# taz.de -- Modedesigner über Politik und Wahlen: „Es sind nicht alle so sta… | |
> Harald Glööckler vermisst Typen in der Politik. Der Designer über Merkel | |
> und Steinbrück, soziale Gerechtigkeit und Leistung. | |
Bild: In der Politik leuchtet nur Gregor Gysi, findet Harald Glööckler. Hier … | |
taz: Herr Glööckler, Sie wohnen in Berlin-Mitte, Friedrichstraße Ecke unter | |
den Linden. Wissen Sie eigentlich, wo Ihr Wahllokal ist? | |
Harald Glööckler: Nein, das ist auch nicht vonnöten, weil ich Briefwahl | |
beantragt habe. Jetzt dachten Sie, dass Sie mich kriegen, was? | |
Ein Versuch war es wert. Haben Sie schon gewählt? | |
Nein. Ich befinde mich in einem großen Gewissenskonflikt. Eigentlich bin | |
ich der Meinung, man sollte wählen gehen, sonst braucht man später auch | |
nicht meckern. Aber jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem man | |
nicht mehr weiß, wen man wählen soll, weil es völlig gleich ist, wen man | |
wählt. Ich trauere sehr einer Zeit nach, in der wir politische | |
Persönlichkeiten hatten, wie Franz-Josef Strauß, Herbert Wehner, Willy | |
Brandt. Die hatten ein Profil, eine Einstellung, egal wie man die Menschen | |
im Einzelnen fand. Heute ist alles dasselbe. | |
Haben Sie eine Erklärung dafür? | |
Die Frage ist, wie viel Macht die Politik überhaupt noch hat. Ist es nicht | |
egal, wer vorne dran ist? Die Strippenzieher sind immer dieselben. Das ist | |
für mich frustrierend. | |
Können Sie das präzisieren? | |
Seit sieben, acht Jahren ändert sich nichts in Sachen Kinderarmut. Fast | |
drei Millionen Kinder leben unter der Armutsgrenze. Nur in Wahlkämpfen | |
sagen die Politiker, dass man sich um Kinder kümmern muss. Toll. Für Banken | |
gibt es Rettungsschirme. Immer wieder. Für Kinder gibt es keine | |
Rettungsschirme. Die Umverteilung geht ja nur zu Lasten der Bürger, die | |
müssen das am Ende bezahlen. Es gibt da einen schönen Spruch von Marx, | |
jetzt fällt er mir gerade nicht ein … | |
… „Kapital ist geronnene Arbeit“ … | |
… nein, ich hab’s … ’Gewinne werden privatisiert, Verluste werden | |
sozialisiert‘. Das frustriert mich schon sehr. | |
Sie prangern an, dass Banken gerettet werden... | |
… nein, ich prangere an, dass Kindern nicht geholfen wird. | |
Die Linkspartei hat bei der Finanzkrise ja deutlich abweichende Meinungen. | |
Verstaatlichung von Banken und so weiter ... | |
… ja, aber unterm Strich glaube ich, dass auch die nichts verändern können. | |
Die Personen verändern sich, wenn sie an die Macht kommen. Ich will Ihnen | |
keinen Namen sagen, aber viele Politiker haben sich extrem verändert. | |
Viele, die früher gegen Kapitalismus gewettert haben, sind heute dessen | |
größte Fans. Ich habe große Probleme, eine Partei zu finden, die mich | |
vertritt. | |
Sie sagten gerade, es fehle an Typen in der Politik... | |
….ich finde übrigens, Frau Merkel und Herr Steinbrück unterscheiden sich | |
nicht merklich. Wer wirklich Esprit und Witz hat, ist ja Herr Gysi. Der | |
kommt auch auf dem Plakat gut rüber, als wäre er in der Sommerfrische | |
gewesen. Steinbrück sieht auf den Wahlplakaten leider aus, als hätte man | |
ihn mumifiziert. | |
Brauchen Politiker einen Markenkern? | |
Sie müssen Ecken und Kanten haben, klare Ansichten, die sie vertreten. Das | |
