# taz.de -- Berliner Sommerausflug 6: Lassen Sie mal das Dorf in der Stadt | |
> Sümpfe, Pferde, wilde Schlangen: Ganz im Norden von Reinickendorf gibt es | |
> sie ebenso wie weite Felder. Eine Annäherung an Lübars in 14 Etappen. | |
Bild: Wiesen und Weite: Das Dorf in der Stadt. | |
1. Also, komm’ Se mal mit. Ein Stückchen Straße muss leider noch sein, die | |
S-Bahn hält eben nicht auf der Wiese. Hier müssen wir noch schnell über den | |
Oraniendamm … wissen Sie was? Ab dahinten heißt der Oranienburger Straße. | |
Genau wie die in der Stadt. Wobei, in der Stadt sind wir hier ja immer | |
noch. Und wir bleiben auch in der Stadt. | |
2. Merken Sie sich mal diesen Straßennamen: Zabel-Krüger-Damm. Oder sagt | |
Ihnen der was? Nein? Also merken. Hier nach links. Geduld. Die paar | |
Einfamilienhäuser haben wir auch gleich geschafft. So. Was hab ich Ihnen | |
gesagt? Ist das schön hier? | |
3. Das da ist der Hermsdorfer See. Also eigentlich das Tegeler Fließ, | |
dieses Flüsschen, das so gemütlich durch den Berliner Norden mäandert. Nur | |
hier verbreitert es sich mal auf ein paar hundert Meter Länge. Wissen Sie | |
was? Wir könnten da im Prinzip durchwaten, tiefer als 1,50 Meter ist der | |
See nur an wenigen Stellen. Machen wir jetzt natürlich nicht. | |
4. Ja richtig, das da rechts ist ein Strandbad. Eines der schönsten von | |
Berlin, sage ich immer. Und mit Geschichte. Der Ziegeleisee, in dem die | |
Leute da baden, der gehört nicht zum Fließ, das ist eine vollgelaufene | |
Tongrube. Haben Sie sich vielleicht schon gedacht, vom Namen her. Und hier | |
stand bis in die 20er Jahre eine Ziegelei, die hat das Material fürs Rote | |
Rathaus gebrannt. Wir könnten jetzt reingehen, einen Strandkorb mieten und | |
die Füße in den Sand stecken. Aber wir haben schließlich noch was vor. | |
5. Sie gehen ja so beschwingt. Ich weiß, das ist der Stress, der von einem | |
abfällt hier oben. Kaum zu glauben, dass das hier Berlin ist. Sieht mehr | |
nach Amazonas aus, oder? Gut, dass sie diese tollen Fußgängerstege in die | |
Sümpfe gestellt haben. | |
6. Berlin hört übrigens da drüben auf, hinterm Fließ ist Brandenburg. Ab | |
hier ist der Bach für ein paar Kilometer die Grenze. Wenn Sie da zu | |
Mauerzeiten drübergesprungen sind, waren Sie in der DDR. Doch, es gab | |
richtige Grenzanlagen, die standen aber ein Stück weiter nördlich, am Rand | |
des Fließtals. Dazwischen war nur Natur. Sieht man ja. | |
7. Ist das nicht toll, wie der Blick auf einmal ins Weite geht? Da, ganz | |
hinten zwischen den Bäumen, das Windrad, das ist das einzige von Berlin. | |
Steht in Buch, also ziemlich weit weg, ist aber auch verdammt hoch, fast | |
180 Meter insgesamt. Kann angeblich 1.000 Vierpersonenhaushalte versorgen. | |
Rein rechnerisch ganz Lübars. Ach so, Lübars, das sind die Häuser da hinter | |
den Pferdekoppeln. Da kommen wir noch hin. | |
8. Sie haben noch nie so viele Pferde in Berlin gesehen? Ja, das ist ein | |
Pferdedorf hier. Die meisten Bauern sind irgendwann umgestiegen auf Pferde, | |
in Westberlin war das natürlich ein Renner. Alles da, wie Sie sehen, | |
Springplätze, Reithalle, Führanlagen. Und jede Menge Ausreitgelände. | |
Vorsicht, treten Sie nicht in … na, schon passiert. | |
