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# taz.de -- Grabräuberei in Ägypten: Die Fährten der Antiquitäten-Mafia
> Seit dem Sturz Mubaraks schlagen die Plünderer zu. Nacht für Nacht
> verschwindet wertvolles Wissen über die Kultur und Geschichte des Landes.
Bild: Totenfeld von Abu Sir: Im Wüstensand liegen die Überreste geplünderter…
ABU SIR taz | Es ist ein verwüstetes Stück Wüste, das die Grabräuber
hinterlassen haben. Unzählige Gruben zeugen von ihrem Versuch, mit
illegalen Ausgrabungen ihr Glück zu machen. Daneben sieht es aus wie im
Film „Killing Fields“ über das Terrorregime im Kambodscha der siebziger
Jahre: Auf 200 Hektar verstreut blitzen Menschenknochen und Schädel weiß in
der Sonne. Eine Gruppe streunender Hunden zieht ihre Kreise um Stücke
zurückgelassener Mumien.
Wo die illegalen Grabungen vielversprechend erschienen, haben die Plünderer
die Gruben mit Beton abgesichert. Die Löcher sind so tief, dass ihr Grund
nicht mehr auszumachen ist. Offensichtlich haben die Grabräuber viel Zeit,
hier Nacht für Nacht ihrer Arbeit nachzugehen.
Ein kurzer Gang über den Hügel morgens um sieben, nachdem die Grabräuber
ihre Schicht beendet haben und bevor die Bauern auf ihre Felder ziehen.
Dann ist es Zeit zu gehen. Die benachbarten Dörfer, aus denen die
Grabräuber stammen, mögen es nicht, wenn Journalisten hier herumschnüffeln.
Und seit Ägypten mit Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg überschwemmt ist,
weiß man nicht, wie eine Begegnung mit aufgebrachten Anwohnern enden
könnte.
Abu Sir al-Malaq liegt ein gute Autostunde südlich von Kairo am westlichen
Nilufer. Der sandige Hügel inmitten grüner Felder, Bananenstauden und
Palmen diente den alten Ägyptern 4.000 Jahre lang als Grabstätte. Der Name
Abu Sir leitet sich vom altägyptischen Gott Osiris, dem Totengott, ab. Die
ersten Gräber hier stammen von 3250 v. u. Z.
Mit dem Sturz des früheren Präsidenten Husni Mubarak 2011 und dem
anschließenden Sicherheitsvakuum ist die Grabplünderei zu einer
regelrechten Epidemie geworden: Vom Nildelta bis nach Südägypten sind bis
zu 80 Prozent der bekannten Ausgrabungsstätten entweder durch illegale
Grabungen oder den Bau illegaler Siedlungen betroffen, schätzt die
ägyptische Archäologin und Ägyptologin Monica Hanna.
## Eine junge Archäologin fordert die Beamten heraus
Die 30-Jährige hat in den neuen sozialen Medien Alarm geschlagen und der
Grabräuberei fast im Alleingang den Kampf angesagt. Dafür erhielt sie
unlängst den SAFE Beacon Award zum Schutz historischer Monumente.
Monica Hanna ist die junge Revolutionärin der ägyptischen Archäologen, die
in ihrer Arbeit eine Art Fortsetzung der Aktivitäten auf dem Tahrirplatz
vor fast drei Jahren sieht. Sie fordert in Talkshows die Beamten der
Altertumsverwaltung heraus und führt Journalisten zu den geplünderten
Gräbern.
Sie hat die illegalen Ausgrabungen nicht nur in Abu Sir ausführlich
dokumentiert. Dorthin kann sie momentan nicht mehr fahren, nachdem
Grabräuber auf sie geschossen haben. Oft, erzählt sie, ist sie von diesen
geplünderten Stätten weinend im Auto zurück nach Kairo gefahren, weil sie
sich so ohnmächtig fühlte.
Es gebe zwei Arten von Grabräubern, erläutert Hanna: Neben den verarmten
Dorfbewohnern, die ihre Beute für einen Apfel und ein Ei weiterverkauften,
agiere „auch eine organisierte Mafia, die genau weiß, wo sie suchen muss
und die professionell vorgeht“. Da momentan bei den legalen Grabungen wenig
geschieht, fänden sich leicht Arbeiter, die sich in diesem Job auskennen.
„Manchmal finden wir bei den illegalen Ausgrabungen auch die Reste
einheitlicher Essensrationen. Die Mafia bezahlt den Lohn und sogar für
Verpflegung“, schildert die couragierte Ägyptologin.
Oft werden Kinder an Seilen nach unten geschickt, weil die Kleinen leichter
in die Schächte kommen. Mehr als 20 seien in den letzten zwei Jahren allein
in Abu Sir verschüttet worden, habe ihr einer der Bauern der Umgebung
erzählt. Wenn die Familien dann deren Tod melden, geben sie natürlich nicht
zu, dass sie an einer illegalen Ausgrabung teilgenommen hatten.
So bleibt selbst der Tod der Grabräuber im Dunkeln. Alle sind für die
Plünderungen mitverantwortlich, meint Hanna. Besonders zu tadeln seien aber
die Behörden, weil sie nachlässig handelten – und einzelne Mitarbeiter der
Altertumsbehörde oder der Polizei möglicherweise als Tippgeber dienten.
