# taz.de -- Berliner Sommerausflug 1: Pack die Badehose ein | |
> Bei einer Paddeltour rund um die Wannsee-Insel kommt man vorbei an | |
> weltberühmten Bauwerken – und kann den Reichen in die schicken Gärten | |
> gucken. | |
Bild: Geht auch: Surfen auf'm Wannsee. | |
Wie ein Golfplatz. Glatt. Gestriegelt. Grün. Es ist spannend mal gucken zu | |
können, wie die Reichen und gar nicht immer so Schönen so wohnen. Mögen vor | |
dem Haus große Hecken und Mauern den Blick verwehren – hinten ist der Blick | |
frei auf tolle Architektur, alte und neue Nobelbauten. Das ist einer der | |
viele Gründe, die eine Paddeltour auf den Seen im Südwesten so lohnend | |
machen. | |
Die Sonne brennt ins Gesicht, an der rechten Hand bildet sich so langsam | |
eine Blase vom Paddeldrehen. Zuhause auf dem Tisch liegen die | |
Fahrradhandschuhe, die ich nach ähnlichen Erfahrungen beim vergangenen Mal | |
doch einstecken wollte. Was macht’s – es ist in diesem Moment das einzige | |
Manko. Ruhig gleitet das Kajak über die Havel, rechter Hand die Glienicker | |
Parklandschaft, zur Linken die Heilandskirche in Sacrow. Vor einer halben | |
Stunde habe ich mich am Griebnitzsee vom Ufer abgestoßen, bin dort vorbei, | |
wo um einen Uferweg unterhalb der Villen gestritten wird, in denen einst | |
Truman und Stalin nächtigten und deren jetzige Besitzer vor Gericht den | |
Durchgangsverkehr am Seeufer stoppten. | |
Es ist der ideale Einstiegsort für eine Paddeltour im Südwesten. Nirgendwo | |
sonst ist ein Kajakverleih so gut mit der S-Bahn zu erreichen wie hier. | |
Direkt im Bahnhof Griebnitzsee sitzt „Potsdam per pedales“, der neben | |
Rädern – der Name verpflichtet – auch Einer- und Zweierkajaks sowie drei- | |
bis viersitzige Familienkanus verleiht. Kein langwieriges | |
Mit-dem-Auto-oder-Vorort-Bus-Rankutschieren. Wenig mehr als eine halbe | |
Stunde dauert es mit S1 und S7 ab Potsdamer Platz aus der zubetonierten | |
City in die grüne Idylle. Boot ausleihen, die Treppe zum Ufer runtertragen | |
und los, alles eine Sache weniger Minuten. | |
Den Griebnitzsee entlang paddeln, unter jenem engen Steg hindurch, der | |
Babelsberg und Altglienicke verbindet, vorbei am Ufer des Biergartens | |
„Bürgerhof“, wo gelegentlich auch mal ein Kajak anlegt und dann unter jener | |
Brücke durch, die so geschichtsbeladen wie kaum eine andere ist. Polternd | |
rollen die Lkws drüber – von unten gibt es nettere Orte als die Glienicker | |
Brücke. | |
Lauschiger sind die Klänge, die gute zehn Minuten weiter zu hören sind. Es | |
ist Punkt elf Uhr, und wie immer im Sommer zur vollen Stunde bis zehn Uhr | |
am Abend ertönt das Glockenspiel der Kirche St. Peter und Paul auf | |
Nikolskoe, die, vom Wasser viel besser als vom Ufer zu sehen, mit ihren | |
Zwiebeltürmen hoch oben auf dem Schäferberg thront: stündlich anders und | |
alle paar Wochen, dem Kirchenkalender folgend, mit wechselndem Programm. Es | |
ist unwirklich allein auf dem Wasser, kein Mensch in Sicht, diese Töne zu | |
hören – unwirklich, aber schön. Wer die Kirche ohne Boot anschauen und ein | |
besonderes Highlight erleben mag: Um 17 Uhr gibt es kleine Konzerte, ohne | |
Eintritt, gegen Spende. | |
Eine Bucht kommt zur Rechten in Sicht, an ihrem Ufer das auf alpenländisch | |
