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# taz.de -- Politische Krise in Ägypten: Die Artisten unter den Islamisten
> Die salafistische Nour-Partei balanciert nach der Absetzung Mursis auf
> dem politischen Drahtseil: Religiöse Doktrin – oder mit dem Militär gegen
> die Muslimbrüder.
Bild: Mann mit Salafisten-Flagge. Die Nour-Partei hat die Muslimbrüder geopfer…
KAIRO taz | Ordentlich hat Nader Bakkar sein Jackett gefaltet und über die
Couchlehne geworfen. Er lässt seinen Blick kurz durch die Lobby des
5-Sterne-Hotels im ruhigen Süden Kairos schweifen. Dann sagt er bestimmt:
„Sollen wir beginnen?“
Bakkar ist das öffentliche Gesicht der salafistischen Nour-Partei und hat
keine Zeit zu verlieren. Er ist Sprecher der Partei, Prediger, Kolumnist
und begehrter Talkshowgast. Mit seinem gepflegten Äußeren, dem dichten Bart
und der Brille ist der gerade erst 28-Jährige das dynamische Aushängeschild
der Nour-Partei, der das Wort „ultrakonservativ“ anhängt, als gehörte es
zum Parteinamen. Bakkars Karriere verläuft so steil wie die seiner Partei.
Bis zur Revolution 2011 hatten sich die Salafisten aus der Politik
herausgehalten, anders als die Muslimbrüder. Mit den Muslimbrüdern teilen
sie das Grundanliegen, Gesellschaft und Staat zu islamisieren. In ihrer
Religionsauffassung orientieren sich die Salafisten aber stärker am Vorbild
des Propheten Mohammed und den frühen Muslimen.
## Lieber die Macht als die Muslimbrüder
Nach der Revolution gewann die von ihnen im Mai 2011 gegründete Nour-Partei
ein knappes Viertel der Parlamentssitze und wurde zweitstärkste Fraktion,
übertroffen nur noch von den Muslimbrüdern. Deren Sturz durch das Militär
könnte der Salafistenpartei nun in die Hände spielen.
Ja, die Muslimbrüder habe man geopfert. Dem stimmt Bakkar zögerlich zu –
„aber zugunsten der Nation“, ergänzt er. Es ist nicht das erste Mal, dass
der Sprecher die kontroverse Entscheidung seiner Partei verteidigen muss,
die Entmachtung von Expräsident Mursi und der Muslimbruderschaft
mitzutragen.
„Wir wollten nicht, dass die gesamte islamische Strömung die Rechnung für
Dr. Mohammed Mursis fatale Fehler bezahlt“, sagt er. Das respektvolle
„Doktor“ vergisst Bakkar nie, was seine Kritik jedoch nicht entschärft:
Immer wieder habe die Nour-Partei versucht, den Präsidenten zu beraten,
aber dieser sei beratungsresistent gewesen, „verleugnend und unnachgiebig“.
Das sind harte Worte für eine Partei, die noch im vergangenen Jahr
gemeinsame Sache machte mit Mursis Muslimbrüdern. Zusammen hatten die
Islamisten nach der Revolution mehr als 70 Prozent der Parlamentssitze
gewonnen. In der Präsidentenstichwahl unterstützten die Salafisten Mursi
und peitschten gemeinsam mit den Muslimbrüdern eine islamisch geprägte
Verfassung durch.
Doch das war Taktik. Nach und nach trat die Konkurrenz zwischen Salafisten
und Muslimbrüdern wieder offen zutage. Erstere wollten mitreden, Letztere
allein regieren. Als sich schließlich auch in der Bevölkerung die Wut über
Mursi breitmachte und nach den Massenprotesten vom 30. Juni im
Militärputsch gegen den Präsidenten gipfelte, schlug sich die Nour-Partei
auf die Seite der Mursi-Gegner. Rechtzeitig vor der Unterdrückungskampagne
gegen die Muslimbrüder sprangen die Salafisten von deren sinkendem Schiff
ab.
„Es ist eine enorm schwierige Situation“, sagt Bakkar, „80 Prozent unserer
Anhänger unterstützen unsere politischen Entscheidungen bezüglich Dr.
Mohammed Mursi.“ Den Rest habe man nicht überzeugen können. Aber das sei
nun mal so. „Bei uns folgst du einer Entscheidung nicht, nur weil sie von
der Führung kommt“, erklärt Bakkar in Anspielung auf die hierarchischen
Strukturen der Muslimbruderschaft.