lieben die Menschen an Herrn Glööckler. Die müssen nicht immer mögen, was | |
ich sage, aber keiner mag Menschen, die immer mit dem Wind reden. | |
Glauben Sie, dass Frau Merkel auch von sich in der dritten Person spricht? | |
Also ich differenziere zwischen Herrn Glööckler und mir. Das muss ich auch. | |
Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch Frau Merkel macht. | |
Wie definiert Frau Merkel wohl die Bundeskanzlerin, das ist doch auch eine | |
Art Kunstfigur. | |
Klar. Sie macht ja manche Dinge auch sehr clever. Sie hat es geschafft, | |
dass man ihr völlig vertraut hat. Früher dachte ich, der könntest du einen | |
Geldbeutel in die Hand drücken, die würde keinen Cent rausnehmen. | |
Heute nicht mehr? | |
Naja, nach der Griechenland-Sache weiß ich nicht mehr so recht. Da ist | |
schon Unsicherheit. Ich würde wohl die Kreditkarten rausnehmen. | |
Was ist soziale Gerechtigkeit? | |
Schwieriges Thema. Wenn Sie morgen das ganze Geld der Welt umverteilen | |
würden, wäre es in zwei Jahren wieder am gleichen Punkt. Es gibt Menschen, | |
die in Sachen Geld einfach kein Glück haben. Es zerrinnt ihnen in den | |
Händen. Um mehr haben zu wollen, müssen sie mehr leisten. Müssen mehr | |
arbeiten. Ich definiere mich als Arbeiter – ich möchte aber auch nicht mehr | |
arm sein. | |
Waren Sie arm? | |
Ja, deshalb kann ich mitfühlen. Es sind nicht alle so stark wie Herr | |
Glööckler und boxen sich durch. Es gibt heute Menschen, die ihr Leben lang | |
gearbeitet haben, Ältere, und die dann ganz wenig Rente bekommen … | |
Ist Hartz IV gerecht? | |
Es ist schlimm, dass es Hartz IV überhaupt geben muss. | |
Sind Sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen? 1000 Euro für alle. | |
Nein. Ich finde es eigentlich entsetzlich, dass nicht jeder in der Lage | |
ist, sich selbst zu ernähren. Ich stelle es mir schrecklich vor, Hartz IV | |
zu bekommen. Du hast ja keine Wertschätzung, keine Bestätigung deiner | |
selbst. Wir müssen gucken, dass Menschen eine Beschäftigung bekommen. Das | |
wäre das Optimale. Und jeder der etwas bekommt, sollte irgendetwas auch | |
zurückgeben. | |
Sie versteuern Ihre Einnahmen komplett in Deutschland. Wären Sie bereit, | |
noch mehr Steuern zu zahlen? | |
Ich zahle schon genug. Ich kann mich nicht beklagen. Aber ich habe die | |
Einstellung, wenn ich mehr bezahlen muss, dann muss ich mehr bezahlen. Dann | |
muss ich eben mehr verdienen. Das ist also nicht wahlentscheidend für mich, | |
welche Partei wie viel Steuern fordert. Ich habe kein Mangeldenken. Ich | |
komme aus schwierigen Verhältnissen. Vater Alkoholiker, gewalttätig, Mutter | |
tot. Entweder du gehst den gleichen Weg oder du schaffst es, deinen eigenen | |
zu gehen. | |
Und was war das für ein Weg? | |
Vom Dorf bis hierher in die Friedrichstraße, das ist ein langer Weg gewesen | |
– und ich habe dem Staat nie auf der Tasche gelegen. Man muss zuerst | |
leisten, dann bekommt man auch was. | |
Sie sprechen sehr viel von „Leistung“ ... | |
Das ist das Wichtigste im Leben. | |
Aber was ist denn Leistung. Nur, was Geld einbringt? | |
Nein. Aber es geht um Visionen. Ich habe zum Beispiel eine Vision | |
erschaffen. Dieser junge Mann hat beschlossen, die Welt zu verändern, indem | |
er alle Frauen schön macht. Mit sechs Jahren habe ich natürlich gedacht, | |