9. Wir umrunden jetzt erst mal das … wie? Doch, es ist wirklich ein Dorf. | |
Das einzige Brandenburger Dorf, das im Westen lag, sag ich immer. Jetzt | |
gedulden Sie sich halt noch ein bisschen. | |
10. So, hier drehen wir ab. Wir könnten noch weiter gehen, viel weiter. Da, | |
hinter dem Weiher und den Eichen fängt das Naturschutzgebiet an, da gibt es | |
Otter und Eisvögel und was weiß ich noch alles. Ach ja, Ringelnattern. | |
Dafür bräuchten wir ein bisschen mehr Zeit. Aber seien Sie mal still. Ganz | |
still. Hören Sie das? Nein? Ja eben. So was von ruhig hier. Okay, das sind | |
die Feldlerchen. Die singen im Flug, haben Sie das gewusst? | |
11. Die kleine Landstraße hier durch die Felder, das ist die Verbindung | |
nach Blankenfelde. Also Pankow. Hier fuhr lange gar nichts. Die Mauer stand | |
dahinten sogar noch bis Juni 1990. Dann hat ein Lübarser Bauer sie mit | |
seinem Trecker durchbrochen. Der Reinickendorfer CDU war das später einen | |
Gedenkstein wert. Ich finde ja, der Bauer hätte das mal besser gelassen. | |
Dann gäb’s hier überhaupt keine Autos. Finden Sie das fundamentalistisch? | |
12. Einmal rechts um die Kurve. Schönes altes Kopfsteinpflaster, was? Hier | |
links, das ist der Lübarser Kräuterhof, da werden Menschen mit Behinderung | |
ausgebildet. Im Hofladen verkaufen die Gemüse, Obst, alles. Sogar | |
Artischocken! Könnten wir jetzt reingehen. Aber wir haben noch was vor. | |
13. Ich sehe, Sie sind beeindruckt. Sag ich doch: ein richtiges Dorf. Ein | |
Westberliner Dorf. Mit Anger und Kirchlein und Spritzenhaus und diesen | |
ganzen stuckverzierten Bauernhäusern. Und hier, vor der Kirche, die alten | |
Grabsteine. Schauen Sie mal: August und Marie Zabel-Krüger, die letzten | |
Lehngutsbesitzer von Lübars. Deswegen der Straßenname. Und was für ein | |
Spruch: „Die da rechtlich gewandelt haben, kommen zum Frieden“, Jesaja | |
57,2. Wir haben auch genug gewandelt für heute. | |
14. Da ist die Endhaltestelle vom Bus. Der 222er macht hier Pause und fährt | |
zurück nach Waidmannslust. Und das hübsche Gebäude hier? Ein alter | |
Festsaal, Ende 19. Jahrhundert, mit Deckengemälde. Heute wird der von einem | |
Verein betrieben, die veranstalten Konzerte, Ausstellungen, alles Mögliche. | |
Und nebenan, na, steht ja drauf: „Gasthof und Ausspannung Alter Dorfkrug“. | |
Toller Name, toller Laden. Auch ein Ausbildungsbetrieb für behinderte | |
Menschen. Hat vor ein paar Jahren den „Bundeswettbewerb Historische | |
Gasthäuser“ gewonnen. Hinten haben die einen Biergarten, da könnten wir | |
jetzt eins zischen. Und wissen Sie was? Das machen wir jetzt auch. | |
## ■ Anfahrt bis S-Bhf. Waidmannslust mit der S 1 oder der S 85. Die | |
Buslinie 222 verbindet Lübars mit Waidmannslust und Tegel | |
## ■ Strandbad Lübars, geöffnet bis 31. August 8–20 Uhr, bis 30. September | |
8–19 Uhr | |
## ■ Hofladen im Kräuterhof Lübars, geöffnet Mo.–Do. 10–15 Uhr und Fr. | |
10–12.30 Uhr | |
## ■ LabSaal, Natur&Kultur e. V., im 1896 erbauten Festsaal, | |
## ■ Alter Dorfkrug Lübars, geöffnet Do.–So. 12–22 Uhr, | |
31 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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Brandenburg | |
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