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# taz.de -- Videokunst-Ausstellung in Siegen: Ein Palast ist ein Gefängnis
> Der Videokünstlerin Fiona Tan widmet das Museum für Gegenwartskunst die
> Ausstellung „Ausgangspunkt“. Es geht um eine Revision des kolonialen
> Blicks.
Bild: Fast traumhaft wirken die Bilder aus einem Amsterdamer Filmarchiv. Fiona …
Ein Segelmast, ein Seil der Takelage und eine Person, die in Fahrtrichtung
über das Meer blickt, das bildfüllend die Szene beherrscht. Später dann der
Dreimaster, wie er sich durch hohe See kämpft. Ein Topos, der an einen
Mythos erinnert. Zumal die Künstlerin Fiona Tan die historischen
Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus einem Amsterdamer Filmarchiv blau einfärbte und
mit Wellen- und Vogelgeräuschen hinterlegte, so dass die Szenen ihrer
Videoinstallation fast traumhaft wirken.
Ist die Person, die den Aufbruch ins Ungewisse wagt, sogar unser Alter ego,
auf der Suche nach der Insel Utopia oder Kythera? Zu sehen ist die
assoziative Arbeit [1][in einer Einzelausstellung der Künstlerin]: „Point
of Departure“, als „Ausgangspunkt“ etwas ungenau eingedeutscht, im Museum
für Gegenwartskunst in Siegen. Eine endlose Reihe von Literaten und Malern
hat die Fahrt übers Meer als Metapher für die Suche nach einem glücklichen
Leben gewählt.
Antoine Watteau nannte sein Gemälde von 1717 „Einschiffung nach Kythera“
und nicht etwa „Ankunft in Kythera“, obwohl auch dieser Titel zu der am
Ufer versammelten galanten Gesellschaft passen würde. Max Beckmann nannte
sein erstes Triptychon „Departure“, eine im Geist vorweggenommene
Emigration angesichts der erstarkenden Nazis. Aufrecht sitzend fahren die
Flüchtenden auf das offene Meer, die Königin hält das Kind „Freiheit“
umschlungen.
## Das Altern der Filmbilder
Die 1966 geborene Fiona Tan reiht sich in diese Reihe der Künstler ein, die
den Mythos des Aufbruchs variieren. Sie nennt ihre Videoarbeit von 2003
„News from the Near Future“, in Anspielung auf den utopischen Roman „News
from Nowhere“, in dem sich William Morris 1890 eine gerechte und liebevolle
Gesellschaft erträumte.
Doch es tauchen auch alte Filmaufnahmen in ihrem Video auf, die einen
Walfang zeigen oder historische Badefreuden am Strand oder eine
Überschwemmung in Amsterdam, wo die Künstlerin lebt. Diese recht
unmotiviert wirkende Reihung bringt die Assoziationen der Betrachterin
etwas durcheinander. Nur das Hörstück „Brendan’s Isle“ gehorcht einer
eindimensionalen Interpretation: Im 6. Jahrhundert brach der irische Mönch
Brendan auf, um die Isola Deliciosa zu finden. Und entgegen allen anderen
Utopie-Suchern fand er sie auch, nach 9 Jahren auf dem Meer. Fiona Tan
erzählt die Legende mit ruhiger Stimme. Und ihr scheinbar positives Ende
entspricht ja leider den historischen Realitäten.
Denn Kolonisatoren und Missionare fanden immer das Objekt ihrer Begierde.
Was sie anrichteten, wird in der raumfüllenden Videoinstallation „Thin
Cities“ visualisiert. Da schauen uns Aborigines-Frauen minutenlang mit
furchtsamem Blick an, sie halten Kinder auf dem Arm und sind in Kleider
gesteckt. Eine andere Leinwand zeigt Asiaten mit traditionellem Hut und
Lendentuch, doch haben sie dunkle Regenschirme dabei, um sich durch die
Attribute westlicher Kultur aufzuwerten.
## Die Dampfwalze unserer Kultur
Auch sie blicken uns an, unbehaglich gehorchen sie dem damaligen
Fotografen, der sein Zivilisationswerk auf Zelluloid bannte. Wir heutigen
Betrachter stehen unangenehm berührt vor diesen in Lebensgröße projizierten
Gegenübern, beschämt ob der Dampfwalze unserer eigenen Kultur, die auch
heute noch, im sogenannten Postkolonialismus, die Welt penetrant
überkleistert.
Doch auch diese Videoinstallation bringt am Schluss einen Querschläger.
Eine der Projektionsflächen zeigt die chinesische Verwandtschaft der
Künstlerin, die chinesisch-australische Wurzeln hat und in Indonesien
aufwuchs. Fiona Tan mitten unter ihnen in der Gruppe, auf dem einzigen
farbigen Video im Raum, aufgenommen in einem chinesischen Dorf. Äußerlich
unterscheidet sie sich kaum. Auch dieses Video ist stumm, doch im Katalog
äußert die Künstlerin, dass sie in dem Dorf, in dem alle Tan heißen, nicht
leben könnte, und dass sie die kulturelle Tradition wie einen Palast und
ein Gefängnis gleichzeitig empfindet. Ihre Identität wurde facettenreicher
durch ihre globalen Erfahrungen.
Die mehrdimensionalen Identitäten des globalen Zeitalters bedeuten Zugewinn
an Horizonterweiterung und Verlust von emotionaler Geborgenheit. Zu dem
Ergebnis kam Fiona Tan offenbar, die um die Welt reiste, um der eigenen
Identität auf die Spur zu kommen. Sie interviewte ihre in vielen Ländern
lebenden weiteren Verwandten mit chinesischen Wurzeln und machte daraus den
Dokumentarfilm „May you live in Interesting Times“.
## Paso Doble im Park
Er beginnt mit Aufnahmen in Peking, auf denen Chinesen in einem Park einen
Paso Doble tanzen. Dieser Film benennt als einziger die konkreten Orte und
Namen der Angehörigen, die von Fiona Tan befragt wurden. „Do you feel like
a Chinese oder like a Dutch?“ Natürlich ist die Antwort, in beiden Kulturen
zu Hause zu sein, scheint doch die Migration schon lange zurückzuliegen.
Was aber ist mit den Millionen Flüchtlingen von heute, die unfreiwillig
übers Meer in eine andere Kultur reisen? Sie sind wohl ähnlich
desorientiert wie der ältere Mann in „A Lapse of Memory“. Ihn hat es in
einen bizarren Palast im chinesischen Stil in Brighton verschlagen, wo er
offenbar verwirrt allerhand seltsame Rituale praktiziert, die seinen
fernöstlichen Ursprung vermuten lassen. Durch die Chinoiserien und
Draperien des Drehorts und die ruhige Kamera ist diese Videoarbeit von
großer Poetik, lässt aber durch ihre Surrealität Interpretationen am
meisten Spielraum.
Fiona Tan: Ausgangspunkt. Museum für Gegenwartskunst, Siegen, bis 27.
Oktober. Katalog 22 Euro
16 Jul 2013
## LINKS
[1] http://www.mgk-siegen.de/deu/ausstellungen-und-sammlung/ausstellungen/fiona…
## AUTOREN
Ursula Wöll
## TAGS
Videokunst
Ausstellung
Kolonialismus
Moderne Kunst
Jüdisches Museum
Turner-Prize
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