| # taz.de -- Debatte NSA-Überwachungsskandal: Fernsehen bildet | |
| > Hiesige Politiker scheinen vom Ausmaß der Überwachung überrumpelt. Dabei | |
| > wird dieses Problem bereits seit Jahren in Fersehserien breit diskutiert. | |
| Bild: Gestörte Überwacher: Claire Danes als CIA-Agentin Carrie Mathison in de… | |
| Keine Ahnung von Popkultur zu haben kann zum Problem werden. Zumal wenn man | |
| im Hauptberuf Populist ist. Für deutsche Politiker wird es gerade | |
| problematisch, und vielleicht merken sie es. Vor allem begreift der | |
| Medienkonsument dieser Tage, dass für das Führungspersonal im Bundestag | |
| keineswegs nur das Internet Terra incognita ist. Offenkundig sieht man dort | |
| auch nicht ordentlich fern oder wenn, dann nur deutsche Konfektionsware. | |
| Das ist natürlich keine Lösung. | |
| Dabei hätten sich Merkel und ihre Entourage leicht, ganz spielerisch, ja | |
| auf unterhaltsame Weise an das für sie so schwer begreifliche Thema Netz, | |
| Überwachung, USA heranführen lassen können. Sie hätten erfahren können, | |
| dass viele Amerikaner denken, die CIA wisse um ihre Nutzlosigkeit im Kampf | |
| gegen den Terror, und höre deshalb umso aggressiver bis dahin unbescholtene | |
| Bürger ab, überall in der Welt. Nicht weil es im Kampf gegen den Terror | |
| Sinn machen würde, sondern weil es technisch möglich ist und weil man unter | |
| Erfolgsdruck steht, also Schuldige liefern muss. | |
| Und sie hätten lernen können, dass es ein Millionenpublikum plausibel | |
| findet, dass sich die Sicherheitsbehörden trotzdem am liebsten mit internen | |
| Zwistigkeiten befassen. Denn auch um herauszufinden, ob der Ehemann aus der | |
| anderen Abteilung eine Affäre hat, eignet sich NSA prima. Wo das alles zu | |
| erfahren ist? Im Fernsehen. | |
| Die Massenunterhaltung beschäftigt sich seit jeher gern mit den | |
| Geheimdiensten, aber seit 9/11 hat das Genre ein interessantes Update | |
| erfahren. Technikaffin und alltagsverankert erzählen die TV-Serien von dem | |
| massiven Angriff auf die Zivilgesellschaft, den die politischen Eliten in | |
| den westlichen Demokratien in Auftrag gegeben haben, nachdem sie hilflos | |
| zusehen mussten, wie zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers | |
| flogen. Die neuen Agentengeschichten kratzen dabei das Grundprinzip des | |
| Genres und des westlichen Selbstverständnisses an: die legitime Hegemonie | |
| des Westens. Stattdessen zeigen sie, wie brutal das „Superrecht Sicherheit“ | |
| (Innenminister Friedrich) die Menschenrechte aushöhlt. | |
| ## Tote Agenten sind billiger als lebende | |
| Da wäre zum Beispiel die ziemlich lustige Serie „Covert Affairs“ (USA seit | |
| 2010). Gnadenlos verspottet sie die CIA. Der Running Gag: Folge dem | |
| „Protokoll“, nicht den Terroristen. Wer will schon Verbrechen aufdecken? | |
| „Die USA sind in einer albernen Spion-versus-Spion-Stimmung“, schreibt die | |
| Kritikerin Alessandra Stanley in der New York Times zum Auftakt der Serie. | |
| Genau diese Albernheit ist aber nicht nur harmlos. Sie zeigt, wie wenig das | |
| liberale Amerika seinen Sicherheitsbehörden zutraut und wie sehr es davon | |
| ausgeht, dass für den Überwachungsapparat Menschenleben nicht zählen. | |
| Gleich in der ersten Episode stellt die kühl-sympathische Bürovorsteherin | |
| klar: Tote Agenten sind besser für uns, denn sie sind billiger als lebende. | |
| Das Publikum goutiert diesen Zynismus. | |
| TV-Serien sind dann erfolgreich, wenn sie den Zeitgeist einfangen. In | |
| diesem Sinn sind Fiktionen sozialrelevante Dokumente. Sie müssen | |
| Konventionen bedienen, also leicht verständlich sein, und gleichzeitig | |
| neugierig machen, also Tabus brechen. | |
| „Covert Affairs“ bricht mit der Annahme, dass die CIA oder das noch | |
| schlechter angezogene FBI ernsthaft arbeitende Einrichtungen wären oder gar | |
| für die gute Sache kämpften. Und behauptet stattdessen, dass davon auch | |
