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# taz.de -- Sachbuch über Frauenbeine: Die Hosen des Herakles
> Für Kleiderraub und Kleiderlust: Die Romanistin Barbara Vinken räsoniert
> über die Mode als Fremdkörper in der Moderne und die Beine der Frau.
Bild: Sind die Beine der Frauen wirklich ihr Mittel zur Macht?
BERLIN taz | Ihr Blick fällt von oben auf die Szene. „Manhattan im März.
Ich sehe aus dem Fenster auf den Washington Square.“ Morgens um neun sieht
die Beobachterin, die Romanistikprofessorin Barbara Vinken, Studenten auf
dem Weg zur Uni, sieht die Doormen in ihren Arbeitsuniformen, die sich „um
Straße und Vorgärten kümmern“. Ihr Blick streift Männer im vornehmlich
schmal geschnittenem Anzug und entschuldigt zu dieser frühen Stunde das
Fehlen der „Jungs im Gangster-Style“.
Zu sehen gibt es für die Dame am Fenster, eine der gelehrtesten und
selbstbewusstesten Beobachterinnen, die sich denken lassen, ohnehin
Wichtigeres, ja Sensationelles im Grunde. Eine neue Silhouette ist
auszumachen. Für ein Buch über Mode heißt das Alarmstufe rot.
Es sind die Beine. Endlos lange Beine. Beine „in Leggings oder engen
Hosen“, „in blickdichten Strümpfen“, „in Shorts und sehr kurzen Röcke…
Barbara Vinken wird eine These zu diesen Beinen wagen, und diese These
wird, zumal in einer Zeit, da die modische Selbstinszenierung von Frauen
nicht selten unter Aspekten der Spießigkeit oder, eng verwandt damit, als
spätkapitalistische Vernuttung beschrieben wird, so spektakulär wie
angreifbar sein: Frauen, das ist die These, tragen seit ungefähr zehn
Jahren Beine wie nie zuvor in der Geschichte.
Neue Beine. Beine, die weit ausschreiten. Beine mit Sex und Esprit, die
eben gerade nicht einer Lolita gehören. Man wird zustimmen, dass ein Buch
über die Geschichte der Mode nicht optimistischer hätte beginnen können.
Damit man die Raffinesse dieser These nur gleich richtig versteht: Hier
handelt es sich nicht um simplen feministischen Fortschrittsglauben. Es
geht nicht darum, diese vermeintlich neuen Beine der Frau in Anspruch zu
nehmen. Eher widmet sich dieses kluge wie eitle Buch dem Vergnügen.
Bereits der doppeldeutige Titel „Angezogen“ weist die Spur. So zieht man
sich ja nicht einfach nur ein Paar Hosen an. Man ist auch nicht einfach
angezogen, im Sinne von gewappnet für eine Familienfeier oder ein
Bewerbungsgespräch. Nein, man ist ebenso angezogen wie betört und
hingerissen. Die Mode ist eine Verführerin, eine skandalöse Macht, vor
allem aber eine Lust, wenn man sie, und das tut Barbara Vinken, als ein
Anderes der Moderne denkt.
## Das erste Fashion Victim
Dazu wendet sich die Kennerin der französischen Kultur und Geschichte
zurück zum „Großen Bruch“. Zur Französischen Revolution als dem Moment, …
dem der Körper der Moderne unter heftigen Schmerzen geboren wird und sich
die Inszenierung der Männer als der Bürger par excellence den Anzug zu
ihrer staatstragenden Form erwählt, womit die bis dahin dem Verhüllen und
ständischen Repräsentieren dienende Frauenmode nun zum Sinnbild der Mode
wird.
Die Mode gilt mit dem Beginn der Moderne als weiblich, und Barbara Vinken
zeigt uns in einem furiosen Kapitel, wie noch die Marie Antoinette des
Ancien Régime ihr erstes Fashion Victim wurde.
Die Königin düpierte durch ihre Lust an der Mode zugleich den Hof und das
Volk und bahnte „als Modekönigin“ auf diese Weise „der Königin Frankrei…
den Weg zum Schafott“. „Erst nachdem es keine Königinnen mehr gab – und
auch sonst alle Frauen aus Machtpositionen verdrängt waren, die die Männer
jetzt republikanisch unter sich verteilten“, schreibt Vinken, „konnte Marie
Antoinette als Königin der Mode gefeiert werden.“
Der Machtverlust wäre demnach die Voraussetzung für die legitime
Beschäftigung mit Mode. Die Macht hat Wichtigeres zu tun, als ihre Potenz
an modische Launen zu verschwenden. Sie verschluckt den einzelnen
Männerkörper und bindet ihn an einen bürgerlichen Dresscode. Die Kapricen,
diese im Sinne der Macht überhaupt lächerliche Besorgtheit um Stoffe und
Farben, um Faltenwurf und die Nacktheit unter der Seide überlässt die Macht
den Frauen, den Dandys, den Schwulen. Kurz, den Unterlegenen und ihren
sinnlichen, hinfälligen Körpern.
