Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Videokunst: Einmal nicht l'art pour l'art
> Die Bremer Weserburg zeigt künstlerische Videos aus Israel. Das Thema ist
> stets Identität – des Einzelnen wie der Gemeinschaft..
Bild: Der Unabhängigkeitskrieg als Kinderspiel: "1,2,3 Herring" von Shahar Mar…
BREMEN taz | Das Spiel heißt bei uns „Eins, zwei, drei – unerreicht“ oder
auch schlicht „Statue“ und geht so: Die Spieler müssen von der einen Seite
des Raumes auf die andere gelangen. Ihnen gegenüber steht der Fänger, der
das verhindern will. Er steht mit dem Gesicht zur Wand, zählt, ruft ein
Wort, dreht sich um – und in diesem Moment müssen die auf ihn Zulaufenden
wie eine Statue erstarren. Wer sich erkennbar bewegt, wer wackelt oder
wankt, muss zurück und von vorne anfangen.
Dieses Spiel spielt auch der israelische Videokünstler Shahar Marcus in
seiner Arbeit „1,2,3, Herring“, allerdings in einer etwas anderen Version.
Denn die Spieler, die auf die sichere Seite gelangen wollen, sind
lebensgroße Pappfiguren von Soldaten. Und ihre Gesichter zeigen alle das
Gesicht von Sharar Marcus, der auch der Fänger ist; so ist der Künstler
Jäger und Gejagte in nur einer Person.
Wer sich das Video mehrmals angeschaut hat, dem wird auffallen: Die
Uniformen, die getragen werden, wirken seltsam altmodisch. Und auch der
Panzer, den die Pappkameraden erreichen müssen, ist deutlich älteren Datums
– ein Modell aus dem Jahr 1948, als mit dem Krieg der arabischen Nachbarn
gegen Israel der erste einer Vielzahl von Kriegen begann.
Zu sehen ist „1,2,3 Herring“ im Bremer Museum Weserburg, oben im Spitzboden
des Hauses, der abgeschottet vom übrigen Museumsbetrieb für die nötige Ruhe
und Konzentration sorgt. Kuratorin der Videoschau „Panorama – junge
Videokunst aus Israel“, die acht Positionen versammelt, ist Susanne
Hinrichs. Sie hat in der Weserburg einst ein erstes Praktikum absolviert
und so den Weg in die aktuelle Kunstszene gefunden.
## Von Berlin gelangweilt
Ein Weg, der zwischendurch einer harten Prüfung unterzogen wurde: „Ich
konnte irgendwann in keine Berliner Galerie mehr gehen, so sehr hat mich
die aktuelle Kunst gelangweilt.“ Was sie seinerzeit vermisste: „Kunst, in
der es um etwas ging; Kunst, die einen Grund hat, dass sie entsteht.“ Zum
Glück lernt sie 2005 einen israelischen Künstler kennen, taucht ein in die
Kunstszene seines Landes, fährt das erste Mal dorthin und sieht sich mit
einer Kunst konfrontiert, die die gesellschaftlichen Brüche wie Umbrüche
einbezieht, statt kühl über den Dingen zu stehen und sich in
selbstreferentiellen Diskussionen über Formen und Farben zu üben.
Mittlerweile ist Hinrichs eine der Expertinnen für junge israelische Kunst.
2008 kuratierte sie zum 60-jährigen Bestehen des Staates Israel in Bremen
und Syke die Bilderschau „Neues Sehen – Junge Kunst aus Israel“. So war es
keine Frage, dass man sie holte, als die kommende Bremer Jazzmesse
„Jazzahead“, deren Partnerland Israel diesmal ist, um eine solide
Kunstausstellung bereichert werden sollte.
„Kunst aus Israel kann von den formalen Kriterien her locker mit Kunst aus
Westeuropa oder den USA mithalten“, findet Hinrichs. „Was sie aber so
spannend macht, ist die Frage nach der Identität des Einzelnen wie der
Gemeinschaft, die die israelische Kunst immer wieder neu stellt.“ Weshalb
es konsequent und logisch sei, dass in vielen Arbeiten die Künstler selbst
vor der Kamera stehen und es schnell auffällt, dass Sharar Marcus’ Vorgehen
kein Einzelfall ist: „Wie definiere ich mich in einem Land wie Israel, das
zunehmend auch von sozialen Konflikten geprägt ist: als Frau, als
Homosexueller, als Jude, als Araber – das kann kein Schauspieler
darstellen“, sagt Hinrichs.