## Mursi spaltet Salafisten
Zum Rest, zu den 20 Prozent, gehört Bilal Mohammed. Im Schneidersitz hockt
er auf dem Boden eines Zeltes. An den Wänden hängen Poster von Mohammed
Mursi, von draußen dringen Parolen gegen die Militärherrschaft herein. Seit
einem Monat harren die Anhänger des gestürzten Präsidenten in dem
Protestcamp im Kairoer Stadtteil Nasr City aus, um für die Wiedereinsetzung
Mursis zu demonstrieren.
Aus seiner Tasche zieht Mohammed einen Mitgliedsausweis. „Ich bin bei der
Nour-Partei“, sagt er, „aber nur noch offiziell“. Dass sich seine Partei
nun gegen Mursi gestellt hat, ist für Mohammed unverständlich. Mursi sei
der legitime, gewählte Präsident Ägyptens und obendrein einer aus dem
islamischen Lager.
Um Mohammed herum sitzt eine Gruppe junger Männer. Alle haben sich den Bart
lang wachsen lassen, ein Merkmal, das die Salafisten deutlich von den
Muslimbrüdern unterscheidet. Am Zelteingang haben sie ein Plakat ihrer
Bewegung al-Dawa al-Salafiya angebracht. Die Dawa-Salafisten, gegründet in
den siebziger Jahren in Alexandria, konkurrierten schon damals mit den
Muslimbrüdern um Einfluss im öffentlichen Raum, in Moscheen und
Universitäten. Nach der Revolution 2011 ergriffen sie ihre Chance und
gründeten mit der Nour-Partei einen politischen Arm.
Anders als Mohammed, sagt Mustafa al-Badry, ein Autohändler und Imam, sei
er nie bei der Nour-Partei gewesen. Auch die anderen im Zelt hätten mit dem
politischen Arm ihrer Bewegung nichts zu tun, betonen sie. Es scheint ihnen
wichtig zu sein. Was die Nour-Partei mache, sei nichts anderes als
„Verrat“, schimpft al-Badry.
Nader Bakkar weist den Vorwurf der salafistischen Mursi-Anhänger in Nasr
City zurück. Mursi habe seinen Gegnern keine andere Wahl gelassen, sagt er,
während er an seinem Kaffee nippt. „Mursi und die Muslimbruderschaft waren
blind, unfähig, das Gesamtbild zu sehen, unfähig, zu sehen, dass sich das
Militär, das Innenministerium, die Geheimdienste und das ägyptische Volk
gegen ihn gewandt hatten.“ Das vergangene Jahr, sagt Bakkar, sei eine
„verlorene Runde“ für die Islamisten gewesen.
## „Letzte Chance für die islamische Strömung“
Wie hätte sich die Nour-Partei anders verhalten sollen, fragt Bakkar. „Das
ist die letzte Chance für die islamische Strömung, nicht komplett
unterzugehen.“ Für viele Menschen, erklärt er, drohe der politische Islam
generell an Anziehungskraft zu verlieren. Damit habe die Muslimbruderschaft
nicht nur sich selbst, sondern allen islamistischen Parteien geschadet.
Doch nun muss die Nour-Partei den Eindruck vermeiden, mit dem Militär zu
kooperieren. Für viele Ägypter, die Sympathien für die Islamisten hegen,
sind die Armeeführung und die von ihr eingesetzte Übergangsregierung der
politische Feind. Das wissen die Salafisten, die längst in der ägyptischen
Realpolitik angekommen sind. Obwohl der Nour-Partei nach dem Sturz Mursis
mehrere Ministerposten im Übergangskabinett angeboten wurden, lehnte sie
ab.
Es ist ein Balanceakt für die Nour-Partei. Ihre Zukunft ist so ungewiss wie
die der Muslimbrüder. Möglich ist, dass sie sich langfristig als
Alternative zur Muslimbruderschaft etabliert, als die führende Partei im
islamistischen Spektrum. Doch auch ein Verbot aller religiösen Parteien in
einem säkularen Ägypten ist nicht ausgeschlossen. Dann wäre die
Salafistenpartei irgendwann eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern –
irgendwo in den Kapiteln zur Ägyptischen Revolution und ihren turbulenten
Folgen.
31 Jul 2013
## AUTOREN
Jannis Hagmann
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