gestylte Wirtshaus Moorlake. Immer näher rückt ein weißer Türmchenbau: das | |
Schloss auf der Pfaueninsel. Auch das wäre einen Ausflug wert. Es sind so | |
ganz andere Perspektiven, die sich vom Wasser auftun. Ruhig plätschern die | |
Wellen, die dicken Pötte und Lastkähne machen einen Bogen um die Engstelle | |
zwischen Uferweg und Pfaueninsel. Allein die Fähre quert den Weg, schlägt | |
aber mit ihrem geringen Tiefgang wenig Wellen. | |
Der Wannsee rückt näher, und in der Ferne taucht außergewöhnliche | |
Architektur auf, die wie der Bug eines Kreuzfahrtschiffes aus einem | |
Uferhang ragt. Es ist das auffälligste, erst vor einigen Jahren entstandene | |
Gebäude auf der Insel Schwanenwerder. Kurz bevor es über den Großen Wannsee | |
geht, ist rechts am Ufer noch Geschichte vom Wasser zu betrachten. Erst | |
kommt das Haus der Wannseekonferenz in den Blick, wo hochrangige Nazis die | |
systematische Judenvernichtung planten. Dann die heute als Museum genutzte | |
Villa des Maler Max Liebermann, der angesichts des SA-Fackelzugs am 30. | |
Januar 1933 im gesetzten Alter von 85 Jahren berlinerisch Klartext redete: | |
„Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.“ | |
Die Querung des Wannsees ist die heikelste Passage der Tour, die zügig | |
gepaddelt in zweieinhalb Stunden um den Ort Wannsee führt, der letztlich | |
eine Insel und von Großem und Kleinem Wannsee, Pohle-, Stölpchen und | |
Griebnitzsee umflossen ist. Selten gibt es auf dem Großen Wannsee | |
Windstille, nicht umsonst gilt das Gebiet als das am dichtesten besegelte | |
Revier Europas. Das ist auch der Grund, warum man hier am Wochenende und | |
vor allem am Sonntag nicht mit dem Kajak unterwegs sein sollte – es sei | |
denn man steht auf erhöhten Pulsschlag und Nervenkitzel. Mögen die | |
Kreuzungsregeln auch vorgeben, dass das kleinere Fahrzeug Vorfahrt hat – | |
das hilft wenig, wenn ein Segler unbeirrt auf einen zuhält und der Bug | |
immer größer wird. | |
Selbst unter der Woche erscheint das Wasser im Großen Wannsee kabbeliger, | |
nirgendwo sonst auf der Tour ist der Weg zum Ufer weiter. Es hat stets | |
etwas Entspannendes, unter der Brücke der B1 hindurch in den Kleinen | |
Wannsee einzutauchen, wo schließlich jene Prachtvillen beginnen, die sich | |
zum Wasser nicht verdeckt von Hecken präsentieren. Wie so oft sind auch an | |
diesem Vormittag Liegestühle in den weitläufigen Gärten unbelegt, genauso | |
wie die Korbsessel auf den Dächern von Bootshäuser, in denen ein | |
Kleinfamilie Platz hätte. Wo sind sie, jene Leute, die hier wohnen dürfen? | |
Vielleicht irgendwo das Geld verdienen, das man dafür braucht. | |
Pohlesee, Stölpchensee, schließlich der kleine Kanal, der zum Griebnitzsee | |
führt. Beim Verleih warnen sie einen davor, dass Wellengang und Sog in der | |
Enge des Durchlasses enorm sein können, wenn sich am Wochenende eines der | |
Ausflugsschiffe an einem vorbei schiebt. | |
Nach zweieinhalb Stunden lege ich wieder unterhalb der S-Bahnstation an. | |
Boot ans Ufer hieven, Paddel und Weste hoch bringen zum Verleih im Bahnhof. | |
Und die Mitarbeiter sind froh, wenn sie die Boote nicht allein | |
hochschleppen müssen. | |
26 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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