| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Trauer nach dem bösen Brechen | |
| > Ja, lieber Rilke, du hast recht, der Sommer war sehr groß. Aber jetzt | |
| > herrscht in meiner Seele Herbst. Saudade nennt es der Brasilianer. | |
| Bild: Albert Camus 1956. | |
| Ja, lieber Rilke, du hast recht, der Sommer war sehr groß. Aber jetzt | |
| herrscht in meiner Seele Herbst. Saudade nennt es der Brasilianer. Laut | |
| Wikipedia „das Gefühl, etwas Geliebtes verloren zu haben, und das Wissen, | |
| die Sehnsucht nach dem Verlorenen niemals stillen zu können, denn es wird | |
| nicht wiederkehren“. So ist es. Ich hab den Blues. | |
| Seit eineinhalb Wochen, seit dem Tag, an dem ich die unwiderruflich letzte | |
| Episode von „Breaking Bad“ (legal!) heruntergeladen und angesehen, nein, | |
| aufgesogen habe, lebe ich im Elend. Cold Turkey. Die reinste Entzugshölle. | |
| Unmöglich, da allein rauszufinden. Wo sind die Therapiegruppen, wer nimmt | |
| sich meiner an? | |
| Fieberhafte Suche im Internet, aber das einzige, was ich finde, sind | |
| irgendwelche Foren, in denen andere Verlorene ihre Fernseher zum Verkauf | |
| anbieten: „Irgendwie hat der für mich keinen Nutzen mehr. :(“. Oder: „Ich | |
| bin für heute nicht mehr emotional belastbar.“ Macht ihr Witze? Wer diese | |
| Serie liebte, der findet keine mehr; wer jetzt keinen Walt hat, wird ihn | |
| lange suchen! | |
| Wer aber hilft all den Orientierungslosen, sich wieder in einem Leben ohne | |
| größenwahnsinnig-geniale Chemielehrer, eiskalte Drogenbosse, | |
| psychopathische Killer und schmierige Anwälte zurechtzufinden? Wir sind | |
| hilflos wie Tastentelefonbesitzer, die plötzlich wieder Wählscheiben drehen | |
| sollen. | |
| Während ich solch trüben Gedanken nachhängend durch die graue deutsche | |
| Einkaufszonenwirklichkeit der Wilmersdorfer Straße in Berlin schlurfe, | |
| erscheint es plötzlich, Wunder über Wunder, in einiger Entfernung: Das | |
| „Fachgeschäft für Traurige“. Ein Ort der Einkehr, ein Tempel des Trostes, | |
| der Fürsorge oder gar der Heilung? | |
| Aus der Distanz erstrahlt das Schaufenster in einladendem Glanz. Aufgeregt | |
| beginne ich im Näherkommen über das dahinter wartende Angebot zu | |
| fantasieren: Was ist das Schönste – außer „Breaking Bad“ –, das traur… | |
| Menschen aus ihrer Traurigkeit hilft? | |
| Warm beleuchtete Räume mit liebevollen Gefährten für traurige Frauen? | |
| Dauervideos mit Siegtoren ihrer Lieblingsmannschaft für traurige Männer? | |
| Welpen, so viele sie wollen, für traurige Kinder? Und herrliche Gewänder | |
| für alle, auf dass wir uns schön machen und ein Trauerfest feiern, und zwar | |
| mithilfe einer kleinen, feinen Blaskapelle, die aus glänzenden Instrumenten | |
| Dixie-Sound zaubert wie auf einer fröhlich-traurigen | |
| New-Orleans-Beerdigung? | |
| Angeführt von der Kapelle zögen wir dann über die Wilmersdorfer zum | |
| Stuttgarter Platz, in dessen Nachbarschaft so ein Geschäft für Traurige | |
| wahrlich gut platziert ist, und noch dazu unter fachmännischer Leitung! | |
| So wird der Herbst vergehen, aber meine Saudade wird bleiben, und ich werde | |
| in der Wilmersdorfer unruhig hin und her wandern, wenn die Blätter treiben. | |
| Aber irgendwann wird es soweit sein, ich werde einen Entschluss fassen und | |
| das Fachgeschäft betreten und goldene Trauringe kaufen, und dann suche und | |
| finde und heirate ich einen Walter, einen genial-kriminellen Provinzlehrer | |
| aus Paderborn, und mein Leben wird aufregend sein! | |
| 9 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Pia Frankenberg | |
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