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# taz.de -- Kulturpolitik in der arabischen Region: Provokant genug
> In Tunesien wird die Kunst attackiert, die ägyptische Regierung hat
> andere Prioritäten: Perspektiven von der Konferenz „Transformation und
> Kultur“.
Bild: Graffiti in Kairo vom ägyptischen Künstler Ganzeer.
Zum zweiten Jahrestag der ersten freien Wahlen in Tunesien gingen diese
Woche in Tunis Zehntausende auf die Straße, um gegen die Übergangsregierung
zu protestieren. Fast zeitgleich steht die Choreografin Amira Chebli auf
der Bühne des Berliner Allianz-Forums und bindet sich ein Tuch um, das den
ganzen Kopf samt Gesicht verhüllt.
Auf der Leinwand hinter ihr läuft ein Video, in dem sie sich drei Lagen von
schwarzem Stoff überwirft und damit zu tanzen beginnt. Wenn Chebli sich zum
Schatten hinbewegt, lösen sich ihre Konturen im Schwarz des Raumes auf, sie
wird unsichtbar. Wenn sie im Licht tanzt, kann man durch die Stofflagen
hindurch ihre tanzende Silhouette sehen.
Anonymisiert und doch provokant genug für vieldeutige Projektionen – das
beschreibt nicht nur die Situation des Frauenkörpers im islamistisch
regierten Tunesien sehr treffend, sondern auch die des Künstlers.
„In situ“ nennt Amira Chebli ihre Performance, der lateinische Begriff
steht in den Naturwissenschaften für die Untersuchung eines Objekts in
seiner natürlichen Umgebung. Zu sehen war die Performance im Rahmen der
Konferenz „Transformation und Kultur“, bei der wiederum die Umgebung Thema
war, in der sich KünstlerInnen wie Chebli vor immer neuen Herausforderungen
finden: der sich im Umbruch befindenden arabischen Welt.
## Fördermittel für Kunstprojekte
Auf Einladung des Auswärtigen Amts und des Goethe-Instituts, das seit 2011
in der Region besonders aktiv ist, waren am Mittwoch und Donnerstag
Kulturschaffende und KünstlerInnen aus Ägypten, Tunesien, Palästina und dem
Sudan zu Gast in Berlin, um in Panel-Diskussionen die sozialen und
politischen Veränderungsprozesse aus der Perspektive der Kunst und Kultur
zu betrachten.
Der Deutsche Bundestag habe seit dem sogenannten Arabischen Frühling sehr
viele Sondermittel für die Arbeit im arabischen Raum zur Verfügung
gestellt, 40 Prozent davon seien allein für Bildung und Kultur vorgesehen,
erklärte Botschafter Heinrich Kreft. Unabhängige Kunstprojekte sind auf
diese ausländischen Fördermittel dringend angewiesen.
Der ägyptische Staat etwa hält ein sehr geringes Budget für die Kultur
bereit, weniger als 1 Prozent seiner Ausgaben umfassen die
Kulturförderungen, und diese fließen direkt in die Nationaltheater und
Festivals mit regierungskonformen Inhalten. Künstler, die Tabus brechen,
indem sie Themen wie Glaubensfreiheit oder Gender aufgreifen, müssen
hingegen auf jede Form von staatlicher Unterstützung verzichten.
In ihrer Eröffnungsrede gab Basma El-Husseiny, Leiterin von Culture
Resource, einer gemeinnützigen Organisation in Ägypten, die junge Künstler
unterstützt und den kulturellen Austausch stärkt, einen umfassenden
Überblick über die Situation der Kulturlandschaft in Tunesien und Ägypten.
„In kaum einem arabischen Land wurde bisher eine Kulturpolitik formuliert“,
so El-Husseiny, die sich aktiv für die Einführung einer solchen einsetzt.
## Restriktives Zensurgesetz
Eine Kulturpolitik biete dem Künstler in der Gesellschaft einen gewissen
Schutzraum. „Und es ist auch wichtig, dass diese Politik von Künstlern und
der Zivilgesellschaft verfasst und dem Kulturministerium diktiert wird,
nicht andersherum“, sagte El-Husseiny.
Neben der finanziellen Notlage ist zwar auch das restriktive Zensurgesetz
ein Grund zur Sorge, jedoch lässt sich in Ägypten zumindest seit der
Revolution deutlich mehr Meinungsfreiheit in der Kunst beobachten sowie
auch die Möglichkeit, Kunst im öffentlichen Raum zu verwirklichen – war die
Idee des öffentlichen Raums doch eine der bedeutendsten Errungenschaften
des Arabischen Frühlings.
„Wir alle wissen, dass dies nur eine temporäre Freiheit ist“, erklärte
Ahmed El-Attar, Theaterregisseur und Veranstalter des D-Caf Festival, das
in diesem Frühjahr zum zweiten Mal die Innenstadt von Kairo mit
interdisziplinären künstlerischen Arbeiten aus der ganzen Welt bespielte.
Nach Meinung El-Attars dulden die Behörden die Kunst nur deshalb, weil es
gerade andere Prioritäten für sie gebe. „Irgendwann wird sich das ändern,
und darauf müssen wir uns kollektiv vorbereiten, denn es wird uns alle
gemeinsam treffen“, warnte El-Attar.
Das ist keine Schwarzmalerei, dafür genügt ein Blick nach Tunesien, wo
brutale Maßregelungen bereits stattgefunden haben. Im Juni 2012 etwa wurde
eine Kunstausstellung von islamistischen Demonstranten angegriffen, die die
Kunstwerke als blasphemisch empfanden. Eine Reaktion vom Kulturministerium
gab es nicht, die Ausstellung musste abgebrochen werden. Zudem gab es in
den letzten Monaten zahlreiche Anklagen gegen Rapper, die in Tunesien große
Popularität genießen. Der Vorwurf lautet: Beleidigung.
27 Oct 2013
## AUTOREN
Fatma Aydemir
Rowan El Shimi
## TAGS
Ägypten
Tunesien
Kunst im öffentlichen Raum
Kulturpolitik
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