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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Armut im Ökoparadies
> Die Grünen wollen soziale Gerechtigkeit und die Rettung der Umwelt. Beide
> Ziele miteinander in Einklang zu bringen, fällt ihnen schwer.
Bild: Verschneite Solaranlagen: Umweltschutz versus soziale Kälte.
Wenn nicht alles täuscht, begehen Teile der Grünen bei ihrer Neuaufstellung
einen folgenschweren Fehler. Was wie Anbiederei bei einer angeblich sozial
verantwortlichen Mittelschicht wirkt, verweist auf ein grundsätzliches
Problem. Viel ist derzeit die Rede davon, an die Stelle bloßer
„Verteilungsgerechtigkeit“ wieder die „Generationengerechtigkeit“ zu
setzen.
Zunächst gilt, dass es bei der „Gerechtigkeit“ immer um Zu- oder
Verteilungen geht, um faire Regeln für die Verteilung von Gütern oder
Übeln. Das gilt für die „Generationengerechtigkeit“ ebenso wie für
„Verteilungsgerechtigkeit“.
„Generationengerechtigkeit“ zielt darauf, so zu wirtschaften, dass künftige
Generationen auf keinen Fall über weniger überlebensnotwendige
Umweltressourcen verfügen als die gegenwärtig lebende Generation. Dass die
Umsetzung dieses Ziels nicht nur Gesetze, sondern auch finanzielle Mittel
des Staates erheischt, dürfte ebenso unstrittig sein wie der Umstand, dass
die dazu erforderlichen Mittel aus Steuern zu erheben sind. Steuern aber
müssen, auch aus Gründen der „Generationengerechtigkeit“ in der Gegenwart
und nicht – über Verschuldung – in der Zukunft eingezogen werden und sind
daher ein Fall von: „Verteilungsgerechtigkeit“.
Weiterhin gilt, dass wesentliche Güter – Einkommen, Bildung, Gesundheit,
Wohnungen – sowie soziale Chancen derzeit unfair verteilt sind; dass
Deutschland eine Klassengesellschaft ist, wird niemand bestreiten. Dann
aber stellt sich die Frage, ob es fair ist, die Ungerechtigkeit
gegenwärtiger Verteilungsverhältnisse hinzunehmen, um die nur schwer
reproduzierbaren Umweltressourcen wenigstens nicht schrumpfen zu lassen.
Darauf zielt die „Energiewende“ oder die „ökologische Modernisierung“ …
in seinen sozialen Dimensionen völlig ungeklärter Begriff.
##
Um das theoretische Problem zu verdeutlichen, sei ein Gedankenexperiment,
ich nenne es das „olympische“, angestellt: Die indogermanische Mythologie
wähnte ihre Götter, bei den Griechen die Olympier, bei den Germanen die
Asen, fernab vom Leben der Menschen auf luftigen Höhen – so lange, bis ein
Weltenbrand ihren Glanz zunichte machen wird. Was das mit den Grünen zu tun
hat?
Man kann sich widerspruchsfrei eine kapitalistische Gesellschaft
vorstellen, in der viele, gewiss nicht alle Kinder acht Stunden arbeiten,
die Löhne niedrig sind und die Arbeitswoche sechs Tage beträgt – all das
bei zunehmend reiner Luft, sauberem Wasser und teuren, biologisch erzeugten
Nahrungsmitteln, deren sich vor allem Mittel- und Oberschichten erfreuen.
Diese auf den ersten Blick „generationengerechte“, ökologisch reformierte
Gesellschaft aber würde sich selbst widersprechen: wäre doch gerade sie
durch Verstöße gegen das Prinzip der „Generationengerechtigkeit“ geprägt.
Und zwar deshalb, weil es einem Teil der „künftigen Generationen“ – wenn
sie den Armen angehören – in sozialer Hinsicht schlecht, wenn nicht
schlechter als zuvor ginge.
Es mag ja sein, dass schlecht bezahlte, prekäre Arbeiten bei guter Luft und
mildem Klima eher zu ertragen sind als bei Hitze und Dreck, indes: Kann das
darüber hinwegtrösten, dass Wohnungen schäbig und klein, Schulen
unterfinanziert und gesunde Mahlzeiten nicht bezahlbar sind?
##
Der rechte Flügel der Grünen wird auf derlei Einwände entgegnen, dass es
doch nur um Akzentsetzungen gehe gegenüber SPD und Linken, die sich schon
um Umverteilung bemühten.
Aber bei allem Verständnis für Strategien, die angeblich sozial
verantwortlichen, bei möglichen Steuererhöhungen wie ein scheues Wild
fliehenden Mittelschichten und „die Wirtschaft“ an sich zu binden, gilt
doch, dass sie bei einer modernisierten CDU objektiv (!) besser aufgehoben
sind.
Die Debatte wäre verschenkt, ginge es um wahlstrategische Akzentsetzungen.
Wenn überhaupt ein programmatischer Neuanfang der Grünen möglich sein soll,
dann nur so, dass grundsätzlich – und fern jeder Taktik – geklärt wird, w…
eine angemessene Vermittlung von horizontaler Verteilungsgerechtigkeit und
vertikaler Generationengerechtigkeit national, europäisch und global zu
denken ist. Für die Klärung dieser Frage sind vier Jahre Opposition im
Bundestag eher knapp bemessen.
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1 Oct 2013
## AUTOREN
Micha Brumlik
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Politik
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Judentum
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Bündnis 90/Die Grünen
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