| # taz.de -- Kolumne Fast Italien: Mein liebster Schrotti | |
| > Das geliebte Klappfahrrad wird von vielen fremden Beinen durch die Stadt | |
| > gefahren. Das fühlt sich so falsch an, dass man gegen den Kummer trinken | |
| > muss. | |
| Bild: Im Vergleich zum Fahrrad links hat sogar Schrotti schon bessere Tage gese… | |
| Nina schnappt sich Schrotti zum Zigarettenholen. Wir sonnenbaden, liegen im | |
| Nymphenburger Park. Der nächste Automat ist Minimum einen Kilometer | |
| entfernt. Logisch, dass Nina nicht zu Fuß gehen möchte. Sie gibt die | |
| Zahlenkombination ein – mein Geburtsdatum, das jeder kennt im Viertel –, | |
| und weg sind sie. | |
| Die Sonne wandert zügig von Ost nach West, und Schrotti kehrt nicht wieder. | |
| Ich rufe Nina an. Mehrmals. Immer ist ihre Scheißmailbox dran. Zu Fuß ist | |
| es ein weiter Weg. Der Geist wird schwach, hegt negative Gedanken. Was hat | |
| Nina, was ich nicht habe? Weichere Pobacken? Strammere Waden? Mehr | |
| Charisma? Schrotti fehlt es an nichts. Ich lege ihm den Asphalt zu Füßen. | |
| Aber Schrotti ist nicht zurückgekehrt. | |
| In Neuhausen betreibe ich zunächst Recherche. Vom Obst- und Gemüsetandler | |
| erfahre ich: Marie sei mit Schrotti unterwegs, nicht Nina. Ich kenne keine | |
| Marie. Ich rufe Nina an, und die geht tatsächlich dran. Marie sei eine | |
| Freundin aus Milbertshofen. Sie habe Marie am Rotkreuzplatz getroffen. | |
| Sie habe ihr Schrotti nur zeigen wollen, und dann sei Marie einfach davon, | |
| erzählt sie. Nina bedrückt etwas. Ihre Stimme knistert so komisch. Da sei | |
| doch noch was anderes, hake ich nach. Nicht Marie – Marilyn sitze jetzt auf | |
| Schrottis Sattel, sagt Nina und legt sofort auf. Sie hat Schiss vor meiner | |
| Reaktion. Ich kenne Marilyn nur allzu gut. Sie ist eine 47 Jahre alte | |
| Tätowiererin, eine Postpunkerin. | |
| ## Die Angst kommt | |
| Sie fährt Klappräder in Grund und Boden, lässt kein Straßenloch aus. Sie | |
| hat mal eins im Nymphenburger Kanal versenkt. War das von ihrem Freund. Sie | |
| kennt keine Gnade, was ihre Vergangenheit betrifft, und Schrotti könnte sie | |
| daran erinnern. | |
| Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Ich suche Schrotti. Kann ihn nicht | |
| finden. Wie auch, Marilyn hat ihn sicher irgendwo verscharrt. Ich trinke. | |
| Mit Fremden. Erzähle Anekdoten von Schrotti. Aber die Fremden empfinden | |
| keine Empathie, lächeln milde. Ungetröstet torkle ich heim. Am nächsten | |
| Morgen steht Schrotti im Hof. | |
| Als sei nichts gewesen. Ich sehe ihn vom Fenster aus. Ignoriere den | |
| Abtrünnigen. Würdige ihn keines Blickes. Sekundenlang. Aber er strahlt so | |
| schön in der Morgensonne. Ich renne die Treppe runter. Stehe vor ihm. Sehe | |
| einen Zettel auf seinem Gepäckträger. Geiles Fahrrad, Marilyn, ist | |
| draufgekritzelt. Ich springe auf Schrottis Sattel, strample los. Jeder soll | |
| sehen, das wir wieder vereint sind. | |
| Abends fahr ich zur Gorilla Bar. Nina, Marie und Marilyn lungern | |
| unschlüssig davor herum, rauchen. Schrotti sei ja sooo süß, sagen sie, als | |
| er vor ihnen zum Stehen kommt. Die drei haben Geschmack. Dennoch grinse ich | |
| fies. Ich habe ein neues Schloss, eine Art Keuschheitsgürtel. Mit nur einem | |
| Schlüssel, und den trage ich eng um den Hals. Wir vier gehen in die Bar, | |
| und bald darauf hege auch ich Frühlingsgefühle. Für Marilyn. Aber wenn es | |
| zum Äußersten kommt, wird Schrotti kein Augenzeuge sein. | |
| 27 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Max König | |
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