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# taz.de -- Proteste in Brasilien gegen Polizeigewalt: Informelle rassistische …
> Die sozialen Proteste in Brasilien nehmen sich noch zu wenig der
> schwarzen BewohnerInnen der Favelas an. Die handeln nun selbst und
> demonstrieren auch.
Bild: Suchbild aus der Favela Rocinha: Finden Sie die Polizisten!
RIO DE JANEIRO taz | „Am Sonntag werde ich nicht auf die Demo gehen. Ich
bin schwarz, und ich bin eine Frau,“ sagt Fabíola mit fester Stimme. „Leute
wie ich sind bevorzugtes Ziel der Polizeiübergriffe.“ Und die Staatsmacht
habe schon angekündigt, dass das Maracanã-Stadion mit allen Mitteln
verteidigt wird.
Acht junge Leute sitzen am Kneipentisch in einer engen Gasse im Zentrum von
Rio de Janeiro. Diskutiert wird auch dort die Protestwelle im Land, wie
wird es weitergehen, gelingt es der Regierung, den Unmut im Land mit ihren
wohlklingenden Versprechen zu besänftigen? Am Sonntag spielt Brasilien im
Endspiel des Confed-Cups gegen Spanien, mindestens vier Protestmärsche sind
geplant.
„Es geht nicht um Angst, meine Entscheidung ist politisch.“ Fabíola spricht
etwas lauter. „Mein Platz ist in der Favela Maré, dort wird zum Protest
gegen das letzte Massaker mobilisiert“. Montagnacht hatte die Polizei das
Armenviertel unweit des Zentrums nach einer Demonstration gestürmt und neun
Bewohner getötet. Angeblich war sie auf der Jagd nach Drogenhändlern.
Laut Presse gehörten drei der Toten nicht zu den „Verdächtigen“. „Seit …
herrscht bei uns die Todesstrafe? Ist ein Verdacht ausreichend für tödliche
Schüsse?“ fragt Fabíola. Natürlich seien Buspreise, Bildung und Gesundheit
wichtig, auf den meisten Demonstrationen war sie dabei gewesen. „Unser
Slogan ist jetzt wieder 'Stoppt die Auslöschung der schwarzen Jugend', das
ist das Problem, mit dem wir konfrontiert sind.“
## Rachefeldzug durch die Favelas
Einige der Umstehenden kannten die Forderung nicht, Fabíola konnte wieder
leiser sprechen. Vergangenes Jahr hatte die Polizei in São Paulo wochenlang
Favelas überfallen und wahllos Menschen erschossen. Es war ein Rachefeldzug
gegen das Organisierte Verbrechen, das begonnen hatte, gezielt Uniformierte
zu ermorden. Auslöser war wahrscheinlich das Ende eines Stillhalte-Paktes
zwischen Regierung und den Kriminellen – eine übliche Art der
Verbrechensbekämpfung in brasilianischen Großstädten, die natürlich von
allen Seiten geleugnet wird.
Seitdem thematisieren Teile der Schwarzenbewegung nicht mehr nur die
Polizeigewalt, sondern die existenzielle Gefahr der Jugendlichen in den
Armenvierteln. Allein in Rio de Janeiro werden jedes Jahr Hunderte Menschen
in Favelas von der Polizei erschossen, in anderen Städten sieht es nicht
besser aus. Ermittlungen werden selten eingeleitet, Grund der Todesschüsse
ist fast immer „Notwehr“. Zu den schlimmsten Zeiten im vergangenen
Jahrzehnt wurden in Rio de Janeiro durchschnittlich drei Menschen pro Nacht
erschossen, die meisten von ihnen waren: Schwarz, arm, jung und männlich.
Diese Zustände jenseits der Probleme mit prekären öffentlichen
Dienstleistungen und Korruption in der Politik stehen nicht im Zentrum der
Massendemonstrationen der vergangenen Tage, in den Medien sind sie
höchstens am Rande zu finden. Deswegen nutzt das „Komitee gegen WM und
Olympia“ das Confed-Cup-Endspiel, um auf einer Demonstration am Sonntag
Vormittag (Ortszeit) die Anliegen der Armenviertel zu thematisieren.
Neben der Polizeigewalt geht es vor allem um die Räumungen, mit denen Platz
für Sportstädten und neue Verkehrswege geschafft wird. Die landesweite
Bewegung der Komitees zählte bis Mai dieses Jahres 3.100 Familien, die ihre
Wohnungen bereits verlassen mussten, weitere 8.000 sind in den 12
Austragungsorten der WM von Räumung bedroht.
Auch sollen die Machenschaften der Fifa wieder in den Mittelpunkt gerückt
werden. Im Gegensatz zu den Zugeständnissen der Regierung bei den
Forderungen nach mehr Geld für öffentliche Dienstleistungen sowie der
Ankündigung einer Politikreform kommt der korrupte Fußballverband bisher
völlig ungeschoren davon. Allerdings sind sich die Leute am Kneipentisch
einig: Das eigentliche Problem ist nicht die Fifa, sondern die Regierungen,
die deren Bedingungen akzeptieren und ohne jede öffentliche Diskussion
Fifa-Gesetze verabschiedet, die im Widerspruch zur nationalen Gesetzgebung
stehen.
30 Jun 2013
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Favelas
Rio de Janeiro
Confed Cup
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Selbstjustiz
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Confederations Cup
Polizei
Protest
Brasilien
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