# taz.de -- Kolumne Fast Italien: Dreckige Kunst | |
> Objektbespeiung ist eine Sache für sich. Als vorbereitende Maßnahme | |
> sollte man sich ausgiebig betrinken – in diesen Zeiten nicht das | |
> Schlechteste. | |
Bild: Abbas' Kunst sieht etwas anders aus | |
Auf meinem Küchentisch stehen acht leere und eine halb volle Flasche Wein. | |
Der Aschenbecher quillt über, die Kerze ist abgebrannt. Abbas sitzt mir | |
gegenüber und trinkt. Abbas heißt „Der Stirnrunzler“. Er ist mein Asylant. | |
Seit sein Antrag abgelehnt worden ist, lebt er inkognito bei mir und | |
reihert. | |
Abbas ist Objektbespeier. Das Ergebnis hält er fotografisch fest. | |
Großformatige digital bearbeitete Colorprints. Andy Warhol brutal. Aus | |
hygienischen Gründen werden die Objekte danach sofort entsorgt. | |
Es ist ein professionelles Erbrechen. Schon beim Wachsen des Rausches | |
überlegt Abbas, was er zu bespeien gedenkt und vor allem wie: frontal oder | |
von oben nach unten, in Intervallen oder auf einmal. Ausschlaggebend ist | |
das Material, aus dem das Objekt besteht. Holz beispielsweise saugt sich | |
voll. Das sieht fade aus. Auf Aluminium zerläuft alles viel zu schnell. Am | |
besten geeignet sind Stein und Leinwand. Stein von oben nach unten, | |
Leinwand frontal. Und sofort knipsen, sonst treten irreversible | |
Veränderungen auf. | |
## Zehn Gläser Mezcal | |
Auch das Womit ist entscheidend. Nach allerlei kulinarischen Experimenten | |
hat Abbas sich für die italienische Küche entschieden. Die Farbpalette der | |
mediterranen Diät ist schlicht am reichsten. Bei den Getränken sind Menge | |
und Art ausschlaggebend. Drei Liter Rotwein machen aus einer Pizza Tonno | |
und einem Insalata Mista einen eintönigen Brei. Es dauert seine Zeit, drei | |
Liter Roten zu süffeln. Die Magensäfte haben bereits begonnen, die Nahrung | |
zu zersetzen, ehe Abbas sie nach draußen rotzt. | |
Zehn Gläser Mezcal hingegen fördern einen Kessel Buntes zutage. Mezcal tut | |
schnell seine Wirkung. Das Essen bahnt sich noch fast frisch einen Weg nach | |
oben. Auch die Kaumethode ist von Bedeutung. Kaum zerkleinerte Calamari | |
ripieni, hinuntergespült mit einer Flasche Rum, erinnern hervorgewürgt an | |
den spätimpressionistischen Pointillismus. Wird jeder Bissen zwanzigmal | |
gekaut, wirkt das Ergebnis wie Action Painting. | |
Kotzen ist eine Kunst für sich, und Abbas ist beseelt von dieser | |
Ausdrucksform, ja sie erscheint ihm als die von einem künstlerischen | |
Standpunkt einzig mögliche, um seine Lage in diesem Land widerzuspiegeln, | |
in das er sich gerettet hat, das ihn aber nicht retten will. | |
## Don't move! | |
Seit zwei Tagen trinkt Abbas ununterbrochen. Irgendeine Idee keimt in ihm | |
und will zum Blühen gebracht werden. Abbas steht auf, geht um den Tisch | |
herum, blickt auf mich nieder. Ich lächle. Abbas runzelt die Stirn und | |
kotzt mich voll. Abbas muss simple Spaghetti mit Tomatensauce gefuttert | |
haben. Alles ist rot und stinkt mich an. Abbas ist zufrieden mit seinem | |
Werk. Mit verschränkten Armen steht er schwankend vor mir. Don’t move, sagt | |
er und zückt die Kamera. Mir ist speiübel. Aber ich halte durch. Bis er | |
mich von allen Seiten auf Zelluloid gebannt hat. | |
Das war es, worüber er sich den Kopf zermartert hat: Personenbespeiung. Ich | |
bin der Auserwählte, sein erstes Modell. Er wollte den Überraschungseffekt. | |
Ist ihm gelungen. Ich bin überrascht. | |
Abbas runzelt die Stirn. Mich kann er nicht entsorgen. Er gießt ein Glas | |
hinunter und verschwindet in die Dunkelkammer. Der Abend ist gelaufen. | |
Kotzen könnte man. Kotzen. Und ein Syrer macht daraus Kunst. | |
9 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Max König | |
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