# taz.de -- Ukraine und die Europäische Union: Präsident Janukowitsch pokert … | |
> Wenn die inhaftierte Oppositionsführerin Timoschenko nicht bald | |
> freikommt, droht das EU-Assoziierungsabkommen Ende November zu scheitern. | |
Bild: Unterstützer von Julia Timoschenko bei einer Protestveranstaltung am ver… | |
KIEW/BERLIN taz | „Wir haben viel mehr für die Annäherung an Europa getan | |
als unsere Vorgängerregierung und damit das Wahlversprechen unseres | |
Präsidenten Wiktor Janukowitsch gehalten“, sagt der ukrainische | |
Ministerpräsident Mykola Asarow. Der 65-Jährige mit der Ausstrahlung eines | |
sowjetischen Apparatschiks äußert sich an diesem Tag in Kiew vor westlichen | |
Journalisten zum Stand der Beziehungen zwischen der Ukraine und der | |
Europäischen Union. Und da habe die Ukraine einige Erfolge aufzuweisen, | |
sagt Asarow und nennt Reformen des Renten-, Gesundheits- und Justizsystems, | |
des Wahlrechts sowie Antikorruptionsgesetze. | |
Auf die inhaftierte ehemalige Regierungschefin und Oppositionspolitikerin | |
Julia Timoschenko angesprochen, die 2011 wegen Amtsmissbrauchs zu sieben | |
Jahren Haft verurteilt worden war, reagiert Asarow jedoch fast ein wenig | |
ungehalten. „Timoschenko und die Ukraine, das sind verschiedene Dinge, sie | |
gehören nicht zusammen“, sagt er. Aber man werde auch da eine wie auch | |
immer geartete humanitäre Lösung finden. | |
Viel Zeit dafür bleibt nicht mehr. Bei einem Gipfel am 28. und 29. November | |
im Vilnius will die Europäische Union mit der Ukraine ein Assoziierungs- | |
und Freihandelsabkommen unterzeichnen, das den 46-Millionen-Einwohnerstaat | |
enger an die westliche Staatengemeinschaft binden soll. Eine Voraussetzung | |
für das Abkommen ist jedoch, dass sich in der Causa Timoschenko etwas | |
bewegt, die für Brüssel der Inbegriff für politisch motivierte „selektive | |
Justiz“ ist. Bewegung heißt, dass sich die erkrankte Politikerin im Ausland | |
behandeln lassen kann. | |
Am 15. Oktober schlug Polens Expräsident Alexander Kwasniewski eine | |
Teilbegnadigung Timoschenkos vor, um ihr die Ausreise zu ermöglichen. | |
Kwasniewski und der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, | |
beobachten im Auftrag der EU den Reformprozess in der Ukraine. Diese | |
Begnadigung könnte eine Reduzierung der Haftstrafe auf zwei Jahre, ein | |
dreijähriges Verbot, politische Ämter zu bekleiden, sowie eine Strafe von | |
200 Millionen Dollar beinhalten. | |
## Ringen um ein Gesetz für Timoschenko | |
Zwei Tage später sagte Janukowitsch, dass er, sollte das Parlament ein | |
Gesetz über die Ausreise Timoschenko verabschieden, dieses unterzeichnen | |
werde. Um eben jenes Gesetz wird derzeit gerungen. Wie aus Quellen | |
verlautete, die die ukrainische Internetzeitung Ukrajinska Prawda und das | |
Nachrichtenportal der ukrainischen Wochenzeitung Serkalo Nedeli zitieren, | |
dürfte die Vorlage auf eine temporärer Haftverschonung hinauslaufen. | |
Dabei will die Präsidialadministration sichergestellt haben, dass | |
Timoschenko weiter als rechtskräftig Verurteilte gilt, die sich politisch | |
nicht betätigen darf und nach ihrer Behandlung wieder in ihre Heimat | |
zurückkehren muss, um dort ihre Reststrafe abzusitzen. Nicht zufällig wird | |
erwogen, in das Gesetz auch die Möglichkeit einer Verurteilung in | |
Abwesenheit hineinzuschreiben. Da gegen Timoschenko noch andere Verfahren | |
anhängig sind, böte das die Möglicheit, sie auf noch längere Zeit politisch | |
kaltzustellen. | |
Zugegeben: Janukowitsch – der 2004 die Präsidentenwahlen dreist fälschte, | |
als prorussisch galt, seit seinem erneuten Machtantritt 2010 zusehends | |
autoritäre Tendenzen zeigte, sich jetzt aber als vehementer Verfechte | |
europäischer Werte geriert – pokert hoch. Und das, obwohl er in Vilnius | |
einen Erfolg braucht. Ein Nein aus Brüssel wäre zu Hause kaum zu vermitteln | |
– weder dem politischen Establishment, das die Unterzeichnung des Abkommens | |
zu einer historischen Entscheidung für die Ukraine stilisiert, noch der | |
Bevölkerung, die mehrheitlich europäisch orientiert ist. 2015 finden | |
Präsidentschaftswahlen statt, bei denen Janukowitsch wieder antreten will. | |
Doch Ungemach lauert noch an anderer Stelle. Im Sommer blockierte Russland | |
die Einfuhr ukrainischer Waren – eine Strafaktion, um die Ukraine von ihren | |
Wunsch der Annäherung an die EU abzubringen. Moskau wünscht sich einen | |
Beitritt zur von ihr geführten Zollunion, der auch Weißrussland und | |
Kasachstan angehören. Diese Option dürfte Russlands Präsident Wladimir | |
Putin Janukowitsch bei einem Treffen der GUS-Staaten am 24. und 25. | |
November in Minsk erneut nahelegen. | |
So ist derzeit noch unklar, wie ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation | |
aussieht, der allen ermöglicht, das Gesicht zu wahren – und ihre | |
Interessen. „Noch setzten alle Beteiligten an diesem Drama ihr Spiel fort“, | |
schreibt das Nachrichtenportal Serkalo Nedeli. „Dabei vergessen wird die | |
Ukraine, deren Zukunft auf dem Spiel steht“. | |
25 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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