Dass die Frage heutiger Identität Einzelner unmittelbar mit der Geschichte
des jüdischen Staates verknüpft ist, zeigt exemplarisch die Arbeit „My
Ghetto“ von Itay Ziv, Sohn polnischer Juden, der in Israel aufwuchs: Ziv
sitzt in Hotelzimmern und Unterkünften, mal fast lümmelnd auf dem
Hotelbett, mal aufrecht auf einem wuchtigen Sofa und erzählt der Kamera wie
einem Tagebuch, wie er auf einer Reise in ein Ghetto geraten sei.
## Gaza als Touristenparadies
Plötzlich sei da Stacheldraht gewesen! Und eine Mauer! Und die Mauer hätte
gar kein Ende genommen! Überall hätten Leichen gelegen, während er doch
versucht hätte, zurück ins Hotel zu gelangen. Immer abstruser vom Inhalt
und immer manischer von der Redeweise her steigert sich sein Erzählen, bis
schließlich der Song „My Ghetto“ des Theatermachers Hanoch Levin mit den
Zeilen „bitter ghetto/ sweet ghetto/ hated ghetto/ beloved ghetto“ erklingt
und unser Berichtender kurz so etwas wie Erleichterung zu spüren scheint.
Heiter, schräg und komisch ist das Video „The Gaza Canal“ von Tamir Zadok,
das davon berichtet, dass der Gazastreifen durch einen Kanal vergleichbar
dem Ärmelkanal vom nun israelischen Festland getrennt wäre und sich seitdem
in ein touristisches Paradies verwandelt habe – mit Kreuzfahrtterminal und
ausgedehnten Stränden.
Passé sind all’ die blutigen Konflikte der Gegenwart und der Vergangenheit,
wie der Beitrag im Stil eines Firmenwerbevideos verkündet – samt sonorer
Männerstimme, klimperiger Klaviermusik und Interviewschnipseln wie von den
beiden deutschen Rucksacktouristinnen, die ihr „Das ist hier der totale
Wahnsinn!“ in die Kamera sprechen.
Im Gewand einer kühlen Dokumentation kommt wiederum „Oriental Arch“ von Nir
Evron daher: Sie widmet sich dem einstigen Hotel „Intercontinental“ auf dem
Jerusalemer Ölberg, Anfang der 60er vom damaligen König Hussein von
Jordanien errichtet, 1964 Ort der Gründungskonferenz der PLO und seit dem
Sechs-Tage-Krieg von 1967 dank der Besetzung des Ölberges ebenso unter
israelischer Verwaltung wie weiterhin im Besitz des jordanischen
Königshauses.
Entsprechend war das Haus selbst mitten im Krieg keinen einzigen Tag
geschlossen; jeden Morgen wird der Speisesaal neu eingedeckt – für
vielleicht eine Handvoll von Touristen. „Evron war mit einem zehnköpfigen
Filmteam unterwegs, das ist vom filmischen Standard her gewissermaßen
Hollywood. Nitzan Shahar dagegen hat alles in Eigenarbeit mit der
Videokamera in ihrer Küche inszeniert“, erzählt Hinrichs.
„Marching“ der 23-jährigen Künstlerin greift die Demonstrationen der
vergangenen Sommer auf, als besonders die junge, gut verdienende
Mittelschicht von Tel Aviv, Haifa oder Jerusalem soziale Reformen und
bezahlbaren Wohnraum verlangte. Dazu lässt Shahar aus Papier
ausgeschnittene Demonstranten im Zeitraffer über Herd, Tisch und
Bücherregale marschieren. Pappfiguren auch diese – aber solche, denen die
Zukunft gehören dürfte.
## Ausstellung „Panorama – Junge Videokunst aus Israel“: noch bis zum 2.
Juni, Weserburg Bremen
30 Apr 2013
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Bremen
Videokunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Städtepartnerschaft gegen Antisemitismus: Austausch wider den Boykott
Gegen Antisemitismus hilft gegenseitiger Austausch. Bremens Partnerschaft
mit dem israelischen Haifa trägt auf vielen Ebenen seit 30 Jahren dazu bei
Videokunst-Ausstellung in Siegen: Ein Palast ist ein Gefängnis
Der Videokünstlerin Fiona Tan widmet das Museum für Gegenwartskunst die
Ausstellung „Ausgangspunkt“. Es geht um eine Revision des kolonialen
Blicks.
Standortdebatte: Lauter offene Fragen
Bis zum Sommer soll Klarheit über die Zukunft des Museums Weserburg
herrschen. Kulturstaatsrätin Emigholz (SPD) findet klare Positionen noch
"verfrüht".
Galeristin Rabus fordert Museumsschließung: "Schließen und neu anfangen"
Das Bremer Museum Weserburg hat ein Bild verkauft, um die Gebäude-Sanierung
oder einen Neubau zu finanzieren. Die Galeristin Katrin Rabus plädiert für
ein neues Konzept.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.