# taz.de -- Streit um Suhrkamp-Verlag: Die Aktiengesellschaft für Literatur | |
> Die Gläubigerversammlung macht aus dem Verlag eine AG. Das beschneidet | |
> die Rechte von Hans Barlach, während Ulla Unseld-Berkéwicz triumphiert. | |
Bild: Auch die Rechte von Ulla Unseld-Berkéwicz sind mit der Umwandlung in ein… | |
„Wir haben den Saal den ganzen Tag“, sagte Mechthild Wenzel, Richterin am | |
Amtsgericht Berlin-Charlottenburg, vorsorglich. Der Rechtsvertreter von | |
Hans Barlach, dem Minderheitsgesellschafter des Suhrkamp Verlages, hatte | |
kurz zuvor einen weiteren Antrag eingebracht, um die Durchführung des | |
Insolvenzverfahrens zu verhindern. Aber dann ging alles ganz schnell. Die | |
Abstimmungen dauerten gerade einmal zehn Minuten. | |
Die Beteiligten verbrachten diesen historischen Vormittag im Sitzungssaal | |
120, einem langen, aber recht schmalen Raum. Richterin und | |
Gerichtsschreiber saßen leicht erhöht am Kopfende hinter einem hell | |
getäfelten Tresen. Davor auf Stuhlreihen die Beteiligten: Rechtsanwälte, | |
dazu der Suhrkamp-Betriebsrat und Autoren wie Rainald Goetz, Thomas | |
Meinecke, Marcel Beyer, Durs Grünbein, Andreas Maier; insgesamt gut 50 | |
Personen. Viele Gläubiger hatten ihr Stimmrecht delegiert. Um 10 Uhr begann | |
die nichtöffentliche Sitzung. Zweimal mussten die Fenster geöffnet werden, | |
weil die Luft stickig wurde. | |
Sie war es, natürlich im Sinne juristischer Rationalität emotional | |
gebremst, auch zwischen den Vertretern von Barlach und Frank Kebekus, dem | |
Generalbevollmächtigten für dieses Insolvenzverfahren. Irgendwo ein | |
bisschen so wie bei Gerichtsserien im Fernsehen, wie die beiden Seiten ihre | |
jeweiligen Züge machten. | |
Antrag, Gegenantrag, Aufnahme ins Protokoll, Beschluss des Gerichts – alle | |
fünf Minuten sagte die Richterin juristische Formeln wie „verlesen und | |
genehmigt“ oder „beschlossen und verkündet“. Alle Seiten waren sehr gut | |
vorbereitet und auf eine akribisch genaue Abwicklung bedacht, vor allem der | |
Protokollführer wurde genauestens kontrolliert. Wobei die Richterin in | |
allen Fällen gegen die Barlach-Vertreter entschied. | |
## Juristisch brisanter Antrag | |
Das begann gleich mit der Frage, ob zu dem Termin überhaupt ordnungsgemäß | |
geladen war, weil der Geschäftszweck der Schuldnerin, also Suhrkamp, nicht | |
in der Ladung aufgeführt worden war – was die Richterin dann aber als „kein | |
zwingendes Formerfordernis“ wertete. Juristisch brisant wurde es, als die | |
Barlach-Vertreter den Antrag stellten, in der ersten Gruppe allen | |
Gläubigern, deren Forderungen zu 100 Prozent befriedigt werden, das | |
Stimmrecht zu entziehen; offenbar exisiert ein Gesetz, dass das tatsächlich | |
als Möglichkeit vorsieht. | |
Damit hätte kein Gläubiger abstimmen dürfen, denn alle Forderungen sollten | |
– sehr ungewöhnlich für ein Insolvenzverfahren – voll ausbezahlt werden. | |
Allerdings sah es das Gericht so, dass selbst geringfügige Nachteile | |
ausreichen, damit diese Regelung nicht angewendet werden kann. Und so ein | |
geringfügiger Nachteil ist bereits, dass die Gläubiger nun seit einigen | |
Monaten auf ihr Geld warten. So konnte die Abstimmung stattfinden. | |
Als juristischer Laie lernt man: An solchen Finessen hängt also das | |
Schicksal von Suhrkamp und, da Suhrkamp immer noch einer der wichtigsten | |