| niemand mehr ausgehe, also niemand, der halbwegs zurechnungsfähig ist. | |
| Auggie, ein blinder Agent (hallo Allegorie!), fasst es so zusammen: „Wir | |
| sind ein Club Med, nur ohne Freigetränke.“ | |
| ## Unheimliche Stimmung von Verfolgungswahn | |
| Selbstbezüglichkeit, Konzeptlosigkeit, in Brutalität umschlagende Paranoia | |
| – und die selbstverständliche Aussetzung von Bürgerrechten, das sind auch | |
| die Themen von „Homeland“ (USA seit 2010). Diese vielfach ausgezeichnete | |
| Serie zählt zu den erfolgreichsten überhaupt. Wiederum steht eine junge | |
| Agentin im Zentrum. Aber Carrie wird mit ihrem ehrlichen Aufklärungswillen | |
| schnell zur Exotin im eigenen Laden. Gleichzeitig machen sie ihre | |
| psychischen Probleme zu einer unzuverlässigen Heldin. Das Gleiche gilt für | |
| ihren Gegenspieler, den Irakveteran Brody. | |
| „Homeland“ albert nicht rum, „Homeland“ ist ernst und inszeniert ästhe… | |
| einigermaßen ambitioniert eine unheimliche Stimmung von Verfolgungswahn und | |
| Hilflosigkeit: Keiner weiß mehr, was stimmt und wem man trauen kann. Es ist | |
| ein Kampf von jedem gegen jeden, den die USA in die Welt exportieren. Die | |
| natürlich auch ohne die Supermacht alles andere als friedlich, freundlich | |
| oder sympathisch ist. Und so lautet die Botschaft der neuen TV-Serien: Die | |
| US-Behörden sind fast so gefährlich wie die Terroristen, die sie jagen. | |
| Fast so gleichgültig, wie sie töten, verraten sie Menschen, ohne dem | |
| höheren Ziel – der Sicherheit – näher zu kommen. | |
| Wer amerikanische Geheimdienst-Serien ansieht, kommt also nicht mehr auf | |
| die Idee, die USA wären die verlässlich Guten. Das gilt natürlich auch für | |
| die Kult-Serie „24“ mit Kiefer Sutherland in der Hauptrolle, die von 2001 | |
| bis 2010 auf Fox ausgestrahlt wurde. Auch sie wurde massenhaft konsumiert, | |
| auch in Deutschland, auch mit ihr hätten sich hiesige Entscheidungsträger | |
| in die Problematik einführen lassen können. | |
| Trotzdem stellt sich die Frage, ob diese Bankrotterklärung für die | |
| Geheimdienste die Massen nicht in eine große Gleichgültigkeit einübt. Im | |
| Sinne von: So ist es eben. In Zeiten des internationalen Terrorismus ist | |
| die Demokratie nicht mehr zu retten. Oder schärft dieses | |
| Unterhaltungsformat im Gegenteil das Bewusstsein dafür, dass die aktuell | |
| agierenden Eliten auf internationale Bedrohungen immer die falsche Antwort | |
| haben? | |
| Zuschauer werden für beide Interpretationen Angebote in den Serien finden. | |
| Auf der Handlungsebene aber entwickeln die Serien keine Vision davon, wie | |
| man Terroristen bekämpfen könnte, ohne dabei die Demokratie zu schrumpfen. | |
| Am Ende setzen alle Akteure auf Repression. In dieser inszenierten | |
| Auswegslosigkeit liegt bei aller harschen Kritik ein reaktionäres Element. | |
| Visionen, wie die Geheimdienste in ihrer Überwachungswut eingedämmt werden | |
| könnten, werden nicht diskutiert. Offenbar fehlen hier die Ideen. | |
| Die Serien liefern also keine Anleitung, wie die Demokratie, wie | |
| Bürgerrechte zu retten wären. Was sie aber leisten, ist die | |
| Sensibilisierung für den Schmerz und die Tragödie, die mit dem Verrat der | |
| Demokratie verbunden sind. Massiv stellen sie die Frage: Wohin führt uns | |
| der Überwachungswahn? Und ihre Antwort fällt im religiösen Amerika so | |
| eindeutig wie biblisch aus: in die Hölle. | |
| Um diese weithin akzeptierte Interpretation der US-Elite als massiver | |
| Gegnerin von Menschenrechten sollte man zumindest wissen. Also, liebe | |
| deutsche SpitzenpolitikerInnen: Ihr versteht das Internet nicht, ihr wisst | |
| nicht, wie man downloaded? Okay, aber von der Erfindung der DVD habt ihr | |
| schon gehört, oder? | |
| 28 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
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