# taz.de -- Überwachung und Individuum: Misstrau mir! | |
> Die NSA-Spähaffäre hat gezeigt, wie der Staat die Kommunikation seiner | |
> Bürger überwacht. Was macht diese Verdachtskultur mit unserer Psyche? | |
Bild: Da muss doch was sein! Misstrauen | |
Für den Kanadier Saad Allami muss es eine Überraschung der unangenehmen Art | |
gewesen sein. Anfang 2011 wurde er festgenommen, sein Haus durchsucht, | |
Kollegen von ihm wurden festgehalten. Zuvor hatte er seinen Kollegen aus | |
einem Telekommunikationskonzern eine SMS geschrieben mit dem Wunsch, sie | |
würden die Konkurrenz bei der Präsentation wegsprengen – auf Französisch | |
„exploser“. | |
Dem Stadtsoziologen Andrej Holm von der Berliner Humboldt-Universität wurde | |
eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, weil | |
sich Begriffe in Bekennerschreiben mit denen in Holms wissenschaftlichen | |
Publikationen deckten. | |
Und der Baden-Württemberger Religionswissenschaftler Michael Blume geriet | |
von Kollegen, Journalisten und dem Verfassungsschutz unter | |
Islamismusverdacht, nachdem er für seine Magisterarbeit per Mail ein | |
Interview mit einem Islamisten führte. | |
Die Fälle haben – trotz der unterschiedlichen Folgen für die Betroffenen – | |
etwas gemeinsam: Es gab einen Verdacht, der auf das Kommunikationsverhalten | |
zurückging – und der sich als unbegründet erwies. Später natürlich, zu | |
spät, als der Schaden für die zu Unrecht Verdächtigten schon da war: die | |
öffentliche Reputation in Zweifel gezogen, die Wohnung von Ermittlern | |
verwüstet, Untersuchungshaft. | |
## Ein grundloser Verdacht | |
Es ist das Prinzip der anlasslosen Überwachung: Sie bringt permanent | |
Unschuldige in Verdacht, und je stärker und flächendeckender sie ist, desto | |
wahrscheinlicher sind solche Fälle. Folgen hat das nicht nur für die | |
Betroffenen und ihr Umfeld, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. | |
Denn Überwachung entfaltet ihre Effekte nicht erst dann, wenn die Homeland | |
Security vor der Tür steht oder der nette Herr in Uniform am Flughafen in | |
einen Nebenraum bittet. | |
„Wer weiß, dass er überwacht wird, entwickelt wohl als Erstes | |
Unsicherheit“, sagt Stephan Humer, Forschungsleiter im Bereich | |
Internetsoziologie an der Universität der Künste (UdK) Berlin. Das liege | |
daran, dass es ein Kräfteungleichgewicht zwischen Überwachten und | |
Überwachern gebe. „Der Überwachte weiß nicht, was genau passiert und welche | |
Informationen eventuell gegen einen verwandt werden. Das Zweite ist daher | |
eine Bereitschaft, das eigene Verhalten zu verändern.“ Es ist also paradox: | |
Überwachung, die eigentlich Sicherheit schaffen soll, verkehrt sich für das | |
einzelne Individuum ins Gegenteil – zu Unsicherheit. | |
Die Forschungsgruppe Evolution und Verhalten der britischen Universität von | |
Newcastle veranstaltete zum Thema gefühlte Überwachung einen kleinen, aber | |
sehr plastischen Versuch. Nichts Repräsentatives, einfach eine Idee, deren | |
Ergebnisse 2006 in der Fachzeitschrift Biology Letters veröffentlicht | |
wurden. | |
Die Wissenschaftler änderten im Wochenrhythmus die Dekoration ihrer | |
Kaffeeküche – eine Woche lang hing ein Blumenbild an der Wand, in der | |
nächsten Woche dann ein Bild von Augen, die den Betrachter anblicken. Immer | |
abwechselnd – Blumen, Augen – zehn Wochen lang. Parallel wurde das Geld in | |
der Kaffeekasse gezählt. | |
## Augenwochen und Blumenwochen | |
Das Ergebnis ist eine Zickzackkurve: In Augenwochen lag konstant mehr Geld | |
darin als in Blumenwochen, am meisten Geld in die Kasse brachten die weit | |
aufgerissene Augen eines männlichen Gesichts. 2010 zeigte ein weiterer | |
Versuch von Forschern an derselben Universität Ähnliches: Hing ein Poster | |
mit Augenmotiv an der Wand eines Cafés, räumten mehr Gäste ihr Geschirr weg | |
als bei einem Blumenposter. | |
„Es macht keinen Unterschied, ob tatsächlich eine wahrgenommene Überwachung | |