ich verschenke die Kleider dann … | |
Wenn Sie Kinder hätten, was würden Sie ihnen für Werte mitgeben? | |
Ich würde als Erstes sagen, überlege dir immer gut bevor du dein Wort | |
gibst, weil dann musst du es auch halten. Dann, dass sie immer höflich | |
sind. Ich wurde so erzogen. Wir hatten ein Gasthaus. Wir mussten jedem | |
guten Tag sagen, singen, Pfötchen geben. Das prägt. Wir hatten Angestellte, | |
da mussten wir sehr nett sein. Wehe wir waren einmal frech, da hat es | |
sofort gerappelt. Als Kind hatten wir ruhig zu sein am Tisch. Man muss | |
einem Kind Sicherheit geben, und eine gewisse Freiheit. Es muss aber | |
wissen, in welchem Rahmen es sich bewegen darf. Ansonsten würde ich ihm | |
Loyalität, Zuverlässigkeit und Integrität mitgeben. | |
Ganz traditionelle Werte also ... | |
… natürlich traditionell. Das kann ja nicht verkehrt sein … | |
... keine antiautoritäre Erziehung. | |
Ganz furchtbar. Ganz verkehrt. Bei antiautoritären Erziehungen gibt man den | |
Kindern ja oft keinen Halt und unterminiert die Persönlichkeit, indem man | |
ihnen den eigenen Lebensstil aufdrückt. Vielleicht will das Kind ja | |
autoritäre Erziehung, in geordnetem Gefüge leben? Jedes Kind ist eine | |
eigenständige Persönlichkeit, die man nicht zerstören darf. Wenn es | |
schlecht läuft, kannst du ein Leben lang gucken, wie du das wieder | |
loswirst, was du als Kind aufgedrängt bekommen hast. | |
Sind Sie frei? | |
Ziemlich. Ich habe mich ja nicht so sehr prägen lassen. Ich bin mit sechs | |
Jahren ausgestiegen in meine eigene Welt. Ich war ein sehr ruhiges, nettes | |
Kind, fiel nicht auf. So war ich aus der Schusslinie. Konnte mein Ding | |
machen. Das war gut. | |
Sollten zwei Männer, oder zwei Frauen, Kinder adoptieren? | |
Sie sollten es dürfen. Ich bin nicht dafür, dass der Staat alles verbietet. | |
Ich würde es aber nicht machen. Auch hier bin ich sehr konservativ. Ich | |
finde es nicht optimal für Kinder. Weil Männer anders ticken als Frauen. | |
Die Kinder brauchen diese beiden Pole. | |
Angela Merkel findet das auch nicht gut – und wohnt ja im gleichen Kiez wie | |
Sie, hat womöglich das gleiche Wahllokal ... | |
Da bitte ich um Differenzierung. Ich bin dafür, dass gleichgeschlechtliche | |
Partner Kinder adoptieren dürfen, ich würde die Möglichkeit nur für mich | |
nicht in Anspruch nehmen wollen. | |
Ist Glamour in der Politik eher schädlich. Wenn wir an die Wulffs denken | |
... | |
… hatten die wirklich Glamour? | |
... sie hatte ein Tattoo. | |
Nein, das war kein Glamour. Die Weizsäckers, die hatten Glamour, das war | |
eine Klasse für sich. | |
Wer leuchtet denn im Politbetrieb wenigstens ansatzweise? | |
Na Herr Gysi, der leuchtet. Sonst gab es noch Hildegard Hamm-Brücher. In | |
Deutschland ist das schwierig, da leuchten nicht so viele. Wer wenigstens | |
einen gewissen Glanz versprüht hat, war das Ehepaar Stoiber. Das lag an der | |
bayerischen Pracht. Das war ein bisschen wie Amerika. Nancy Reagan war | |
glamourös. Aber der Glamour soll nicht der ausschlaggebende Punkt sein. | |
Sonst können wir gleich Herrn Glööckler als Bundespräsidenten wählen. | |
22 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Paul Wrusch | |
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