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# taz.de -- Fiano-Tan-Austellung: Tausendmal cheese, please!
> Die Gier nach dem noch fehlenden Schnappschuss trieb die Indonesierin
> Fiano Tan um den Erdball. Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt Foto-
> und Video-Arbeiten.
Bild: Bitte lächeln: Die indonesische Künstlerin Fiona Tam
Ein Liebespaar, sie in Weiß, er im Einreiher. Ein Baby, zwischen
Schaumbergen. Ein blondbezopftes Mädchen, ein halbes Stück Torte in der
Hand, den Rest im Gesicht verteilt. Ergibt? Ein Grinsen, ein Lachen, ein
Lächeln, ein Strahlen. Denn an manchen Tagen funkelt die Welt, vielleicht
nur einen Wimpernschlag lang.
Genau nach diesen durchschnittlich-überdurchschnittlichen Momenten sucht
die Videokünstlerin Fiona Tan: Nach den seltenen Situationen, in denen sich
Gefühle mit der Übermacht eines Naturgesetzes einstellen. In denen ganz
persönliche Erlebnisse eine bestimmte, allgemein menschliche Empfindung zu
erzwingen scheinen. In denen es sich nahe Anverwandte einfach nicht nehmen
lassen, auf den Auslöser zu drücken.
"Fiona Tan/80 Tage" nennt sich die Ausstellung in der Münchner Pinakothek
der Moderne, frei nach "In 80 Tagen um die Welt" von Jules Verne. Die Gier
nach der richtigen Filmsequenz, dem noch fehlenden Schnappschuss treibt die
indonesische Künstlerin Tan kreuz und quer über den Erdball. Vor fünf
Jahren erregte die heute 41-Jährige mit ihren lebhaften Arbeiten auf der
Documenta Aufsehen. Nun, aus Freude über den eigenen fünften Geburtstag,
schenkte sich die Pinakothek der Moderne gleich eine ihrer Fotoarbeiten.
Und ein weiteres Werk soll demnächst erworben werden: Die Video-Arbeit
"Countenance", entstanden 2002 in Berlin und derzeit schon mal
"probehalber" in München installiert.
Im Fokus von "Countenance" steht die deutsche Hauptstadt der
Jahrtausendwende, geprägt vom Zusammenwachsen von Ost und West. Tans Ziel
ist dabei dasselbe wie das von August Sander in seiner berühmten Fotoserie
"Menschen des 20. Jahrhunderts" von 1920: Sie möchte einen historischen
Moment festhalten. In 200 sekundenkurzen Minisequenzen zeigt Tan Vertreter
der unterschiedlichsten Berufsgruppen im Vollporträt: Lehrer, Händler,
Bäcker.
Die Protagonisten stehen dem Betrachter frontal gegenüber, auf einen
Schwarzweißfilm gebannt wie ein geschichtliches Dokument, doch lebensgroß
an die Wand projiziert. Regungslos lassen sich Fiona Tans
Allerweltsmenschen beäugen, setzen sich scheinbar gleichgültig der
offensiven Musterung durch das "Gegenüber" aus. Gelegentlich zwinkert
vielleicht mal einer, blickt dabei aber stets weiter schweigend in die
Kamera, mustert einfach stoisch zurück. Und bevor noch der Betrachter den
Moment der Irritation überwinden kann - wechselt das Bild bereits.
Aus Porträts besteht auch Tans jüngste und bislang eindrucksvollste
Fotoarbeit "Vox populi", die zwischen Kunstwerk und soziokultureller Studie
alteriert. Zum ersten Mal sind in der Pinakothek alle drei Elemente der
Serie vereint: "Norway" aus dem Jahr 2004 (eine Auftragsarbeit für das
Osloer Parlament), das im vergangenen Jahr zusammengestellte "Sydney", und
schließlich "Tokyo", das die Künstlerin in München selbst zum ersten Mal
überhaupt außerhalb ihres Ateliers sieht.
Die collageähnlichen Wandmontagen beschreibt Tan als "Storyboard". Kein
einziges der über 300 Bilder hat sie selbst geschossen; Assistenten haben
die privaten Fotos Unbekannten in Europa, Australien und Asien abgetrotzt,
und so stammen die Bilder aus den vergangenen 40 Jahren (zuvor war die
Farbfotografie in Privathaushalten unüblich). Gesucht wurde nicht nach
Extremsituationen, nicht nach herausragenden Leistungen oder
Persönlichkeiten, sondern gerade nach dem "guten Durchschnitt" (Tan).
Entstanden ist eine Art kollektives Tagebuch aus Dutzenden von
Geburtstagsfeiern, Badeausflügen und Hochzeiten. Die Qualität der
Laienfotos ist dabei höchst unterschiedlich; durch gleiche Vergrößerung und
identische Rahmung wurden die Aufnahmen vereinheitlicht. In sich ist jede
Einzelarbeit nach Gesichtsausdrücken und Situationen gegliedert.
Kleinteilig, wuchtig und vor Leben strotzend wirkt die Serie auf
Betrachter, die mehr als einen Meter entfernt stehen - nahezu erschlagend
in ihrer Vielfalt und Farbigkeit. Doch wer dichter verharrt, einzelne
Fotografien im Blick behält, beginnt schnell, sich zutraulich nach den
fremden Leben zu fragen, denen diese intensiven Momente entrissen wurden.
In den unbekannten Gesichtern sucht die Künstlerin mit furchtlosem
Voyeurismus nach dem Wesen des Menschlichen, spürt in hunderten von
persönlichen Geschichten der Essenz von Nachdenklichkeit, von Albernheit,
von Spott nach. Drei Kontinente hat Tan so bereits fotografisch abgebildet,
doch betrachtet sie "Vox populi" noch längst nicht als abgeschlossen. Zu
viele Länder müssen noch bereist, zu viele Familien gefunden, Tausende von
Fotos in monatelanger Arbeit gesichtet werden. Die Welt wird sich gedulden
müssen: "Mehr als einmal im Jahr", gesteht Tan und grinst, "schaffe ich den
Aufwand einfach nicht."
Bis 6. Januar, Pinakothek der Moderne München, Katalog (Book Works) 18 Euro
1 Oct 2007
## AUTOREN
Johanna Schmeller
## TAGS
Moderne Kunst
Videokunst
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