## Viele Altertumswächter schweigen aus Furcht
So käme etwa die Polizei, wenn sie gerufen wird, oft gar nicht oder nur
halbherzig. Die Grabräuber seien dann in der Überzahl und besser bewaffnet.
Viele der Altertumswächter hätten auch einfach nur Angst, über die
Plünderungen zu berichten: „Vielleicht arbeitet genau da, wo der Bericht
landet, auch jemand mit den Grabräubern zusammen. Eine Kugel kostet
umgerechnet nur etwas mehr als 2 Euro“, rechnet Hanna vor.
Selbst die vielen ausländischen archäologischen Institute im Land schreien
nicht auf, „weil sie Angst haben bei der Altertumsbehörde ihre
Grabungslizenzen zu verlieren“, glaubt sie. Denn die versuche das alles
unter den Teppich zu kehren.
Kein hoher Beamter hat sich bisher in Abi Sir blicken lassen. „Wenn ich aus
der Behörde käme, würde ich keine Nacht mehr ruhig schlafen, bis dieser Ort
wieder angemessen geschützt ist. Aber bisher haben sie nichts gemacht“,
ärgert sie sich.
Schon zu Zeiten Mubaraks hatte das Regime vorgemacht, dass das historische
Erbe zum Verkauf steht: Hohe Regierungsbeamte verdienten sich damals selbst
als Antiquitätenschmuggler eine goldene Nase, auch Kairos Exsicherheitschef
Ismail al-Schaer, der jetzt vor Gericht steht. „Die Menschen haben gelernt,
dass die Altertümer im Besitz des Regimes waren und dass dieses selbst
geplündert und geschmuggelt hat. Da ist es nur konsequent, dass die
Dorfbewohner denken, jetzt bedienen wir uns selbst“, so Hanna.
Der Schlüssel zum Schutz der altägyptischen Tempel und Gräber liegt für
Hanna bei den benachbarten Dörfern. „Wir müssen das ganze Konzept
verändern, wie archäologische Stätten hier beschützt werden. Statt die
lokale Bevölkerung auszugrenzen, muss sie mit einbezogen werden“, fordert
sie. Leider herrsche immer noch „bei vielen Ausgrabungsmissionen eine
koloniale Attitüde“. „Die ägyptischen Arbeiter tragen den Sand weg, und
dann gehen sie nach Hause.“ Auch die Altertumsbehörde grenze die Anwohner
aus. „Um die historischen Stätten werden Mauern gezogen, und das Innere ist
dann nur noch für die Touristen da.“
Stattdessen müsste man die Dorfschule einladen, sie bei den Grabungen
mitmachen lassen und den Schülern alles erklären. Sie schlägt auch vor,
kleine Museen in den Dörfern zu schaffen: Wenn die Menschen den Wert ihres
Kulturerbes verstehen und auch die Dörfer von den ausländischen Besuchern
und Gräbern wirtschaftlich profitieren, werde sich die Haltung verändern.
Dann würden sie fühlen, dass die Tempel und Gräber nicht der Regierung und
den Touristen, sondern ihnen gehören. „Das“, glaubt sie, „wäre ein bess…
Schutzwall für die archäologischen Stätten als jede hohe Mauer und jede
Polizei.“
Bisher sorgt diese Mischung – bittere Armut der benachbarten Dörfer,
Korruption, Nachlässigkeit der Behörden und die Tatsache, dass die
Grabräuber-Mafia besser bewaffnet ist als die Polizei – dafür, dass Nacht
für Nacht altägyptische historische Schätze verloren gehen und damit ein
Stück Weltkulturerbe verschwindet.
Die Verlockung der versteckten Schätze ist schon Tausende Jahre alt. Immer
war es auch die Not, die am Anfang der Kette Menschen dazu brachte,
heimlich Gräber auszuräumen.
## Geplündertes wird heute auf Ebay angeboten
Heute werden die geplünderten Stücke aber ganz modern „auf Ebay wie Gemüse
feilgeboten“, sagt Hanna. „Das Problem ist, dass wir gar nicht wissen, was
wir genau verloren haben, weil die Stücke nicht dokumentiert sind.“
„Bei den heutigen Plünderungen wird wahrscheinlich kein Tutanchamun
geklaut“, sagt Stephan Seidlmayer, Direktor des Deutschen Archäologischen
Instituts in Kairo. Die Plünderer finden vorwiegend Mumien,
Kleinkunststücke und Amulette. Diese Stücke seien im Einzelnen nicht
besonders wertvoll. Aber in ihrer Gesamtheit lieferten sie enorme
historische und soziologische Informationen über das damalige Leben in der
Wiege der Menschheit.
Seidlmayer: „Was derzeit in Ägypten geschieht, ist also ein unsagbarer
Verlust an historischer Informationen.“ Dabei deutet er auch nach
Deutschland: „Es ist zu billig, wenn wir aufschreien und sagen, wir sind
entsetzt darüber, was in Ägypten geschieht. Das Ende der Kette liegt auch
auf dem europäischen Kunstmarkt“, sagt er. Deshalb könne das Motto nur
lauten: „Finger weg!“
6 Jan 2014
## AUTOREN
Karim Gawhary
## TAGS
Ägypten
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Tourismus
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