Literaturverlage ist, ein Stück weit auch das Schicksal der Literatur. | |
Kulturelles Kapital kann in die juristischen Auseinandersetzungen nur sehr | |
bedingt einfließen. | |
So waren die Einlassungen von Rainald Goetz und Thomas Meinecke, die als | |
Autorenvertreter ausführten, Hans Barlach als bedrohlich zu erleben, zwar | |
als Begründung für die Abstimmungen interessant, aber juristisch spielten | |
sie keine Rolle. | |
In drei Gruppen wurde abgestimmt. Die erste Gruppe, gebildet aus den | |
normalen Schuldnern des insolventen Verlages wie Autoren, deren Honorare | |
ausstehen, oder Dienstleistern, die noch nicht bezahlt wurden, stimmten mit | |
nur einer Gegenstimme für den Plan. Die Gegenstimme kam vom Vertreter von | |
Hans Barlach. Der Pensionssicherungsfonds, der allein die zweite Gruppe | |
bildete, stimmte auch dafür. Und in der dritten Gruppe stimmte Ulla | |
Unseld-Berkéwicz, die anwesend war, für den Plan und der Vertreter von Hans | |
Barlach, der nicht anwesend war, dagegen; da Unseld-Berkéwicz 61 Prozent | |
von Suhrkamp kontrolliert und Hans Barlach nur 39, ist auch in dieser | |
Gruppe eine Mehrheit da. Um 12.21 Uhr wurde die Sitzung geschlossen. | |
## Anteileigner und Geschäftsführung getrennt | |
Damit ist klar: Aus Suhrkamp wird eine Aktiengesellschaft – so sieht es der | |
Insolvenzplan vor. Und weil das bei Aktiengesellschaften so ist, werden | |
Anteilseigner und Geschäftsführung nun klar voneinander getrennt sein. Die | |
Hoffnung ist, dass damit der Streit unter den Gesellschaftern, von | |
Unseld-Berkéwicz und Hans Barlach also, nicht mehr auf das laufende | |
Geschäft des Verlages durchschlägt. Hans Barlach, dessen Anteile wie die | |
von Unseld-Berkéwicz in Aktien umgewandelt werden, verliert damit die | |
Vetorechte, die er bislang als Gesellschafter hatte. | |
Damit ist der Plan, die Verhältnisse bei Suhrkamp im Rahmen einer | |
sogenannten Schutzschirminsolvenz neu zu ordnen, bislang aufgegangen. Die | |
Richterin muss die Abstimmungsergebnisse noch bestätigen. Das ist | |
vermutlich eine Formsache. Allerdings gehen alle Beteiligten davon aus, | |
dass Hans Barlach Widerspruch einlegen wird. | |
Interessant ist, worauf Frank Kebekus, der Insolvenz-Bevollmächtigte, noch | |
ausdrücklich hinwies: Nicht nur die Rechte Hans Barlachs, sondern auch die | |
von Ulla Unseld-Berkéwicz sind mit der Umwandlung in eine AG beschränkt. | |
Bisher hatte sie als Verlegerin agiert und sich gleichzeitig als Chefin der | |
Suhrkamp-Familienholding selbst kontrolliert. Diese Konstruktion ist nun | |
nicht mehr möglich. | |
Es gibt nun einen kontrollierenden Aufsichtsrat. Als deren Mitglieder | |
werden in dem Insolvenzplan der frühere Bundesminister Gerhart Baum, der | |
Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger und Marie M. Warburg, die Frau des | |
Exkulturstaatsministers Michael Naumann, bestimmt. Das sind alles | |
renommierte Persönlichkeiten – und im Zweifel Berkéwicz-Vertraute. Wie | |
genau darüber hinaus die Rolle der Verlegerin im Verlag aussehen wird, | |
darüber war am Dienstag keine Auskunft zu bekommen. | |
Der Autor war ordnungsgemäß als Gläubiger eingeladen. Suhrkamp schuldet ihm | |
300 Euro Moderationshonorar. | |
22 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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