junge Generation kehrt | |
| kaum noch in die Heimat zurück. Ihre Anwesen vor den Toren der Hauptstadt | |
| an der legendären Rublowskoje Chaussee wirken verwaist, die einst | |
| überlaufene örtliche Eliteschule sucht händeringend nach Nachwuchs. | |
| Eine jüngere Erscheinung sind die „Staatsoligarchen“, die früher Teil des | |
| Sicherheitsapparats waren. Heute leiten sie Konzerne im Energie- und | |
| Rüstungssektor, im Kommunikations- und Transportwesen. In die Aufsichtsräte | |
| wurden in der Regel Exgeheimdienstoffiziere und frühere Putin-Kollegen | |
| befördert. Bekanntester Kopf ist Putin-Intimus Igor Setschin, zurzeit | |
| stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender des staatlichen | |
| Ölgiganten Rosneft, der den Ölkonzern Yukos schluckte. Zum Kreis zählen | |
| auch Beamte, welche die Posten nur fürs private Geschäft nutzen. Suchten | |
| die Oligarchen der ersten Stunde noch die Nähe der Politik, übernehmen die | |
| Nachrücker in Politik und Bürokratie das Geschäft gleich selbst. Der | |
| Berufswunsch „Beamter“ steht heute bei Jugendlichen ganz oben. Staatsdiener | |
| sind mittlerweile auch die beliebtesten Bräutigame – noch vor bloßen | |
| Unternehmern. | |
| 18 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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