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# taz.de -- Berliner Sommerausflug 2: Der Rummelsberg ruft
> Immer wieder verzaubert ein kleiner Berg beim Ökodorf Brodowin unsere
> Autorin. Hier fällt sie beim Picknick für eine kleine Weile aus Raum und
> Zeit.
Bild: Schön und meditativ: Landschaft in der Uckermark.
Menschen, die im Mittelgebirge aufgewachsen sind, fällt es mitunter schwer,
lauschige Orte in Brandenburg zu finden, an denen sie sich wirklich
wohlfühlen. In der Regel finden sie Brandenburgs Landschaft zu platt. Das
hat den Effekt, dass man nicht weit genug gucken kann. Und der Müllberg in
Lübars? Irgendwie noch zu urban. Und die Märkische Schweiz? Zu sandig.
Es muss 1998 gewesen sein, als ich den Kleinen Rummelsberg beim Ökodorf
Brodowin in der Uckermark entdeckt habe. Wir machten einen WG-Ausflug per
Rad und hatten uns Großes vorgenommen, anstrengende Kilometer, dem
Kopfsteinpflaster zum Trotz. Der Kleine Rummelsberg ganz am Anfang unserer
geplanten Strecke schien ein verlockender Ort, um erst einmal zu
picknicken.
Wir stiegen also die steilen Stufen hoch, vergaßen augenblicklich unsere
Tour und blieben für den Rest des Tages – und das, obwohl wir den Besitzer
eines Fahrradladens dabeihatten, der so fährt, als bräuchte er keine
Gangschaltung, und der grundsätzlich seine kompletten Ferien in schwierigen
Geländen auf dem Rad verbringt. Auf dem Kleinen Rummelsberg, so stelle ich
immer wieder bei meinen regelmäßigen Besuchen fest, verliert man jedes
Zeitgefühl. Man stellt sich eine Art Auenland der Hobbits vor, wie es hätte
gestaltet werden können, wenn ein anderer als Peter Jackson den „Herrn der
Ringe“ verfilmt hätte. Man setzt sich ins Gras, rupft am Klee, schaut
gedankenverloren auf die Seen und Felder ringsum, hört den Hummeln bei
ihrer Arbeit zu. Und irgendwann setzt das Denken aus.
Der Kleine Rummelsberg liegt 81,1 Meter über dem Meeresspiegel, eine ganze
Menge für Brandenburg, und weil er im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin
liegt, wachsen auf ihm Blumen und Kräuter, die man sonst selten auf Wiesen
hierzulande findet: Thymian, Wiesensalbei und Gemeiner Dost zum Beispiel,
eine Art Oregano, aber auch Schlüsselblume und Sibirische Glockenblume, was
vielleicht daran liegt, dass der Samen dieser blauen Blume zwischen
Sibirien und Brodowin von keinen weiteren Bergen aufgehalten wurde.
Jedenfalls duftet es auf dem Berg stets nach dem Kräutergarten eines
provencalischen Spitzenkochs.
Eine Tafel am Fuß des Berges unterrichtet darüber, dass es sich beim
Kleinen Rummelsberg um einen Drumlin handeln könnte, also einen Berg, der
durch einen sich bewegenden Gletscher geformt wurde, aber diese These ist
wohl umstritten – behauptet zumindest Wikipedia. Trotzdem heißt er bei all
meinen Verwandten und Bekannten aus dem In- wie Ausland, die ich im Laufe
der Jahre auf den Berg schleppte, immer nur Drumlin, denn Drumlin ist ein
überaus wohlklingendes Wort, das an das Wort „Trumm“ denken lässt, an ein
Synonym für viele schöne Wörter wie „Kaventsmann“, „Apparillo“ oder …
also.
Der Kleine Rummelsburg ist meine große Liebe, durch diesen Berg habe ich
allmählich aber auch zu schätzen gelernt, was um ihn herum noch so ist. Ich
habe Menschen im Ökodorf Brodowin kennengelernt, die sich dort kleine
Häuser ausbauen – in einem Dorf also, das einst eine Hochburg der
Umweltbewegung der DDR war und neben dem berühmten Ökohof, der inzwischen
von einem Ludolf von Maltzahn geführt wird, noch immer viel
Alternativkultur zu bieten hat. Ich kaufe meine Milch beim
anthroposophischen Bauern vom Hof Schwalbennest im benachbarten Pehlitz. Er
hat einen selbst gebauten Traktor, Gänse, Schafe, Katzen und so viele
Kinder, dass ich sie nicht zählen kann. Seit zwei Jahren habe ich auf einem
sogenannten Naturcampingplatz sogar einen halben Wohnwagen in der Nähe
gemietet, sodass mir auch in meiner wohlverdienten Freizeit Mitarbeiter
dieser hoch geschätzten Zeitung begegnen.
Als auf dem Kleinen Rummelsberg doch einmal kein Picknick zur Hand war,
habe ich die rustikale Küche und den Garten von Siegi’s Landhauspension in
der Dorfstraße 47 in Brodowin entdeckt. Bald plane ich, einmal zu den
berühmten Brodowiner Gesprächen zu gehen, die der Schriftsteller Rainer
Gilsenbach 1982 ins Leben rief und die seine Witwe, die Sängerin und
Publizistin Hannelore Kurth-Gilsenbach, seit dessen Tod weiterführt. Reimar
Gilsenbach war nicht nur ein wichtiger Umweltaktivist, sondern setzte sich
auch für die Rechte der Sinti und Roma in der DDR ein. Bis heute lesen bei
den Brodowiner Gesprächen spannende Autoren wie Christoph Hein, Thomas
Rosenlöcher und Julia Schoch.
## Begegnungen von früher
All das ist schön, wäre aber nichts, wenn es nicht den Kleinen Rummelsberg
gäbe, diesen magischen Ort, an dem sich irgendwie immer das
Raum-Zeit-Kontinuum verschiebt. Immer wieder verbringe ich ganze
Nachmittage auf diesem Trumm, und einmal habe ich, als ich dort mal wieder
im Gras saß und meiner Tochter beim Spielen und Klettern zusah, sogar zwei
Freunde aus einer anderen Zeit wiedergetroffen. Ich lernte die beiden Ende
der Neunziger kennen, weil sie sich wie ich viel in den provisorischen
Clubs der Stadt herumtrieben. Prompt erzählten sie mir nun auf dem Kleinen
Rummelsberg, dass sie immer noch provisorische Clubs betreiben – nur eben
jetzt im Wedding statt in Mitte und Prenzlauer Berg.
Doch dann kamen wir schnell vom Thema ab, und einer der beiden belehrte
mich darüber, was das für Vögel seien im Parsteiner See und dem Wesensee,
auf die man vom Kleinen Rummelsberg so erhaben blickt. Die Vögel, die ich
für Spatzen, Bussarde und Gänse gehalten hatte, wurden mir als
Trauerseeschwalben und Fischadler, Graureiher und Kormorane vorgestellt.
All das sind Vögel, die es im Mittelgebirge nicht gibt.
Seit ich den Kleinen Rummelsberg habe, sehne ich mich seltener nach diesem
Ort mit viel weiter Sicht, an dem ich aufgewachsen bin.
17 Jul 2013
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Brandenburg
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