stattfindet oder ob jemand davon ausgeht, überwacht zu werden“, sagt Humer. | |
Das Panoptikum-Prinzip, nach dem etwa Gefangene jederzeit damit rechnen | |
müssen, beobachtet zu werden, weil sie den an einer zentralen Stelle | |
postierten Überwacher nicht sehen können, macht sich genau das zunutze. | |
Das Argument „Ich habe doch nichts zu verbergen“ ist jetzt, wo klar wird, | |
wie stark unsere Kommunikation überwacht ist, noch schwächer geworden. | |
Marion Albers, Professorin für Rechtstheorie an der Uni Hamburg, sagte | |
kürzlich in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin brandeins: „Jeder | |
hat zu irgendeinem Zeitpunkt gegenüber anderen Personen oder staatlichen | |
Stellen einmal etwas zu verbergen, auch Sie und ich.“ | |
## Irgendwas Verdächtiges gibt es immer | |
Die Frage ist also nicht mehr: Bin ich betroffen? Sondern: In welchem | |
Kontext bin ich betroffen? „Wenn man nur lange genug sucht, wird man bei | |
praktisch jedem ein verdächtiges Verhaltensmuster finden“, sagt Humer. | |
Dabei ist unklar, was tatsächlich als verdächtig gewertet wird. Natürlich, | |
sonst würden Täter ihr Verhalten anpassen, doch in der Praxis führt das zu | |
Willkür. | |
Das zeigen zahllose Berichte von Betroffenen, die auf der „No Fly“-Liste | |
der USA stehen und über die Ursachen dafür nur spekulieren können. | |
Vielleicht gibt es eine zufällige Namensgleichheit, vielleicht einen | |
Identitätsdiebstahl, möglicherweise ist auch nur irgendjemand beim | |
Übertragen von Daten in der Zeile verrutscht. | |
Mittlerweile kursiert unter Betroffenen der Tipp, seinen Namen zu ändern. | |
Das sei allemal einfacher, als sich von der Liste streichen zu lassen. Das | |
Prinzip, wonach jedem mutmaßlichen Täter erst einmal nachgewiesen werden | |
muss, dass er eine Tat begangen hat, eine Grundlage jedes Rechtsstaats, | |
dreht sich damit nun um. Denn jetzt muss der Verdächtigte beweisen, dass er | |
unschuldig ist. | |
Und das Vertrauen in die Algorithmen wird noch zunehmen. Zu Zeiten der RAF | |
siebte man aus allen Stromkunden die heraus, die ihre Rechnung in bar | |
bezahlten, und machte sich unter ihnen auf die Suche nach Terroristen. | |
Heute kann überraschend Besuch bekommen, wer seinen Kollegen eine | |
erfolgreiche Präsentation wünscht. „Man kann auch aus harmlosen Kommentaren | |
etwas konstruieren, das nicht harmlos ist“, sagt Nils Zurawski, der die | |
Vertretungsprofessur für Sicherheit, soziale Konflikte und Regulation an | |
der Universität Hamburg innehat. | |
## Ein potenzieller Terrorist | |
Die Zukunft ist etwa mit neuer Technik an Flughäfen absehbar. Geplant sind | |
Geräte, die anhand von Körperdaten der Passagiere, etwa Herzfrequenz, | |
Stimmhöhe und Atmung, feststellen sollen, wann jemand besonders nervös – | |
und damit ein potenzieller Terrorist ist. Alle, die unter Flugangst leiden, | |
dürften also wohl mit verstärkten Kontrollen rechnen. | |
„Je länger Menschen überwacht werden, desto mehr falsch positive Fälle gibt | |
es“, sagt Humer. Wenn man nur lange genug sucht, wird sich schon ein | |
vermeintlich verdächtiges Verhaltensmuster finden lassen. Ein Teufelskreis: | |
Wenn nichts gefunden wird, heißt es nur, dass man noch nicht genug gesucht | |
hat. | |
„Die Frage ist, warum gibt es überhaupt so eine Überwachung, das ist ja | |
eine Kultur des Verdachts“, sagt Zurawski. Wegen der Anschläge vom 11. | |
September 2001, wäre eine Antwort. Doch die Geschwindigkeit, in der danach | |
Überwachungskonzepte präsentiert wurden, legt nahe, dass diese schon eine | |
Weile in den Schubladen lagen. | |
Zurawski ist sicher: „Als Bürger stehen wir nicht mehr Risiken gegenüber – | |
wir sind selbst zum Risiko geworden.“ Nehme das Misstrauen weiter zu, werde | |
das zu einer Spaltung der Gesellschaft führen: Der misstrauende Staat gegen | |
die überwachten, ebenso misstrauischen Bürger. Die zum Schutz dann ihre | |
eigenen Mauern bauen. | |
18 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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