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# taz.de -- Staatskrise in Ägypten: Verhandeln, nicht räumen
> Die internationale Diplomatie bemüht sich um einen Dialog zwischen
> Muslimbrüdern und Militärs. Doch von einer Lösung des Konflikts sind alle
> weit entfernt.
Bild: Nicht Sandsäcke, sondern internationale Diplomaten haben eine Räumung d…
KAIRO taz | Die gute Nachricht: Es wird verhandelt und nicht blutig
geräumt. Die schlechte: Keiner hat eine Patentlösung, wie Ägypten aus der
politischen Sackgasse herauskommen kann.
Inzwischen geben sich internationale Vermittler in Kairo die Klinke in die
Hand. Begonnen hatte es letzte Woche mit der EU-Außenbeauftragten Catherine
Ashton, dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle, am Wochenende kamen
der US-Spitzendiplomat William Burns, der EU-Gesandte Bernardino Leon und
am Montag die US-Senatoren John McCain und Lindsey Graham.
Auch die arabische Diplomatie mischt sich ein. Die Vereinigten Arabischen
Emirate, die sich mehr aufseiten des Militärs positioniert haben, schickten
Außenminister Abdullah bin Zayed und Katar – eher in der Umlaufbahn der
Muslimbrüder – entsandte seinen obersten Diplomaten Khalid Al-Attiyah.
Diese atemberaubende diplomatische Besucherdichte dient vor allem dazu,
eine Räumung zu verhindern und politische Lösungen zu finden. Das Militär,
die Sicherheitskräfte und die ägyptischen Medien hatten die Ägypter
psychologisch auf einen Schlag gegen die Muslimbrüder und eine Beendigung
der Proteste vorbereitet.
## Europäer und Amerikaner spielen die „Putsch“-Karte
Der Besuch Ashtons und Westerwelles sollte dieses Moment brechen ebenso wie
die verklausulierten Äußerungen des US-Außenminister John Kerry. Erst warf
er den Generälen ein Zuckerbrot hin. Das Militär sei von Millionen Ägypter
aufgefordert worden, zu intervenieren, erklärte Kerry ganz im Sinne der
Militärführung. Um dann einen bemerkenswerten Satz hinzuzufügen. „Nach
allem, was wir wissen, hat das Militär bisher noch nicht die Macht
übernommen. Es gibt eine zivile Regierung.“ Die Betonung liegt auf dem Wort
„bisher“.
Genauso haben die Europäer die Ereignisse in Ägypten bisher nicht als
Militärputsch qualifiziert. Es ist die Karte, die Ashton, Westerwelle und
Burns gegen die ägyptische Militärführung in der Hand halten und die sie
drohen auszuspielen, sollte mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen
werden.
Burns und die Gesandten aus den Emiraten und Katar versuchen nun bei
Treffen mit Vertretern beider Seiten kleine vertrauensbildende Maßnahmen
auszuloten. Diskutiert wird, dass die Muslimbrüder versprechen, ihre
Proteste nicht auszuweiten, während gleichzeitig von jeder politischen
Justiz gegen die Muslimbrüder abgesehen wird.
## Hassfigur El-Baradei
Im liberalen Lager steht Muhammed El-Baradei an der vordersten
Verhandlungsfront. Dafür wird er von den Scharfmachern in den eigenen
Reihen seit ein paar Tagen in den Medien als zu kompromissbereit scharf
kritisiert. Gleichzeitig dient El-Baradei auch den Islamisten als
Hassfigur. Interessant ist jetzt zu beobachten, ob er von den Muslimbrüdern
langsam aus der Schusslinie genommen wird.
Doch viel schwerer wird es sein, tatsächlich einen Weg nach vorne zu
finden. Da ist das Problem der Rechenschaft. Wenn Mursi und die
Muslimbrüder rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, dann müsste das
Gleiche auch für die Militärführung gelten, für die getöteten Demonstranten
der letzten Wochen. Beides würde den Weg nach vorne aber verstellen.
Es gilt zweitens, das Legitimationsproblem zu lösen. Bisher bestehen die
Muslimbrüder darauf, dass der aus dem Präsidentenamt entfernte Mohammed
Mursi als einziger demokratisch gewählte Legitimität besitzt. Das Militär
argumentiert dagegen, dass es durch die Massendemonstrationen gegen Mursi
die Legitimität erhalten habe, Mursi abzusetzen.
Debattiert wird, ob Mursi freigelassen wird und seine Legitimität an einen
Premierminister übergibt, auf den sich alle Seiten zuvor geeinigt haben.
Denn auch in islamistischen Kreisen wird immer öfter unter der Hand
zugegeben, dass eine Rückkehr Mursis ins Präsidentenamt, gegen Armee und
Sicherheitsapparat und sabotiert von den staatlichen Institutionen, keine
praktikable Lösung darstellt.
## Muslimbrüder mit dem Rücken zu Wand
Und bei all dem besteht immer noch die Gefahr, dass der Verhandlungsprozess
jederzeit abgebrochen werden kann, mit dem Argument, man habe versucht
miteinander zu sprechen. Das Militär warnt jetzt schon, dass der
Verhandlungsprozess nicht zeitlich unbegrenzt sein kann.
Für die Geduld beider Seiten spricht allerdings, dass die Muslimbrüder mit
dem Rücken zur Wand stehen, aber auch die Militärführung sich mit ihrer
Idee, das Ganze gewaltsam lösen zu wollen, ebenfalls in eine Sackgasse
gebracht hat.
Eine wirkliche Lösung wird es am Ende nur geben, wenn der Militärchef und
wahre Machthaber des Landes, Abdel Fattah El-Sisi, sowie die jetzige
Führung der Muslimbrüder ägyptische Geschichte sind. Aber dafür muss
wahrscheinlich noch viel Wasser den Nil herunterfließen.
5 Aug 2013
## AUTOREN
Karim Gawhary
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