# taz.de -- Ägyptens Altertum: Kulturtourismus ohne Touristen | |
> Der Rückgang des Tourismus hat die vielen kulturellen Stätten des Landes | |
> am härtesten getroffen. So bleibt zumindest Raum und Ruhe zum Verweilen. | |
Bild: Wandrelief aus Karnak. | |
Die pharaonische Königsstadt Theben, das heutige Luxor in Oberägypten, | |
verdankt ihre Lage der Himmelsrichtung und dem Nil. Von Ost nach West, das | |
war der Weg des Sonnengottes. Daher war das Ostufer den Lebenden | |
vorbehalten, während Gräber und Totentempel auf dem Westufer lagen. Der | |
Strom trennte die beiden Bereiche; Anbau war nur möglich, so weit die | |
Bewässerungskanäle reichten. | |
Auch heute gleicht die Grenze zur Wüste einer scharf gezogenen Linie. Dort | |
staubiges Geröll und die kargen Berge, hier, flach wie ein Tisch, die | |
bestellten Felder, die im Osten zwölf bis vierzehn Kilometer ins Land | |
reichen, während es im Westen nur zwei bis vier Kilometer sind. | |
Hier gedeihen Zuckerrohr, Klee, Weizen und Gemüse. Ab und zu kommt ein | |
Bauer auf seinem Esel mit dicken Büscheln von saftigem Grün vorbei und | |
bringt die Frucht ein. | |
Von der Landwirtschaft lebt Luxor immer noch, doch vor allem hängt die | |
Stadt heute am Tropf des Tourismus. Der Rückgang des Tourismus infolge des | |
Sturzes von Präsident Husni Mubarak im Jahr 2011 um durchschnittlich etwa | |
ein Drittel betraf dabei nicht in erster Linie die Resorts am Roten Meer, | |
sondern die historischen Stätten. | |
## Dramatische Zahlen | |
„Verlierer ist der Kulturtourismus“, sagt Tourismusminister Hisham Zaazou | |
im Februar bei einem Gespräch in Kairo und referiert die dramatischen | |
Zahlen: Die durchschnittliche Belegung der Hotels liege in den Resorts bei | |
74 Prozent, in Kairo bei 32 und in Luxor gar nur bei 17 Prozent. | |
Als der Minister kürzlich von einem Anstieg des Tourismus im ersten Quartal | |
dieses Jahres um 14,4 Prozent sprach, erntete er sogleich Widerspruch von | |
Vertretern der Branche. Elhamy al-Zayat, Chef des Verbandes ägyptischer | |
Touristikkammern, wies gegenüber Ahram Online darauf hin, dass die Preise | |
des Gewerbes im Vergleich zu 2010 deutlich niedriger lägen und man daher | |
trotz eines Anstiegs der Besucherzahlen so lange nicht von einer Erholung | |
der Branche sprechen könne, ehe sich dies nicht in vergleichbare Einnahmen | |
umsetze. Unverblümt fügte er hinzu: „Was die aktuellen Besucherzahlen | |
zeigen, ist, dass unsere Strände die einzig aktive, funktionierende | |
Tourismusattraktion sind. Der Kulturtourismus hingegen ist tot.“ | |
Das ist unschwer zu erkennen, wenn man heute den Luxor- und Karnak-Tempel | |
auf dem Ostufer des Nils oder die Grabanlagen auf der gegenüberliegenden | |
Seite besucht. Zwar kommen Besuchergruppen, darunter auch Schulklassen, | |
aber mit dem Gedränge früherer Zeiten ist das bei Weitem nicht zu | |
vergleichen. Für Reisende ist das angenehm, für diejenigen, die davon | |
leben, eine Katastrophe. Vier Millionen Menschen sind in Ägypten für ihr | |
tägliches Auskommen vom Tourismus abhängig. Anders gesagt: Von einem | |
Hotelgast profitieren anteilig bis zu 14 Personen. | |
## Harte Arbeit im Fels | |
Gäste können heute in Ruhe durch das Tal der Könige spazieren und sie | |
finden ohne Weiteres ein schattiges Plätzchen, um sich auszuruhen und die | |
Umgebung auf sich wirken zu lassen. Helle, bis zu 300 Meter hohe | |
Kalksteinberge erheben sich rechts und links des Weges, jede natürliche | |
Vegetation fehlt in diesem Wadi. Die Szenerie ist ganz in blasse Farben | |
getaucht, über das Ocker der schroffen Hänge wölbt sich das zarte Blau des | |