Knapp gefasst ist es der Kampf „Anzug gegen Kleid“: englische
Schneiderkunst gegen französische Haute Couture. Perfekter Schnitt gegen
frivole Arabeske. Die Geschichte der modernen Mode, diejenige jedenfalls,
die vom „kleinen Unterschied“ und nicht vom „feinen Unterschied“ erzäh…
deutet die weibliche Mode als Feld, auf dem vor allem eines, nämlich
Aufklärung nötig ist.
Die in diesem Sinne historisch markanten Lektionen heißen: Mantel. Sie
heißen: Hose und Pullover. Und sie alle schwören auf das männliche Vorbild,
auf die sportliche Bewegung und den straffen Körper der Tüchtigkeit. Coco
Chanel leistete in diesem Sinne Unschätzbares. Insbesondere schenkt sie der
Frau ein Kleid, das die Welt „das kleine Schwarze“ nennt.
Eine Uniform im Grunde, und Alexander McQueen, der bei Barbara Vinken
ebenso glanzvoll vorkommt wie die österreichische Königin Frankreichs,
hasste es. In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN bekannte er
übrigens, alles ihm Mögliche gegen dieses Kleid unternehmen zu wollen. Er
bestand darauf, dass die Geschichte und ihre (verwundeten) Körper in der
Mode sichtbar werden.
Exakt diese Perspektive teilt Barbara Vinken, und sie tut es, könnte man
sagen: im luxurierenden Stil einer Haute Couture der Kunstgeschichte und in
offenkundiger Polemik zur New Yorker Kunst- und Modehistorikerin Anne
Hollander, die 1995 mit dem Buch „Anzug und Eros“ die Modernität des Anzugs
als Aufklärungsideal der Mode gepriesen hat.
## Der Anzug als Fiasko
Für Vinken ist das vollkommen anders: Gähnende Langeweile, tödliche
Anpassung findet sie (zusammen mit Hegel) in den Anzugfalten. Ein Fiasko
ist ihr diese Passform der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Körperkäfig, in
dem die Männer (nach einem Begriff des englischen Psychoanalytikers John
Carl Flügel) den „großen Verzicht“ ihrer Sinnlichkeit erleiden. Die
Fähigkeit zur Verwandlung, zur Körperlichkeit bleibt der weiblichen Mode.
Nur sie allein ist fähig zur Subversion.
Das beste Beispiel sind die neuen Beine der Frau. Ein Clou. Denn sie kommen
gerade nicht aus der Moderne, und sie stammen von den Männern ab, aus der
Zeit vor dem „Großen Verzicht“. Aus der Zeit zwischen dem 15. und 18.
Jahrhundert, als, wie Vinken schreibt, „die Männer das schöne Geschlecht
waren“.
Die Ironie ist schlagend: Indem Frauen die Beine der Männer zitieren, indem
sie sich die Strumpfhosen-Beine der Renaissance-Gemälde in einer
„Übersetzungsleistung“ in ihre eigene Mode herüberholen, greifen sie nicht
nur nach Schönheit, sondern auch nach Macht. Es sind die Beine einer
Siegerin. Einer Herrscherin.
Und man darf vermuten, Barbara Vinken hege Sympathie für die despotische
Signatur dieser Geste der Revanche, für diese lustvoll-ironische Rache an
allen Versuchen der Domestizierung. Ist die Mode doch „ein eigenartiger,
manchmal als bedrohlich empfundener, manchmal heiß geliebter, meistens
belächelter Fremdkörper im Herzen der Moderne“.
Eine Liebeserklärung an diesen Fremdkörper müsste man also Barbara Vinkens
Modegeschichtsbuch nennen, würde das Wort „Liebeserklärung“ nicht
entschieden zu bieder anmuten, um es diesem Text ans stolze Herz zu legen.
Es schlägt für den „Kleiderraub“, für die „Kleiderlust“.
Kein modisches Wesen, schreibt Vinken, wolle im Augenblick ohne boyfriend
pants erwischt werden. Der Leser zuckt zusammen. Ob die Behauptung stimmt?
Ob die Mädchen auf dem Washington Square etwas über die Kühnheit der
eigenen Beine ahnen? Das Buch gibt keine Rechenschaft über die schnöde
Empirie, und ehrlich gesagt, es wäre auch unerheblich.
Die Interpretation ist zu anmutig, um ihr widersprechen zu wollen. Sie ist
anschmiegsam gegenüber dem schönen Fremdkörper Mode, mimetisch. Am Schluss
glaubt sie sogar, an den mythischen „Nabel der Mode“ selbst zu führen. Dort
trifft sie die Königin Omphale und ihren Liebessklaven Herakles beim
erotischen Kleidertausch. Der Halbgott, sonst an den Kampf gegen Bestien
gewöhnt, genießt den Luxus weiblicher Mode. Omphale, im Löwenfell des
Helden, genießt die Macht.
25 Sep 2013
## AUTOREN
Elisabeth Wagner
## TAGS
Frauen
Mode
Kleidung
Mode
Alexander Kluge
Menschen
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