# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Die Schlachtfelder des Messianismus | |
> Von der Geschichte der Juden und der Politik ihrer Auslegung. Oder: Warum | |
> ultraorthodoxe Juden die Al-Quds-Demo anführen. | |
Bild: Für ihn hängt die Existenz Israels vom Messias ab, für andere von der … | |
Wer verstehen will, wie es möglich war, dass an der Spitze der juden- und | |
israelfeindlichen Al-Quds-Demonstration in Berlin am 25. Juli zwei | |
ultraorthodoxe jüdische Männer marschierten, kommt um einen genaueren Blick | |
auf die Geschichte der Juden nicht umhin. | |
An diesem Dienstag, begehen fromme Juden in aller Welt den Trauertag Tischa | |
be Aw, den neunten Tag des Monats Aw, der am Montagabend nach | |
Sonnenuntergang angefangen hat. Dieser Trauer- und Fastentag gilt einem | |
Ereignis, das vor etwas weniger als zweitausend Jahren in der am östlichen | |
Rand des Mittelmeers damals noch Judäa genannten römischen Provinz | |
stattgefunden hat. | |
Im Jahr 70 zerstörten die Legionen des kaiserlichen Feldherren Titus nicht | |
nur Jerusalem, sondern auch dessen zentrales Heiligtum, den etwa | |
sechshundert Jahre zuvor errichteten Tempel, der zur augustäischen Zeit von | |
dem aus der Weihnachtsgeschichte bekannten Gewaltherrscher Herodes zu einem | |
Prachtbau erweitert worden war. | |
Über diese Ereignisse sind wir von dem römisch-jüdischen Historiker | |
Josephus, einem Zeitzeugen, bestens informiert: er hat in seinem Buch über | |
den „Jüdischen Krieg“ genau nachgezeichnet, wie der „antiimperialistisch… | |
Aufstand jüdischer Nationalisten gegen Rom schließlich ins Desaster führte. | |
Einer der bekanntesten Schriftsteller der Weimarer Republik, Lion | |
Feuchtwanger, hat diesem Geschehen übrigens eine bestens lesbare, spannende | |
Romantrilogie gewidmet. | |
## Aufstand gegen Rom | |
Die jüdische Überlieferung berichtet, dass die dem Tempeldienst skeptisch | |
gegenüber stehenden Schriftgelehrten – aus den Evangelien als „Pharisäer�… | |
bekannt – den nationalistischen Aufstand ablehnten und die Stadt noch | |
während der römischen Belagerung verließen, um vom römischen Feldherrn eine | |
Kleinstadt als Ort einer gelehrten Akademie zu erbitten. Die Bitte wurde | |
erfüllt, das rabbinische Judentum geboren. | |
Bedeutsam ist zudem, dass schon während des Jüdischen Krieges die Mehrzahl | |
der Juden gar nicht im Land Israel, sondern diasporisch an den Rändern des | |
Mittelmeers lebte: von den griechischen Inseln bis weit nach Ägypten, nach | |
Alexandria hinein. Zudem: in Babylon, im heutigen Irak, existierte seit | |
Jahrhunderten unter persischer Herrschaft eine große jüdische Minderheit, | |
die sich durch eine bedeutende Gelehrtenaristokratie auszeichnete. | |
Wie – und das war das politisch-theologische Problem, das diese Gelehrten | |
in Babylonien und im Land Israel umtrieb – war die Zerstörung des | |
jüdischen, keineswegs souveränen Staates durch die Römer zu deuten? Und vor | |
allem: welche Konsequenzen waren aus diesem Ereignis zu ziehen? In der | |
Tradition prophetischen Mahnens und Warnens deuteten die meisten den | |
Untergang des judäischen Staates als Strafe Gottes. | |
Gleichwohl war ein Teil der Meinung, dass ein gottgefälligeres Leben führt, | |
wer – und sei es unter römischer Herrschaft – im damaligen Palästina lebt… | |
Übrigens: Bis zum zweiten, gescheiterten jüdischen Aufstand im Jahre 135 | |
war der Name der Provinz „Judäa“ – erst danach benannten die Römer diese | |
Provinz in „Palästina“ um. Jesus z. B. war also ein Judäer, mit Sicherheit | |
kein Palästinenser. | |
Andere Rabbinen, vor allem jene, die im fernen Babylon wirkten, wollten es | |
alleine Gott und dem dereinst gesandten Erlöser, dem Messias, vorbehalten | |
sein lassen, das Volk Israel wieder ins Land Israel zu führen. In genau | |
dieser Tradition stehen die jüdischen Anführer der Al-Quds-Demonstration, | |
Mitglieder vor allem in den USA und in Jerusalem lebender Sekten, die | |
ebenso fundamentalistisch gegen einen jüdischen Staat sind, wie jene im | |
Westjordanland siedelnden Juden fundamentalistisch daran glauben, dass nur | |
die Besiedlung des Landes die Erlösung bringen wird. Sie beziehen sich | |
jedoch nicht – wie die jüdischen Antizionisten – auf die talmudische | |
Überlieferung, sondern auf die Eroberungsgeschichten aus den fünf Büchern | |
Moses und dem Buch Josua. | |
## Die List der Vernunft | |
Der Zionismus, ursprünglich eine ganz und gar säkulare Idee, um dem | |
europäischen Judenhass etwas entgegenzusetzen, wurde im zweiten Drittel des | |
20. Jahrhundert theologisch gedeutet: ein bedeutender, in Palästina | |
wirkender Rabbi, Raw Kuk, war – von der Lektüre Hegels beeinflusst – davon | |
überzeugt, dass die vermeintliche Paradoxie der Besiedlung des Landes | |
Israel durch atheistische Sozialisten Teil eines noch nicht verstandenen | |
messianischen Geschehens sei. List der Vernunft! | |
Dagegen standen und stehen andere jüdische Fundamentalisten, die – man mag | |
es kaum glauben – den Holocaust als Strafe Gottes an der Selbstermächtigung | |
der Juden in Liberalismus und Zionismus deuteten. | |
Klug und menschenfreundlich dürfte sich daher auch in der Politik | |
verhalten, wer das fundamentalistische Schlachtfeld räumt und sich an Woody | |
Allens skeptisch modifizierten Messianismus hält: Ja, so sagte er einmal, | |
den Propheten Jesaja zitierend, ja einmal wird das Lamm neben dem Wolf | |
weiden, gleichwohl: auch dann wird das Lamm nicht besonders gut schlafen. | |
6 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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