Himmels. Bunt ist es hier nur in den Gräbern, vorausgesetzt, die | |
Wandbemalung ist noch erhalten. | |
In der Grabkammer Tutanchamuns, die Howard Carter und sein Team 1922 fast | |
intakt entdeckten, ist das der Fall. Besucher können die einzelnen | |
Stationen von seinem Tod bis zur Auferstehung an den Malereien auf | |
ockergelbem Grund nachvollziehen: Hohe Würdenträger ziehen auf einem | |
Schlitten die Mumie, die unter einem reich verzierten Baldachin liegt. | |
Daran schließt sich die zeremonielle Mundöffnung an, die die | |
Aufnahmefähigkeit des Toten im Jenseits symbolisiert. Es folgt eine | |
Darstellung Tutanchamuns, jetzt ohne Mumienbinden und mit Goldmaske vor dem | |
Auferstehungsgott Osiris. Insgesamt 5.398 Objekte fanden die Forscher dort | |
vor. Der junge König, der mit etwa neun Jahren den Thron bestieg, starb | |
vermutlich zehn Jahre später, 1332 v. d. Z., an den Folgen eines | |
Reitunfalls. | |
Der Bau und die Ausgestaltungen eines Grabes dauerte vermutlich einige | |
Jahre, schätzungsweise waren 50 bis 60 Arbeiter und Künstler daran | |
beteiligt. Steinhauer schlugen Gänge und Kammern in den Berg und entsorgten | |
den Schutt – eine staubige Knochenarbeit, dann übernahmen andere Arbeiter | |
die architektonische Feinarbeit. Nach dem Verputzen der Wände teilten | |
Handwerker die Mauern in Segmente für die einzelnen Szenen ein und | |
zeichneten mit roter Tinte Figuren und Hieroglyphen vor. Nun machten sich | |
die Künstler und Schreiber ans Werk, die mit schwarzer Tinte Fehler | |
korrigierten. Die einzelnen Figuren wurden entweder als Halbrelief angelegt | |
oder direkt auf den Verputz gemalt. Die Farben, die aus Mineralien gewonnen | |
wurden, entsprachen neben den unbunten Tönen Schwarz und Weiß denen des | |
Farbkreises: Gelb, Rot und Blau, gelegentlich auch Grün. | |
## Arbeit adelt nicht | |
Die Arbeiter und Künstler lebten mit ihren Familien in dem Dorf Deir | |
al-Medina, das etwa einen Kilometer südlich vom Tal der Könige liegt. Für | |
ihre Tätigkeit wurden sie mit Brot, Bier, getrocknetem Fisch und Gemüse | |
entlohnt. Nach Fertigstellung eines Pharaonengrabs arbeiteten sie für | |
andere königliche Projekte, Gräber für hohe Beamte oder für sich selbst – | |
bis zur Krönung des nächsten Pharao und den Beginn der Arbeiten für dessen | |
prunkvolles Grab. | |
Deir al-Medina kann man heute noch besichtigen. Da die Ansiedlung mehrere | |
Kilometer vom Nil entfernt liegt, wurde beim Bau der Häuser neben den | |
traditionellen Lehmziegeln auch Stein verwandt; sonst wäre alles längst zu | |
Staub zerfallen. Die Arbeiter waren privilegiert, und im Gegenzug für ihre | |
Stellung bewahrten sie in der Regel Stillschweigen über die Lage der Gräber | |
und ihre Schätze. Doch dieser Pakt zerbrach, als während der Vorbereitungen | |
zum dreißigjährigen Thronjubiläum von Ramses III. (1187–1156) die | |
Versorgung der Nekropolenarbeiter zusammenbrach und der Lohn der Arbeiter | |
wiederholt ausblieb. Das führte zum ersten schriftlich dokumentierten | |
Streik der Weltgeschichte und sollte fatale Folgen haben: den Beginn der | |
Grabräuberei großen Stils. | |
Das Tal der Könige diente den Pharaonen des Neuen Reichs (1550–1070) als | |
Friedhof. 62 Königsgräber wurden hier entdeckt. In der Totenstadt am | |
Westufern des Nil fanden Archäologen tausende weiterer Gräber, Totentempel, | |
Häuser, Dörfer, Altare, Arbeitsplätze. | |
## Ein repressiver Zentralstaat | |
Der Totenkult in der pharaonischen Religion bedeutet jedoch nicht, dass die | |
damaligen Ägypter ganz auf das Jenseits orientiert waren. Im Gegenteil: | |
„Die alten Ägypter hatten Freude am Leben, sie waren ein lebenslustiges | |
