# taz.de -- Kommentar Online im Wahlkampf: Dialektik des Grauens | |
> Lange wurde von deutschen Parteien gefordert, das Netz müsse im Wahlkampf | |
> wichtiger werden. Nun zeigt sich: Diese pauschale Forderung war falsch. | |
Bild: Die totale Redundanz – jetzt auch online. Na danke | |
BERLIN taz | Danke, Internet. Hast du gut gemacht, dass CDU-Wahlplakate nun | |
via [1][„Merkel-App“ auch sprechen können.] Die Kanzlerin kommt ja dieser | |
Tage viel zu selten zu Wort. Danke, Twitter, dass [2][in TV-Talksendungen | |
zur Wahl] nun auch Anmerkungen von digitalen Hobby-Politologen verlesen | |
werden. Wird ja sonst zu wenig angemerkt in diesen Formaten. Danke, Google, | |
dass sich die Parteiprominenz [3][bei dir nochmal so richtig selbst | |
darstellen darf.] Sie hat ja sonst keinen Raum dafür. | |
Online ist im deutschen Wahlkampf des Jahres 2013 endlich angekommen. Und | |
wer ist Schuld daran, dass man Andrea Nahles, Claudia Roth, Rainer Brüderle | |
und Horst Seehofer nun gar nicht mehr entkommen kann? Wir selbst. Hohn und | |
Spott haben wir über Jahre auf Politik und Medien gekübelt, weil der | |
Wahlkampf in Deutschland stets so konventionell, so unfassbar offline | |
geführt wurde, während in den USA Facebook, Twitter und Youtube so | |
selbstverständlich genutzt wurden wie Radio und Fernsehen. Wir wollten das | |
hierzulande auch. | |
Die Social-Media-Tussis des ZDF erfüllen nun unsere Wünsche mit einer | |
Härte, die selbst Schwerverbrechern Angst einjagt. Wenn früher in | |
TV-Sendungen die locker eingeworfene Frage „Was sagt man im Netz?“ | |
auftauchte, schaltete man die Glotze einfach aus und ging online, um selbst | |
nachzusehen. | |
Das macht jetzt keinen Spaß mehr, weil dort gerade die Frage „Was sagt man | |
im TV?“ diskutiert wird. Der online-affine Wahlkampf sorgt für eine | |
Dialektik des Grauens ohne Entrinnen und ohne Synthese. Auf allen Kanälen | |
befeuern dieselben Nasen dasselbe Thema mit denselben Argumenten. Dabei | |
kommt niemand voran. Die Wahl 2013 ist ein multimedialer Kreisverkehr, in | |
dessen Zentrum ein Merkel-Wahlplakat auf Knopfdruck Phrasen absondert. | |
## Zu komplex für TV-Social-Media-Häppchen | |
Es gäbe vieles im Netz, was es in den Wahlkampf und in die | |
Wahlberichterstattung schaffen sollte, dort aber nicht ankommt. Politische | |
Blogs, die sich um Aktualitäts- und Längenbeschränkungen nicht kümmern | |
müssen, seien sie [4][konservativ], [5][liberal] oder [6][links]; Stil- und | |
Ästhetikkritik in Audio- und Videofiles; sogar so mancher Leserkommentar | |
mit 500 Zeichen hat zur Politik mehr zu sagen als Peer Steinbrück in 90 | |
Minuten Kanzlerduell. | |
Vor allem aber könnten einige im Netz viel beitragen zu einem Thema, das im | |
Wahlkampf so abwesend ist wie sonst nur sozialdemokratische Politik in der | |
SPD: Überwachung und Datenspionage. | |
Es mag am riesigen Umfang und an der Komplexität der Überwachung liegen, | |
dass die vielen guten Analysen und Kommentare im Netz fürs Social-Media-TV | |
nicht als häppchenkompatibel erachtet werden. Es mag daran liegen, dass | |
Staat und Politik, die die Datenspitzelei mitzuverantworten haben, bei den | |
Öffentlich-Rechtlichen mitmischen. Wahrscheinlicher aber ist, dass | |
Fernsehen und Politik sehr wohl begriffen haben, dass Überwachung den | |
meisten Wählern schlicht egal ist. | |
## Wir wollen lieber nicht | |
So gesehen sind wir ganz gut bedient mit dem Wahlkampf des Jahres 2013 | |
inklusive Online-Verballhornung und medialem Kreisverkehr. Daraus kann man | |
lernen und dort, wo künftig wieder einmal die unselige Forderung nach mehr | |
„Internet“ im Wahlkampf laut wird, vehement widersprechen: Nein, wollen wir | |
nicht. | |
Es braucht für 2017 keine digitale Innovation der Union („Von-der-Leyen-App | |
zur Erfassung von Augenbewegungen“), keine Kooperation von Apple und SPD | |
beim Fingerabdruckscanner, um auch via Smartphone wählen zu können, keine | |
Datenbrille mit liberalem Antlitz, kein „echtes soziales Netzwerk“ der | |
Linken und auch keinen grünen „Bewegungssensor“. | |
Mehr Online im Wahlkampf war mal eine gute Idee. Viel Gutes ist dabei | |
bislang nicht rausgekommen. Das Niveau ist derzeit eher nach unten als nach | |
oben offen. Weniger kann auch mehr sein. An bunten Luftballons erfreuen | |
sich wenigstens die Kinder. | |
13 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] /CDU-startet-die-Merkel-App/!122853/ | |
[2] /TV-Formate-zum-Wahlkampf/!123427/ | |
[3] http://www.google.de/elections/ed/de | |
[4] http://www.sprengsatz.de | |
[5] http://liberalesinstitut.wordpress.com/ | |
[6] http://www.lafontaines-linke.de/ | |
## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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