Volk“, erläutert der emeritierte Wiener Archäologe Professor Dr. Wilfried | |
Seipel, der beim Besichtigen der Gräber nebenbei die Hieroglyphen vorliest. | |
„Sie wollten ihr schönes Leben nach dem Tod fortsetzen.“ Davon zeugen die | |
Schätze, also die Beigaben für das Leben im Jenseits, und die Wandmalereien | |
in den Gräbern. Der tote Pharao sollte nichts missen – von Waffen bis zu | |
Musikinstrumenten, einem Schachspiel oder einen reichlich gedeckten Tisch. | |
Dies zeigt eine durchaus materialistische Sicht vom Leben nach dem Tod. | |
Ein bisschen einfacher als im Diesseits wollte man es allerdings schon | |
haben. Schwere Arbeiten sollte bitte schön jemand anders erledigen. Kleine | |
Tonfiguren, Uschebti genannt, die zunächst in einer Phase politischer | |
Wirren als Ersatz für eine ordnungsgemäß einbalsamierte Leiche dienten, | |
mutierten zu Dienern im Totenreich, die die unangenehmen Arbeiten | |
übernahmen. Dazu gehörte vor allem die mühevolle Verteilung des fruchtbaren | |
Schlamms nach der jährlichen Nilüberschwemmung auf den Feldern. In einer | |
kargen Umgebung war die Vorstellung des Jenseits der Pharaonen nicht ein | |
Land, in dem Milch und Honig fließt, sondern die einer fruchtbaren, grünen | |
Landschaft – und die musste schließlich bearbeitet werden. | |
Im Grab Tutanchamuns fanden sich ungewöhnlich viele Uschebtis – 413, davon | |
365 für jeden Tag des Jahres, 36 Aufseher für jede Dekade und 12 | |
Oberaufseher für die Monate. Auch im Totenreich setzte sich das streng | |
hierarchisch-bürokratische politische System fort. | |
Dieses System beschreibt der britische Archäologie Toby Wilkinson wie | |
folgt: „Die ersten ägyptischen Könige ersannen und nutzten | |
Herrschaftsinstrumente, die mancherorts ihren Zweck bis heute erfüllen: | |
glanzvolle Äußerungen der Macht und sorgfältig choreografierte Auftritte, | |
die den Herrscher aus der Masse der Untertanen herausheben, Pomp und | |
Spektakel bei gewaltigen Staatsfeiern, die das Band der Treue festigen, und | |
die patriotische Begeisterung, die sich mündlich und künstlerisch | |
ausdrückt.“ Die Kehrseite der Aufrechterhaltung dieser Herrschaft war | |
weniger glanzvoll: politische Propaganda, eine fremdenfeindliche Haltung, | |
die engmaschige Überwachung der Bevölkerung und die brutale Unterdrückung | |
Andersdenkender. | |
## Theben, das politische Zentrum | |
Das politisch-religiöse Zentrum des Neuen Reiches war Theben am Ostufer des | |
Nils. In den Tempelanlagen residierte die mächtige Priesterschaft und | |
verwaltete das, was man heute ein Wirtschaftsmonopol nennen würde: riesige | |
Ländereien, Viehherden und Gärten, Schiffe, Baustellen und Dutzende von | |
Dörfern. Hier, auf einem Gelände von etwa 42 Fußballfeldern, manifestierte | |
sich die Herrschaftsarchitektur zum Ruhm der Pharaonen, ähnlich wie in den | |
Kathedralen des christlichen Mittelalters, die Macht und Größe Gottes | |
symbolisierten. | |
Doch die Tempel von Luxor lassen sich nicht mit Zahlen beschreiben, | |
Besucher verlieren sich wie Zwerge im Angesicht der in ihren Dimensionen | |
überwältigenden Säulen und Mauern. Giovanni Belzoni, der zwischen 1815 und | |
1819 Ägypten bereiste, fasste seinen Eindruck so zusammen: „Mir schien, als | |
ob ich eine Stadt der Giganten beträte, die nach langen Kämpfen alle | |
vernichtet worden waren und die die Überreste ihrer verschiedenen Tempel | |
als einzigen Beweis ihrer vormaligen Existenz zurückgelassen hatten.“ Luxor | |
muss man erlebt haben. | |
15 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
## TAGS | |
Ägypten | |
Reiseland Ägypten | |
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